Warum Blairs Rezept hier nur bedingt taugt

■ Das deutsche politische System ist anders. Und die SPD lernt zuwenig

Sicher würden die Deutschen einen wie Tony Blair lieben. Einen Linken, der zur Hälfte konservative Politik macht. Einen Pragmatiker aus Prinzip. Einen Mann mit antipolitischer Ausstrahlung, dem anzumerken ist, daß er spät zur Politik kam und daß er auch ohne sie leben könnte. Everybodys darling. Lieben heißt nicht wählen, wenn die Verhältnisse ganz andere sind. Die SPD freut sich. Tony Blair, glaubt sie, hat sie Siegen gelehrt. Aber die Strukturen in Deutschland sind schlecht für die SPD, und sie selbst steckt in hausgemachten Problemen, da könnte ihr auch ein Blair nicht helfen.

1.) Kein System ist für den Machtwechsel so geeignet wie das britische. Im faktischen Zweiparteiensystem gibt es nur zwei ernstzunehmende Konkurrenten. Der Machtwechsel wird in der Wahl entschieden.

In Bonn kam die Opposition noch nie durch Wahl an die Macht. Auswechseln einer Koalitionspartei ist unser Muster, nicht wirklicher „Machtwechsel“. Die SPD kann auf Mitregieren statt Machtwechsel setzen, auf Große Koalition statt Ablösung der CDU.

2.) In Deutschland ist die Opposition in drei Parteien gespalten. Die SPD will keine „Koalition in der Opposition“, also konkurriert rücksichtslos. Wie aber soll eine Partei Wahlkampf machen, deren Lieblingskoalition aus CDU, SPD und Grünen besteht?

3.) Auch die Wählerschaft ist komplizierter gespalten als jenseits des Kanals. In England dominiert die alte Konfliktlinie zwischen Arbeit und Kapital. Wenn man sich in einem Zweiparteiensystem mit dem alten Links-rechts-Schema orientiert, heißt das, daß man nur Erfolg hat, wenn man die Mitte besetzt. Bei uns haben wir drei Konfliktlinien: die sozialökonomishe, die konfessionelle und die postmaterialistische, auf der die Grünen aufbauen. Jede erfordert eine andere Politik. Nur ein Widerspruchsmanagement kann hier erfolgreich sein. Überall in Europa laufen den Sozialdemokraten an den Rand gedrängte, entfremdete Traditionswähler zum Rechtspopulismus über. Dies trifft die deutschen mehr als ihre britischen Genossen.

4.) Im Föderalismus regiert die Opposition immer schon mit. Im zentralistischen England kann es weder den Vorwurf der Blockade noch den der Großen Koalition geben. Labour ist hungrig auf den Machtwechsel, die SPD nur daran interessiert. Es fehlt in England die Selbstzufriedenheit der Provinzfürsten, denen Mitregieren genug ist. Es fehlt auch die Möglichkeit frühzeitiger Entzauberung, die Leute wie Blair in der Provinz ereilen kann.

5.) Im – durch Major verlängerten – Thatcherismus erscheint ein Machtwechsel zur Überwindung des reinen Ökonomismus, zur Bekräftigung von Gemeinschaftswerten dringlicher als in Kohls System des Durchwurstelns, bei dem alle zufrieden und alle unzufrieden sind. Die Modernisierung der Wirtschaft hat Thatcher für Blair besorgt. In Deutschland ist der Konservatismus mit dem Abräumen noch nicht so weit. Die SPD verhindert den Thatcherismus im föderalen Deutschland, so mindert sie aber auch die Chancen des Machtwechsels.

6.) Inhaltlich wird von der SPD heute mehr verlangt, als Tony Blair im Angebot hat. Wie sieht ihr Konzept ökologischer Modernisierung aus (eine Leerstelle bei Labour)? Wo muß sie sich auch zur Technikkritik durchringen (zum Beispiel Atomenergie)? Wie geht sie von der Verteidigung zum Umbau des Sozialstaats über?

7.) Einen wie Blair würden die deutschen Genossen nicht einmal kandidieren lassen. Einen, der von Visionen statt von Zahlen spricht. Einen, der auch für kleine Veränderungen durch eine große Sprache zu werben versteht. Einen, dessen Enthusiasmus nicht mit Naivität verwechselt werden darf, der den Balanceakt versucht zwischen persönlicher Glaubwürdigkeit und ausgebufften Strategien symbolischer Politik. Gestützt durch ein knallhartes medienstrategisches Management, das die internen Regeln der Medien für parteipolitische Zwecke instrumentalisiert.

Blairs Charisma und Siegeswille, seine Kommunikationsfähigkeit, Sprache und Symbolik – die SPD wartet nicht darauf, obwohl sie daraus etwas lernen könnte. Weder Sachpolitik noch Sozialprotest werden reichen. Eine Modernisierung von Inhalten müßte mit einer Modernisierung von Formen und Personen in der Mediengesellschaft einhergehen, wollte man eine Chance haben. Ein Götterbote Blair zeigt den Enkeln nur, daß man siegen kann. Aber nicht, wie man es in Deutschland könnte. Joachim Raschke

Der Autor ist Politikwissenschaftler an der Uni Hamburg und Parteienexperte.