Das Portrait
: Die radikale Mutter der Plaza de Mayo

■ Hebe de Bonafini

Als Hebe de Bonafini heute vor zwanzig Jahren zum erstenmal aus der Provinz in die argentinische Hauptstadt fuhr, um gemeinsam mit anderen Müttern auf der Plaza de Mayo öffentlich gegen das Verschwinden ihrer Kinder zu protestieren, war die Busfahrt von 40 Kilometern für sie „eine richtige Reise“. Inzwischen ist die bekannte Präsidentin der „Mütter der Plaza de Mayo“ mehrmals um die ganze Welt geflogen.

Am 30. April 1977 erschienen die ersten Mütter auf der Plaza de Mayo vor dem Präsidentenpalast und stellten die Frage, die ihnen weder Polizisten noch Gefängniswärter, noch die regierenden Militärs beantwortet hatten: Wo sind die Verschwundenen? Die „Madres de la Plaza de Mayo“ brachen das Schweigen über die Menschenrechtsverletzungen. Vor den Fernsehkameras der Welt wurden sie zur öffentlichen Anklage gegen Militärmachthaber Jorge Videla und seine Generäle.

Die Diktatur ist lange vorbei – doch die Mütter gehen weiter jeden Donnerstag auf ihren Platz. Denn die Schuldigen der Repression sind noch immer oder schon wieder auf freiem Fuß. Die Frage nach den verschwundenen Kindern und die Forderung nach der Bestrafung der Verantwortlichen ist für Hebe de Bonafini jedoch in den Hintergrund getreten. In ihrem kleinen Büro, das mit internationalen Auszeichnungen und Urkunden tapeziert ist, predigt die 69jährige Vorsitzende der „Vereinigung Mütter der Plaza de Mayo“ die „Rebellion gegen dieses tödliche kapitalistische System“.

Fundamentalismus wirft der Präsidentin eine Gruppe von Dissidentinnen vor, die sich vor elf Jahren von den „Müttern von Hebe“ abgespaltet hat. Zerbrochen sind die Mütter damals auch über der Frage, ob sie der Exhumierung und Identifizierung der Leichen von Verschwundenen zustimmen sollten. Die Präsidentin beantwortet diese Frage mit einem kategorischen Nein, und diejenigen, die auch nur erwägen, Entschädigungszahlungen anzunehmen, sind für sie Verräter.

Die Mütter, erklärt Hebe de Bonafini, haben die Mutterschaft sozialisiert. Und so ist für sie ein langgehegter Wunsch in Erfüllung gegangen: „Ich habe immer davon geträumt, viele Kinder zu haben. Jetzt habe ich 30.000 Kinder, die ich immer mehr liebe und denen ich mich immer näher fühle.“ Diemut Roether