„Save the vinyl – fuck CDs!“

■ 85 Prozent aller DJs in Bremen schwören auf Schallplatten, schwört DJ Jost Spradau

Jost Spradau legt in der Bremer Diskothek Moments als Chef-Disk-Jockey Platten auf. Streng nach dem Ehrenkodex: „CDs nur, wenn's gar nicht anders geht.“Der DJ schwört auf „die guten, alten Vinyl-Scheiben“. 4.000 bis 5.000 Stück hat er zu Hause. Weitere 50 bekommt er pro Woche als Muster von den Plattenfirmen zugeschickt. Spradau hat den Job von einem amerikanischen Rapper gelernt. 1988 stieg er selbst als DJ mit einem alten Plattenspieler ein. Heute hat er 3.000 Scheiben in seinem Programm. „Von James Brown aus dem Jahr 1965 bis zur neuesten House-Platte.“Die taz sprach mit Jost Spradau über seine Liebe zu Vinyl-Platten, über die Bremer DJ-Szene und wo die „Profis“ihre Platten in Bremen kaufen.

taz: Die Elektroindustrie hat die Schallplatte bereits vor ein paar Jahren beerdigt. Trotzdem legt der „Resident-DJ“vom Moments nur Vinyl auf. Warum?

Jost Spradau, DJ: Man hat bei Schallplatten – vor allem beim Mixen – einen schnelleren Zugriff, weil man optisch sieht, wo sich die Nadel befindet. Die Platte ist schattiert – dunkle Stellen sind Breaks. Ruhige Passagen oder nur ein Baßlauf zum Beispiel. Bei der CD hab ich nur eine digitale Anzeige, die runterläuft. Ich müßte also hunderte Zeiten im Kopf haben, wo ich Stücke beenden oder mixen kann.

Wird denn noch viel gemixt?

Das kommt auf die Musik an. Bei Funk und Soul nimmt man lieber die harmonischen Übergänge, oftmals mit A-Capella-Intros. Bei Stücken, die auf Takt liegen, wie etwa House oder der komplette Dance-Floor-Bereich, werden die Platten so produziert, daß sie mit reinem Rhythmus beginnen. Die kann man bestens mixen. Das ist wichtig für die Stimmung in der Disko, weil der Tanzfluß stets durchgeht. Die Leute können also abtanzen, bis sie umfallen.

Wie groß ist der Anteil der „Vinyl-Junkies“in der Bremer DJ-Szene?

Der liegt inzwischen wieder bei 85 Prozent. Das ist zwar bei dem Umsteigen der Major-Labels auf CD vor ein paar Jahren geschrumpft, hat sich aber inzwischen wieder erholt. Das liegt aber auch daran, daß es oft bestimmte Produktionen aus Amerika und jetzt verstärkt aus Frankreich gar nicht auf CD gibt. So zum Beispiel die Draft-Phunk-Welle, die zur Zeit aus Frankreich auf uns zurollt – eine Variation von House mit E-Gitarre. Das ist vielfach nur auf Vinyl zu haben. Es gibt unter den DJs Ausnahmen aus oft ganz einfachen Gründen. Im Aladin werden zum Beispiel nur Tapes gefahren. Das liegt an der großen Lautstärke, wo selbst CDs springen würden. In fast allen anderen Diskos wie Moments, Scala oder Delight wird mit Platten- und CD-Spielern gearbeitet. Nur in den Groß-Diskos wie Capitol oder Arena stehen ausschließlich CD-Player.

Aber so viele DJs arbeiten doch nicht nur wegen der Vorteile beim Mixen mit Vinyl.

Das ist nicht der einzige Grund. Der Sound ist voluminöser, wärmer. Die CD klingt synthetisch, weil sie extreme Höhen produziert.

Kann ich das überhaupt hören – bei Lautstärken weit jenseits der 100-Dezibel-Marke?

Ja, die CD schmerzt in den Ohren. Die Platte klingt nicht so agressiv. Weitere Vorteile neben dem Mixen: Ich kann mit der Platte scratchen und pitchen. Auch das geht mit der CD nicht vernünftig.

Wie ist die Ausstattung in den Bremer Diskotheken? Welche Ansprüche muß die Anlage erfüllen?

Man braucht ein gutes Mischpult. Da gibt's in der Szene eigentlich nur zwei – von Pioneer und Rodek. Und dann müssen zwei Technics-Plattenspieler da sein. Die haben seit Jahren Kult-Status. Sie sind direkt angetrieben und haben in 0,6 Sekunden ihre Endgeschwindigkeit. Das heißt, ich lege die Platte auf eine sogenannte Flip-Mat, halte sie mit dem Finger fest und wenn ich loslasse, ist sie sofort auf ihrer Endgeschwindigkeit. Sonst könnte man die Beats nicht übereinanderlegen und damit taktgleiche Übergänge schaffen. Darum müssen die Plattenspieler auch Geschwindigkeitsregler, die Pitch-Control, haben.

Welche Bremer Diskotheken haben diese Ausstattung?

Eigentlich alle – sonst würden die guten DJs wegbleiben. Nur den Kopfhörer, den bringt man selber mit. Und manchmal bastelt man selber ein bißchen an der Ausstattung. Ich hab zum Beispiel im Moments die Plattenspieler auf Fahrrad-Reifen gelagert. Dadurch springt die Nadel jetzt nicht mehr. Das war vorher ein echtes Problem, weil die Musik-Anlage in der alten und etwas wackeligen Sektbar montiert ist.

Wie kommt man in Bremen an die Platten?

Da gibt's eine Handvoll guter Läden in Bremen. Da sitzt zum Beispiel in der Neustadt das Typhoon. Die sind spezialisiert auf Black-Music. Das heißt Swing-Beat, Hip-Hop und Drum and Bass. Nebenbei gibt's da noch House und Techno. Dann liegt ebenfalls in der Neustadt das Lush-Records. Die sind spezialisiert auf House, Progressive-House und Techno. Ein kleines aber feines Vinyl-Angebot haben die in ihren Regalen.

Versuchen die Major-Labels nicht, die Platte zu verdrängen und bringen nur CDs raus?

Nein. Da sich ungefähr 80 Prozent aller DJs mit Vinyl bemustern lassen, haben die gar keine Chance. Selbst die neueste Platte von Michael Jackson bekomme ich als Schallplatte. Der DJ-Mark ist schließlich ein Riesen-Markt und Werbeträger. Wenn das anders wäre, würde wahrscheinlich keine einzige Vinyl-Scheibe mehr gepreßt. Aber so schnell ist das Vinyl nicht totzukriegen. Die Plattenfirma, die sagt, wir pressen kein Vinyl mehr, die schießt sich ein dickes Eigentor. CDs werden einfach boykottiert. Da gibt es einen richtigen Ehrenkodex. Ich spiele keine CDs. Einschränkend muß ich aber sagen, daß man inzwischen viele Platten nur noch als US- oder UK-Importe kriegt. Fragen: Jens Tittmann