Taxifahrer sollen auf Toilette helfen

■ Behinderte Frau wird nachts mit Notrufdienst abserviert / Sozialamt: „Das reicht aus“

Wenn Jasmin Haller (Name geändert) – sie ist aufgrund einer Muskelkrankheit schwer körperlich behindert und kann nicht alleine aufstehen – nachts zur Toilette muß, piept sie den Hausnotrufdienst des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) an. „Es kommt jemand“, heißt es dann von dort, und Frau Haller kann ab sofort darüber spekulieren, wer „demnächst“ihre Wohnungstür aufschließen wird.

Ein paar Auszüge aus Jasmin Hallers Nacht-Tagebuch:

–10. April: 19.10 Uhr gepiept, 19.55 Uhr immer noch keiner da.

–13. April: Drei mal Taxifahrer.

–20. April: Ein Zivi, zwei Taxifahrer.

Daß sie zuweilen bis zu anderthalb Stunden wartet, sei keine Seltenheit, erzählt die 24jährige Frau: „Und manchmal wäre auch eine Viertelstunde zu lang.“Dann stehen Fremde in ihrem Schlafzimmer, sie muß sich intim präsentieren. Manche der HelferInnen wissen gar nicht, wie sie helfen sollen. „Einmal war da ein Taxifahrer mit Gehbehinderung. Mit dem bin ich hingefallen und konnte meine Blase nicht mehr halten.“

Taxifahrer. Jeder Hausnotrufdienst habe eine Vereinbarung mit einem Taxiunternehmen, auf die man bei Engpässen zurückgreife, sagt Michael Schnepel, Leiter der Servicezentrale bei der Bremer AWO, Arbeiterwohlfahrt. Die AWO hat die Durchführung ihres Notrufs an die ASB delegiert. „Das ist ein Hintergrunddienst“, definiert Michael Schnepel den AWO-Notruf, „deshalb können da auch Hilfskräfte zum Einsatz kommen.“

Daß man aber bei Jasmin Haller nicht von „Notdiensten“sprechen kann, räumt Michael Schnepel durchaus ein. Frau Haller berichtet, Schnepel habe ihr gesagt, sie sei ausreichend versorgt. Gegenüber der Presse betont er: „Frau Haller benötigt eigentlich eine fachpflegerische Leistung. Die würde allerdings 45 Mark pro Einsatz kosten.“Man habe sie beantragt. Das Amt für soziale Dienste, AfSD – der Sozialhilfegeber – bewilligte jedoch nur zwei „Hilfsdienste“pro Nacht für je 35 Mark plus 30 Mark Monatspauschale für Jasmin Haller.

Diese Entscheidung fiel im Frühjahr '96. Schon damals hatte der Behindertenselbsthilfeverein „Selbstbestimmt Leben e.V.“für Jasmin Haller eine Anwesenheitsbereitschaft gefordert: Frau Haller brauche eine kompetente Person ihres Vertrauens, die ihr rund um die Uhr zur Verfügung stehe. Ähnlich der Individuellen Schwerstbehindertenbetreuung (ISB), die der alleinlebenden Rollstuhlfahrerin täglich zwölf Stunden en bloc Hilfe garantiert. Die Zivis Ingo und Jan helfen ihr beim Duschen, im Haushalt, beim Einkaufen, und eben auch bei den Toilettengängen.

„Wir kamen damals (vor einem Jahr) überein, daß nachts der mobile Dienst für Frau Haller genüge“, sagt der zuständige Sozialarbeiter beim AfSD, der nicht namentlich genannt werden möchte. Auf von „Selbstbestimmt Leben“eingereichte Widersprüche wurde demnach nicht reagiert. Jetzt – „weil mal wieder eine Standard-Überprüfung fällig war“, so der Sozialarbeiter – werde der Krankheitszustand von Jasmin Haller vom Gesundheitsamt neu untersucht. Denn auch die AWO hat inzwischen vorgeschlagen, die Individuelle Schwerstbehindertenbetreuung für Frau Haller auf die Nacht auszudehnen. Der Sozialarbeiter: „Es muß erst aus medizinischer Perspektive gesagt werden, ob es einen zusätzlichen pflegerischen Bedarf gibt. Und dann muß die Abteilung wirtschaftliche Hilfen beim AfSD entscheiden, ob wir Geld für diesen Einzelfall haben.“

Daß Jasmin Haller „nur“eine Einzelerscheinung ist, möchte Horst Frehe, Vorsitzender bei „Selbstbestimmt Leben“, nicht so stehen lassen. Der Jurist hat die Rechtsberatung für die junge Frau übernommen und spricht von einem besonders krassen Fall. „80 bis 90 Menschen in Bremen haben Probleme mit der Nachtbereitschaft. Es fehlt eine sinnvolle Organisation. Dabei wäre dies für 100 bis 130 Mark zu machen. Bremen hat den ambulanten Pflegebereich total vernachlässigt.“Frehe hat dem AfSD jetzt eine Untätigkeitsklage im Fall Haller angedroht. sip