Mit Qat, Spucknapf und Wasserflasche

Wahlkampf auf jemenitisch. Erstmals nach dem Bürgerkrieg von 1994 gehen die Jemeniten morgen zu den Urnen. Die Sozialisten boykottieren die Wahl. Profitieren könnten die Islamisten  ■ Aus Sanaa Karim El-Gawhary

Die Luft steht vom Rauch der Zigaretten und Wasserpfeifen. Um einen Berg von grünen Qat- Blättern, dem hiesigen Rauschmittel, einem Dutzend Spucknäpfen und etlichen Wasserflaschen sitzt eine Gruppe von 50 Männern, unter ihnen der Kandidat der Regierungspartei, und debattiert sich die Köpfe heiß.

Wenn am nächsten Sonntag 4,5 Millionen Wähler im Jemen, dem südlichsten Land der arabischen Halbinsel, zu den Urnen gerufen werden, dann wird Ali Muhammad Usrub, der Kandidat des regierenden Volkskongresses im Wahlkreis Nummer 14 der Hauptstadt Sanaa, 52 solcher Qat-Sitzungen hinter sich gebracht haben. Drei bis vier schafft er am Tag, das sieht man schon seinen professionellen Kaubewegungen an. Seine linke Wange, gefüllt mit den belebenden Blättern der Qat-Pflanze, ist zu einer beachtlichen Größe angeschwollen. Usrub, ein ehemaliger Innenminister, will als einer der 301 Gewinner nächste Woche erneut ins jemenitische Parlament einziehen.

Zur Debatte steht so ziemlich alles, von der nationalen Einheit bis zu Beschwerden über die ständigen Stromausfälle im Viertel. Zwischendrin preist ein örtlicher Parteipoet in einem Gedicht die Errungenschaften des Volkskongresses, nicht ohne sich zwischendrin am Qat zu verschlucken. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem einer der Wahlhelfer noch einmal den Wahlzettel hochhält. Die Sache ist äußerst einfach: „Macht euer Kreuzchen beim Pferd.“ Damit auch gar nichts schiefgehen kann, deutet er noch einmal auf das Symbol des Kandidaten. Die potentiellen Wähler sind auf Sitzkissen gebettet in einem „Mafrasch“ – dem in jedem jemenitischen Haus obligatorischen Salon.

Niemand im Mafrasch, ja, im ganzen Land zweifelt an einem erneuten Wahlsieg der Partei des Volkskongresses von Präsident Ali Abdallah Saleh. Nach dem jemenitischen Bürgerkrieg vor drei Jahren, der das Land erneut in einen nördlichen und südlichen Teil zu spalten drohte, geht es für die Regierung um mehr als einen Wahlsieg. Die Wahlen sollen die Einheit des Landes unterstreichen. Die Regierung in Sanaa will sich als Vertretung des ganzen Landes ausgeben.

Die sozialistische Partei aber, bisher drittgrößte Partei des Landes und allgemein als Vertreterin des Südens angesehen, hat beschlossen, den Wahlen fernzubleiben. Man wolle die Ergebnisse des Krieges nicht legitimieren, hieß es nach der auch unter Sozialisten umstrittenen Boykottentscheidung. Es waren vor allem die Parteikader im Süden, die für einen Boykott stimmten. Die meisten Sozialisten wurden nach dem Krieg aus dem Verwaltungsapparat und dem Militär gedrängt. Einige der ehemaligen Parteikader haben sich ins Exil geflüchtet. Aufrufe der Oppositionsparteien an die Regierung, noch vor den Wahlen eine echte Versöhnung einzuleiten, verhallten ungehört.

„Inzwischen ist das fast ein psychologisches Problem, in dem alles Schlechte der Welt der jemenitischen Einheit und der nördlichen Dominanz in die Schuhe geschoben wird“, erklärt der Politologe und Menschenrechtler Muhammad Abdel Malik Al-Mutawakil. Als vor einem Jahr im südlichen Hadramaut zwei aus dem Norden stammende Zivilpolizisten ein Mädchen vergewaltigt hatten, geriet das Wüstental in Aufruhr. Die Vergewaltigung, eigentlich ein Fall fürs Strafgericht, eskalierte schnell zur Staatskrise. Die Regierung in Sanaa mußte sich die Ruhe mit Subventionen für die Region Hadramaut erkaufen.

Im politischen Ränkespiel des Jemen fungierten die Sozialisten als Gegengewicht zur zweitgrößten Partei des Landes, der Islah, der islamistischen Reformpartei. Die hofft nun, das von den Sozialisten hinterlassene Vakuum auszufüllen. Islahs Programm ist relativ einfach. Die Korruption müsse bekämpft und der Staatsaufbau gefördert werden, mit dessen zentraler Macht dann die Scharia, das islamische Recht, eingeführt werden soll. Frauen sollen zurück an den Herd. Einer der Hauptstreitpunkte zwischen der Islah und dem Volkskongreß sind die sogenannten Wissenschaftlichen Institute, Bildungseinrichtungen, die parallel zum staatlichen Schulsystem direkt von den Islamisten kontrolliert werden. Dieses System will die Islah erhalten. Der Volkskongreß fordert dagegen eine Vereinheitlichung des Schulsystems, sprich: eine Eingliederung der Wissenschaftlichen Institute unter staatliche Kontrolle.

Die neu entbrannte Konkurrenz zwischen den bisherigen Koalitionspartnern, dem Volkskongreß und der Islah, bestimmte den Wahlkampf. Nicht nur auf den Straßen Sanaas war zwischen beiden Seiten ein Krieg der Kassetten entbrannt. Mehrere Musikgruppen der Islah texteten einige traditionelle jemenitische Lieder um. Statt von Liebe handeln sie nun vom unislamischen Volkskongreß und der darnieder liegenden Wirtschaft. Musikgruppen des Volkskongresses antworteten mit einer Gegenversion.

Am späten Nachmittag – zu vorgerückter Qat-Stunde – bewegt sich einer der zu einem Lautsprecherwagen umgebauten Jeeps, beklebt mit Wahlpostern, langsam durch die Gassen des Bezirks Nummer 14. „Der Sieg ist unser“, verspricht der Fahrer, in angedröhntem Qat-Zustand. Um sicherzugehen, dreht er aber noch ein paar Runden. Der Wahlbezirk ist bekannt als der „Bezirk der Rache“. Vor vier Jahren hat hier der Generalsekretär und Chefideologe der Islah, Abdel Wahab Al- Anisi, eine Niederlage einstecken müssen. Seitdem sinnt die Islah auf Begleichung der alten Rechnung.

Trotz aller hitzigen Qat-Wahlkampfsitzungen und dem tausendfachen täglichen Einsatz von Propagandakassetten, das Ergebnis der Wahlen steht jetzt schon fest. Der Volkskongreß wird den größten Teil des Kuchens für sich sichern, während die Islamisten sich als zweitgrößte Partei behaupten werden. Die Sozialisten haben sich ins politische Abseits manövriert. Fraglich ist freilich, wie bedeutend das Parlament ist. „Am Ende“, sagt Al-Mutawakil „sind es nach dem vierjährigen Experiment des Vielparteiensystems bis heute nicht die Parteien, sondern zwei andere Institutionen, die in diesem Land wirkliche Autorität schaffen: die Armee und die Stämme.“