Geschminkte Buhlerinnen im Projektstudium

■ Bremer HochschulstudentInnen führten Andre Campras Oper „L'Europe Galante“auf

Das waren noch Zeiten, als man sich um die Form der Oper öffentlich fetzte: Der Streit um den Vorrang der italienischen oder französischen Oper fand im 18. Jahrhundert nicht weniger als dreimal statt. Die erste und heftigste Auseinandersetzung war die um 1700. Der Musiktheoretiker Francois Raguenet fragte 1698: „Eine Oper, die aus Flicken und Lappen zusammengesetzt worden ist, kann nicht wirklich in Parallele gesetzt werden mit unseren Opern, mit Werken, die in ihrer Folgerichtigkeit, Genauigkeit und Haltung wunderbar sind“. Die Flicken und Lappen waren die italienische Oper, Folgerichtigkeit und Haltung sollten der französischen entsprechen. Doppeldeutiger äußerte sich 1722 der Theoretiker Johann Mattheson: Die italienische Musik gleiche „einer geschminkten Buhlerin, welche voller Lebhaftigkeit auf dem Sprunge steht“. Mitten hinein in diese heute kaum noch nachvollziehbaren Streitereien begaben sich jetzt unter der Leitung von Stephen Stubbs die TeilnehmerInnen eines Projektes an der Hochschule für Künste. Der vorläufige Höhepunkt: Die konzertante Aufführung der Oper „L'Europe Galante“von André Campra, der seinerzeit beide Stile zu verschmelzen versuchte.

Schade nur, daß es für das schöne Projekt der Studienrichtung Alte Musik noch nicht einmal den Ansatz einer theoretischen Information gab. Hoffentlich wird das nachgeholt, wenn es wie geplant gelingt, aus der Aufführung von „L'Europe Galante“ein szenisches Spektakel zu machen.

Nun also die konzertante Fassung des 1697 entstandenen Werkes, das die StudentInnen anhand des Erstdrucks einstudiert haben: „Das ist schwer, aber eine Erfahrung, die unbedingt gemacht werden muß, damit man nicht von späteren Ausgaben abhängig ist“, so Stephen Stubbs, der Leiter der ambitionierten, über zweistündigen Aufführung. Das bedeutet, daß die Tenöre im Tenorschlüssel und nicht im Violinschlüssel singen oder daß die Continuogruppe – „wie in der Popmusik“(Stubbs) – nach Zahlenangaben arbeitet.

„Die französische Deklamation verlangt Felixibilität, Schlankheit und eine große Beweglichkeit in der Stimme,“so Harry van der Kamp, der Gesangslehrer an der Hochschule und wie Stephen Stubbs Spezialist für Alte Musik. Die farbenreiche und lebhafte Aufführung mit zwölf SängerInnen und gut zwanzig InstrumentalistInnen hat einen Vorlauf von zwei Jahren: „Ich habe mit Vorlesungen angefangen,. Am Ende waren fast eine Woche von morgens bis Abends zusammen“.

Campras Werk lebt heute aus der Farbigkeit seiner Instrumentierungen, dem Schwung seiner Tänze, dem manchmal fast Karrikaturalen seiner Charakterisierungen. Sein Thema ist dreihundert Jahre nach der Uraufführung ein ganz eigenständiger politischer Beitrag zum Begriff Europa: Die allegorischen Figuren Venus und La Discorde streiten in einer Rahmenhandlung, ob die Liebe oder die Zwietracht stärker seien. Die Franzosen sind natürlich untreu und indiskret, die Spanier treu und stolz, die Italiener eifersüchtig und gewalttätig und der türkische Sultan ist nobel und hochmütig. Klar doch. Die Frauen fügen sich in die Verhältnisse.

Ute Schalz-Laurenze