Weniger arbeiten, okay. Weniger Lohn, na ja. Wenn sich IG-Metall-Chef Klaus Zwickel heute bei VW als Aufsichtsrat bestätigen läßt, wird er sich vor der Mitgliederbasis wohl rechtfertigen müssen – für seinen jüngsten Vorstoß, der vielen in der eigenen Organisation sauer aufgestoßen ist: die Forderung nach der 32-Stunden-Woche mit der Bereitschaft zu einem bedingten Lohnverzicht Von Walter Jakobs

Mehr Freizeit? Kein Bedarf!

„In einer Urabstimmung würden wir dafür heute keine drei Prozent bekommen.“ So faßt Ludger Hinse, der Bochumer IG-Metall- Ortsbevollmächtigte, die Reaktion auf den jüngsten Zwickel-Vorschlag zusammen. Auf bittere Klagen sei dessen Forderung nach der 32-Stunden-Woche an der Metallerbasis gestoßen. Zumal der Frankfurter IG-Metall-Chef seinen Arbeitszeitvorstoß auch noch mit der Bereitschaft zu einem bedingten Lohnverzicht verbunden habe. Mit einer solchen Forderung, da gibt sich Hinse überzeugt, „kann man in NRW keinen Blumentopf gewinnen“.

Im Auftrag der Ortsverwaltung, der Vertreter aus allen wichtigen Bochumer Metallbetrieben angehören, hat sich Hinse beim „lieben Klaus“ sogleich schriftlich über den „Alleingang“ beschwert. Auch Hans Reppel war von dem „Überraschungscoup“ zunächst „geplättet“. Eine solche Botschaft ohne jede interne Diskussion den Mitgliedern über die Medien vorzusetzen, hält der zweite Betriebsratsvorsitzende des Bochumer Opel-Werks für „absolut kontraproduktiv“. Ein „undemokratisches Verhalten“, das sich auch der Vorsitzende „der größten Einzelgewerkschaft der Welt nicht leisten“ könne. „Die Leute fragen uns doch“, so Reppel, „ob der Zwickel einen an der Mütze hat.“

Dabei zählt Reppel seit jeher zu den Befürwortern einer weiteren Wochenarbeitszeitverkürzung. Und er erinnert sich genau an den letzten Gewerkschaftstag der IG Metall im Jahr 1995. Damals hatte Zwickel noch vehement gegen die von Reppel und anderen geforderte Orientierung in Richtung 30-Stunden-Woche gestritten und die Ablehnung eines entsprechenden Antrags durchgesetzt. Und jetzt diese Wende?

Nach diesem Auftakt, so fürchtet Reppel, könne die ganze Sache leicht zum „Flop“ werden. Eine Akzeptanz für Lohnverzicht sei im übrigen in der Automobilindustrie, „wo die Gewinne explodieren und das Personal dauernd weiter abgebaut wird“, ohnehin nur dann denkbar, „wenn im Umfang der Arbeitszeitverkürzung ganz konkret Neueinstellungen vereinbart“ würden. Den „Schwindel“, daß Arbeitszeitverkürzung hauptsächlich in Arbeitsverdichtung und nicht in Neueinstellungen münde, mache „keiner mehr mit“.

Was für die relativ gut bezahlten Automobilbauer unter den von Reppel skizzierten Bedingungen noch möglich erscheint, schließt der Duisburger IG-Metall-Chef Peter Gasse für den Stahlbereich schlicht aus. Bei den in der Stahlbranche gezahlten Löhnen, so Gasse, „sehe ich überhaupt keine Chance, die Leute für eine 32-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich zu mobilisieren“. In der Diskussion mit der Mitgliederbasis zeige sich sehr konkret, „daß zusätzliche Freizeit als solche keinen Stellenwert mehr hat“. Statt sich auf die pauschale 32-Stunden-Woche zu orientieren, plädiert Gasse für einen „Blumenstrauß“ von Arbeitszeitverkürzungsinitiativen, um eine nach Branchen und Beschäftigtengruppen „differenzierte Politik“ zu ermöglichen. Dabei müsse zunächst der „absolute Schwerpunkt“ auf eine Vereinbarung zur Altersteilzeit liegen.

Zahlreiche Anhänger dieser „Blumenstrauß“-Fraktion finden sich auch im IG-Metall-Bundesvorstand. Zu ihnen zählt Zwickels Stellvertreter Walter Riester ebenso wie der mächtige nordrhein-westfälische Bezirkschef Harald Schartau. „Bevor sich die IG Metall auf eine Forderung kapriziert, die uns Gott und Teufel zum Gegner machen wird, sollte sie genau prüfen“, so Schartau in der vergangenen Woche, ob sich seit dem Beginn des Kampfs um die 35-Stunden-Woche 1984 „Veränderungen in Wirtschaft und Politik ergeben haben, die die Wirkung einer 32-Stunden-Woche anders ausfallen lassen als erhofft“. Er glaube nicht, so fügte der Chef des größten IG-Metall-Bezirks in Deutschland hinzu, „daß wir am Ende diesen Weg gehen“.

Darauf, daß sich diese Prognose nicht erfüllen möge, hofft der Hattinger IG-Metall-Ortsbevollmächtigte Otto König, der auch dem Bundesvorstand angehört. Angesichts der wachsenden Lücke zwischen Wachstum und Produktivitätsentwicklung sei eine weitere Arbeitszeitverkürzung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit einfach „unverzichtbar“. Wohin die Reise geht, wird letzlich auf einer tarifpolitischen Konferenz der IG Metall im Frühjahr nächsten Jahres vorentschieden. Danach legen die einzelnen Tarifkommissionen ihre Forderungen für die Tarifrunde 1999 fest. Bis dahin, so König, müsse „klar sein, ob die Mitglieder diesen Kurs tragen“. Ansonsten könne man sich „die Forderung ersparen“.

Von dem durch Zwickel ins Gespräch gebrachten Lohnverzicht hält König zwar nichts, aber in die harsche Kritikerfront mag er sich dennoch nicht einreihen. Immerhin sei durch dessen Vorstoß „die Debatte überhaupt wieder angestoßen worden“. Was am Ende dabei herauskomme, sei im übrigen längst nicht ausgemacht: „Das ist ein völlig offener Prozeß.“