Ein roter Faden durch die Disziplinen

■ Der neue Studiengang Gender Studies wird im nächsten Wintersemester an der Berliner Humboldt-Universität erstmals angeboten. Ein Gespräch über die Ziele des neuen Faches

Gender Studies ist ein bundesweit einzigartiger Studiengang. In den USA ist das Fach bereits seit Jahren selbstverständlich. Gender Studies sollen sowohl als eins von zwei Hauptfächern als auch als Nebenfach studiert werden können. Die taz sprach mit der Organisatorin Christina von Braun, Dekanin der Philosophischen Fakultät III der Humboldt-Universität.

taz: In Berlin gibt es neun Institute für Frauenforschung. Was kann ein Studiengang „Gender Studies“ dem noch hinzufügen?

Christina von Braun: In den Gender Studies versucht man, die verschiedenen Kategorien von Geschlecht, die auf kulturell-symbolischer Ebene eine Rolle spielen, zu erfassen. Dabei geht es zum Teil um das biologische Geschlecht und darum, welche Konsequenzen es für Männer und Frauen hat – bei der Verteilung von Arbeit, Mitteln, Macht. Aber auch die kulturelle Codierung von Geschlechterbildern spielt eine Rolle. Sie finden in allen politischen und historischen Zusammenhängen immer wieder sexuelle Symbolisierungen, die ungeheuer einflußreich sind.

Zum Beispiel?

Nehmen Sie die Bedeutung von Sexualbildern in der Geschichte des Antisemitismus: Der Jude wird sehr häufig als Rassenschänder dargestellt. Gender Studies versuchen, die Mechanismen für diese Zuschreibungen zu hinterfragen – und natürlich auch die Wirkung dieser Bilder.

Das tut Frauenforschung nicht?

Die kümmert sich natürlich auch um die biologische und kulturelle Ebene. Aber der Blickwinkel ist meist ganz spezifisch auf weibliche Interessen gerichtet.

An wen richtet sich der Studiengang?

Ich denke, daß viele Studenten heute begriffen haben, daß es kaum einen Bereich gibt, der nicht zutiefst geprägt ist von Geschlechterfragen. Deswegen rechnen wir auch mit einem breiten Interesse – auch von Männern.

Für welchen Berufsweg böte sich ein Studium der Gender Studies denn an?

Heute studiert höchstens ein Drittel der Leute noch auf ein bestimmtes Berufsziel hin. Von den Philosophiestudenten zum Beispiel werden etwa zwei Prozent ins Lehramt gehen. Alle anderen haben kein konkretes Berufsziel. Das gilt für einen Gutteil der Geisteswissenschaften: Die Studenten studieren, weil sie Interesse haben. Sie möchten begreifen, nach welchen Gesetzen wir leben.

Gender Studies wird nicht als Fachbereich eingerichtet, sondern als Kooperation von neun Fakultäten – von den Geisteswisenschaften bis zu Jura und Medizin. Welche Vorteile erhoffen Sie sich von dieser ungewöhnlichen Struktur?

Es geht ja darum, daß die Studierenden begreifen sollen, wie zum Beispiel Rechtswissenschaft und Medizin zusammenhängen, wie Paradigmen sich in diversen Disziplinen reproduzieren. Gender Studies sind quasi ein roter Faden. Nichts verbindet alle diese Disziplinen so deutlich wie die Geschlechterfrage. Wir wollen mit dem Studiengang auch wissenschaftskritisches Potential in die Fächer hineintragen.

Im Vordergrund steht aber der feministische Anspruch.

Er wurde von Feministinnen erstmals formuliert. Aber er ist heute auch unter Männern sehr verbreitet. Gerade in der Schwulenforschung gibt es ganz viele Werke, die sich mit kulturellen Mustern beschäftigen. Und die Frage nach der Bedeutung von Geschlecht wurde schon um die Jahrhundertwende gestellt – von männlichen Ärzten wie Magnus Hirschfeld oder Iran Bloch.

Wie erklären Sie sich, daß das Fach in den USA schon seit zwanzig Jahren angeboten wird und erst jetzt in Deutschland?

Einerseits gibt es natürlich in den USA eine sehr aktive Frauen- und Schwulenbewegung. Ich glaube aber auch, daß es einen spezifisch deutschen Grund gibt: Deutsche Universitäten haben eine sehr starke nationale Tradition. Der einzige gemeinsame Nenner für dieses sehr heterogene Land waren immer die geistigen Gebiete. Deshalb sind diese sehr traditionalistisch und schwerfällig. Die deutsche Universität war nie eine Spielwiese des Denkens. Interview: Jeannette Goddar