Der Speckgürtel pfeift auf seinen Diätplan

■ Der Trend zum Landleben hält an: Haben alle Berliner den gleichen Traum?

Berlin tut gut – Brandenburg tut besser: Der Trend, von Berlin ins nähere Umland zu ziehen, hält unvermindert an. Über 80.000 Berliner sind nach Angaben des Statistischen Landesamtes Berlin seit 1991 aus der Stadt ins direkt angrenzende brandenburgische Umland ausgewandert. 1991 zogen etwa 5.300 Berliner in den „engeren Verflechtungsraum von Brandenburg“, wie die direkt an Berlin grenzenden Landkreise im Amtsdeutsch heißen. 1993 waren es schon über 10.000, 1995 über 22.000, die ihr Glück im Speckgürtel suchten. Und im ersten Halbjahr 1996 kehrten bereits über 11.000 der City den Rücken, um sich am Rande der Hauptstadt anzusiedeln. Rund die Hälfte der Stadtflüchtigen stammt aus dem Westteil der Stadt.

„Der Großteil der Fortzügler hat seinen Arbeitsplatz jedoch weiterhin in Berlin“, sagt Frank Gödicke, Mitarbeiter der zentralen Informationsstelle beim Statistischen Landesamt Berlin. Eine Landflucht der Brandenburger aus dem „engeren Verflechtungsraum“ in Richtung Berlin ist im Gegenzug nicht zu beobachten: Zwischen 1991 und 1995 kehrten jährlich zwischen 5.500 und 8.000 von ihnen dem Stadtrand den Rücken, um in die Hauptstadt umzusiedeln – Tendenz nur leicht steigend.

Für einen Großteil der Umzügler geht der Fortzug aus Berlin mit einer entscheidenden Statusveränderung einher: Aus Mietern werden Eigentümer. „Viele Westberliner wollen sich nach dem Mauerfall ihren Traum vom eigenen Häuschen im Grünen verwirklichen. Die monatlichen Kreditbelastungen für ein kleines preiswertes Eigenheim auf dem Land liegen für eine junge Familie oft nicht wesentlich über der monatlichen Mietbelastung in Berlin“, sagt Nicolette Baumeister, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit bei der Architektenkammer Berlin. In der Regel seien es gebürtige Berliner, die es „ins Grüne“ ziehe.

Bauland ist im angrenzenden Bandenburg wesentlich günstiger zu haben als innerhalb der Berliner Landesgrenzen. „Ein Quadratmeter Bauland in Frohnau kostet rund 750 Mark, zwei Kilometer weiter in Glienicke etwa 350 Mark. Noch zwanzig Kilometer weiter draußen, beispielsweise in Oranienburg, ist der Quadratmeter abermals um die Hälfte günstiger“, erläutert Alexander M. Rainoff, Vorsitzender des Berliner Landesverbandes Deutscher Makler. Besonders beliebte Ecken bei den Fortzüglern seien Falkensee und Glienicke. Rainoff: „Nach meiner Einschätzung bevorzugen etwa 40 Prozent den Kauf eines Bestandsobjektes – die Mehrheit will aber einen Neubau.“

Die Mehrheit der Stadtmigranten ziehen nach Angaben Baumeisters in preisgünstige 1- oder 2-Familien-Fertigbauhäuser in Neubausiedlungen. „Ein solches Eigenheim ist ohne Grundstück ab 300.000 Mark zu haben. Einen Architekten für die Erstellung des neuen Eigenheims leisten sich höchstens zwanzig Prozent der Kunden“, sagt Baumeister. Den Abwanderungstrend hält sie für eine normale Entwicklung, der noch längere Zeit anhalten wird. „Über kurz oder lang wird sich um Berlin ein ähnlicher Speckgürtel bilden, wie er auch in anderen Großstädten üblich ist“, so die Referentin der Architektenkammer.

Birgit Tomaschko ist vor zwei Jahren mit ihrem Freund nach Fürstenwalde gezogen und arbeitet weiterhin im über 60 Kilometer entfernten Charlottenburg. „Die täglichen drei Stunden Fahrerei zur Arbeit und zurück nerven manchmal ganz schön“, räumt Tomaschko ein. Immerhin gilt ihre Umweltkarte bis vor die Haustür, die Fahrtkosten bleiben erschwinglich. Trotz des täglichen Aufwands bereut die werdende Mutter ihren Umzug aufs Land nicht. „Die Ruhe und die Natur wiegen das dürftige Kulturangebot hier mehr als auf. Bis zum nächsten See sind es nur zehn Minuten“, so Tomaschko. „Was hier im Sommer hin und wieder etwas anstrengend ist, sind die zahlreichen Wochenendbesucher aus der Stadt.“ Ihre kleine Wohnung in Neukölln hat die Betriebswirtin nicht aufgegeben. „Manchmal ist es mir nach meinem Abendstudium einfach zu stressig, noch nach Hause zu fahren.“ Volker Wartmann