Zwischen den Rillen
: Reise ans Ende der Speisekammer

■ Knisternde Technoüberreste: die Produzentin Susanne Brokesch

Das ist das Ende. Wenige zuvor haben den Verfall einer Musik mit derart provozierender Ignoranz durchgespielt wie Susanne Brokesch. Die Musik heißt Techno, aber Brokesch kümmert sich darum nicht. Mit großer Selbstverständlichkeit und insbesondere ohne daraus ein Drama zu machen, geht sie davon aus, daß da nicht mehr viel zu retten ist. Die Überreste schaufelt sie in das noch glimmende Feuer und lauscht, wie das Material in der Hitze knistert und knackt. Ein Stücktitel wie der folgende mag prätentiös klingen: „a tv-set on fire and an introduction to the term: ,something is not approximately something else‘“. Aber er ist Programm: Etwas geht kaputt, aus dem Rest sollte man etwas ganz anderes machen. Das ist der Anfang.

Fata Morgana eines Plattencovers: Brokesch-Hülle Abb.: Disko B

Von besagtem Stück gibt es auf dieser Platte zwei Teile, die zusammen genau zwanzig Minuten lang sind. Mit dem ersten beginnt das Album. Langsam und gemächlich. Über einem Muster verschiedener perkussiver Elemente erhebt sich in unregelmäßigen Abständen eine Melodie, die doch nicht mehr ist als ein modulierter Ton aus einem alten Synthesizer, an dem ein Knopf gedreht wird. Der zweite Teil des Stückes, in der zweiten Hälfte des Albums, hat einen langsamen 4/4-Beat. Dazu in wechselnder Intensität ein hohes Klingeln, ein Hallraum, in dem sich das Wummern des Beats zu einem tragenden Baß formt. Brokesch arbeitet hörbar mit dem Eigenwillen der von ihr benutzten Maschinen. Es gibt bei ihr keine akkuraten Sounds, keine Melodien, die auf ein Wiedererkennen hin geschrieben wären. Auf dieser Platte lauscht man einem jeder Funktion enthobenen Grummeln. Es ist der letzte Zeuge von etwas, das mal Musik, womöglich Techno hieß.

Rhythmus, Geräusch, Melodie – bei Susanne Brokesch erscheinen diese Dinge wie Einzelteile von etwas, das einmal ganz war. Ihr Grund liegt irgendwo in den technischen Parametern des Moogs, daraus kommen sie gemeinsam hervor, ergeben in den Brokesch- Tracks aber nicht etwas Gemeinsames. Es ist deswegen nicht verwunderlich, wenn ihre Stücke manchmal die Anmutung jener Experimente haben, die Elektronik-Pioniere wie Oskar Sala durchführten. Dabei betreibt Brokesch weder technisierte Klangforschung, noch arbeitet sie dem Ambient-Genre zu. Mit Hilfe ihrer Tracks läßt sie die Klänge arbeiten. Sie selbst scheint dabei nur Kompilatorin zu sein, die als neutrale Beobachterin die Versuchsergebnisse notiert.

Die in Wien lebende Produzentin ist in den letzten Jahren nicht gerade durch eine Flut von Veröffentlichungen aufgefallen. Die für Techno typische Benutzung von mindestens fünf Projektnamen und dem monatlichen Output von mehreren Maxis auf unterschiedlichen Labels – das ist nicht ihr Ding. 1995 erschien auf dem damals noch obskuren finnischen Label Sähkö eine Platte von ihr unter dem Namen Sil Electronics mit drei Stücken, deren Titel „V 7“, „V 8“ und „R 8“ schon auf nicht allzu große Kommunikationsfreude schließen ließen. Im Jahr darauf war sie an einer CD der Rancho Relaxo All-Stars beteiligt, einer losen Gruppierung internationaler, mit den Labels Sähkö, Disko B und Cheap verbundener ProduzentInnen. Das war's. Zur Veröffentlichung ihres Solo-Albums verweigert sie die obligatorischen Interviews und läßt keine Fotos von sich in Umlauf bringen.

Diese Politik will sicherlich nicht die gute alte Techno-Tradition – die Gesichter sind unwichtig – wiederbeleben. Brokesch umgeht dadurch aber die Gefahr, als bloßer Teil der im Moment ultrahippen Wiener Elektronik-Szene (Kruder & Dorfmeister, Pulsinger etc.) abgehakt zu werden. Insbesondere wird sie den ohnehin einsetzenden Mechanismus fürchten, durch den sie als Produzentin wahrgenommen wird. Denn so viele Frauen hinter den Reglern hat die Technogeschichte nicht vorzuweisen. Es sind, um es geradeheraus zu sagen, weltweit derzeit vielleicht eine Handvoll, deren Platten in den einschlägigen Zirkeln kursieren. Daß Susanne Brokesch dieses Album unter ihrem eigenen, ausgeschriebenen Namen veröffentlicht (ihre Detroiter Kollegin Kelly Hand erscheint nur als K. Hand), ist ein offensiver Akt und als Statement so vollkommen, daß sie dem nichts mehr hinzufügen muß.

Damit muß man zufrieden sein. „What's in den pantry today?“ fragt ein Tracktitel mit einer launigen Spitze. Viel ist nicht in der Speisekammer heute. Auf dem großartig von Strada gestalteten Cover sieht man menschenleere Interieurs, glattbezogene Betten, aufgeräumte Raumecken. Der Plattentitel „Sharing the sunhat“ ist dagegen eine freundliche Regung. Und auch der Titeltrack klingt geradezu üppig. Es gibt einen atonalen Pianoloop und einen Synthieakkord, der richtig flauschig ist. Inmitten des trockenen Hitzeflimmerns, das man mit dieser Platte assoziiert, kommt einem dieses Stück wie eine Oase vor. Aber auch das ist wahrscheinlich nur als Fata Morgana gemeint. Man muß weiterziehen, die Musik von Susanne Brokesch ist dabei eine müde Weggefährtin. Martin Pesch

Susanne Brokesch: „Sharing the sunhat“ (Disko B/Efa)