Ein toller Beibringer

■ Wie man Verse macht und Lieder: Wolf Biermann hat seine Düsseldorfer Poetik in acht Gängen herausgegeben

Er spricht keine akademikerdürre Dinosprache, sondern einen knorke Fäkalslang. Er schimpft und flucht und hat astreine Überzeugungen im Gepäck. Doch Biermann als Dozenten zu erleben, war bisher wenigen Auserwählten vorbehalten. Jetzt sind seine Poetikvorlesungen als Buch erschienen.

Der Versuch des Büchner- Preisträgers, eine Wissenschaft aus seinem Wissen zu machen, ohne allzu wissenschaftlich zu sein – weshalb Plato drin vorkommt, Newton, Kopernikus und Kant, aber auch seine Oma Meume, total nette Arbeiter und fiese Stasispitzel –, dieses Buch der „subjektivsten Unart“ besticht nicht allein durch den juvenilen Jargon. Der Liedermacher ist auch ein toller Beibringer.

Eine didaktische Meisterleistung schon seine Grußadresse: „Abwägende Damen, geneigte Herrn Studenten, herrische Medienknechte, willkommene Kiebitze und respektierte Kenner, junge Damen, verehrte alte Mädchen, junge Herrn und bejahrte Knaben...“ Was für ein Pauker!

Doch Biermann nimmt seine Hörer auch ziemlich hart ran: „Eine reguläre Vorlesung an der Universität dauert 'ne dreiviertel Stunde, dann Pause, und dann kommen nochmal 45 Minuten. Jede dieser acht Düsseldorfer Vorlesungen dauerte aber in der Regel um die drei Stunden, und Pausen gab es keine. Was es gab: tiefe Neugier, intelligentes Gelächter und frische Gedankenluft.“

Vor allem letzteres. Biermann verfügt über die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge spitzenmäßig so zusammenschnurren zu lassen, daß man intelligent darüber lachen kann anschließend. Oder immer mal zwischendurch, wenn er wieder einen superaffentittengeilen Witz gemacht hat. Ab und an läßt er locker einen fahren oder rülpst kurz und bündig: „Wie soll man einen nassen Furz auf die Mistforke nehmen?“ Und wieviel Dichtung, wieviel Wahrheit steckt in einem lyrischen Ich? Was ist politisch, was privat in der Poesie? Ist Musik eine Hure, die mit jedem Text geht? „So viele Fragen, so wenige Antworten.“

Antworten gab's schließlich in der DDR genug. Biermann reichen vier: 1. Einen nassen Furz (s.o.) kann man nicht auf die Mistforke nehmen. Eher geht ein Haufen Scheiße durchs Nadelöhr. 2. Inhalt kommt vor Form. Letztere schnürt den Leuten nur die Luft ab. 3. Der Dichter darf kein abgefeimtes Arschloch sein. So wie Heiner Müller. Singen hätte der nicht können mit seinem „zerdeutschten Ich“. 4. Der Dichter darf die Welt nicht direkt abbilden.

Und trotzdem: Zugriff muß schon sein, und den demonstriert Biermann am liebsten an sich selbst. Wenn zu seiner Kunst noch das „hochgestochene Grau in Grau“ des Meisters Brecht tritt, dann ist das Ergebnis in jedem Fall – ein starkes Werk: „Ich schrieb unmittelbar vor Stephan Hermlins denkwürdiger Dichterlesung... das vielleicht ehrlichste und kunstloseste DDR-Gedicht...“ – „Ich habe in balladesken Spottliedern meine allmächtigen Feinde mit sicheren Hieben gelegentlich gut getroffen und manchen Großlumpen elegant enthauptet, das weiß alle Welt.“ Auch Hanns Eisler, dem Biermann mal vorspielen durfte und der hernach hin und weg war von des Rüpels Sangeskunst: „Und nun nannte Hanns Eisler mich schon schenial – ein Wort, das Sie nicht irritieren soll, denn der Wiener Eisler sprach es wienerisch aus, und so bedeutet es überhaupt gar nichts.“

Runtergegangen ist's ihm trotzdem wie Butter, dem Biermann, dem alten Querkopf. Genau das hat er in der DDR gelernt: unartig zu sein, ein markantes Individuum abzugeben. Sein Pech: Als sie ihn rausschmissen, ließ er mit dem alten Feind eben jene Renitenz zurück – und schon interessierte sich niemand mehr für ihn. Biermann- Werke, ob neue CD oder diese „Poetik in acht Gängen“, sind immer auch Schreie nach verlorener Wichtigkeit. Nach Aussage. Aber was ist er heute? Ein Sozialist? Nein. Ein Humanist? Auch nicht. „Ein Schütze Arsch im Freiheitskrieg der Menschheit?“ Fast. Ein Subjekt? Irgendwie schon. Vor allem aber eines: „Ich bin ein Mensch“, „ein freier Mensch in einer freien Gesellschaft“.

Deshalb geht ihm auch alles so flott und frei und ohne Zweifel vom Katheder. Beim Brecht- Mann Biermann „ringt“ nichts um „Ausdruck“, er hat es einfach raus. Wer zögert und tastet, den macht er gnadenlos alle. Weshalb der Formverächter schon einst Peter Handke zusammenschlagen wollte. Dabei hätte er viel von Handke lernen können. Daß es subjektive Authentizität überhaupt gar nicht gibt zum Beispiel. Daß auch das Echte konstruiert ist. Daß all seine Erfahrungen, mögen es noch so bittere gewesen sein, literarische bleiben. Daß Aufrichtigkeit, das wußte schon Rousseau, den er recht oft erwähnt, nicht kommunizierbar ist.

„Die sechziger Jahre, das war seine Zeit“, erinnert sich Heiner Müller in seiner Autobiographie. „Er war ja Assistent am Berliner Ensemble und schrieb immer sehr schöne Regie-Berichte.“ Später schrieb Biermann unschöne Dinge über die „zerfledderte“ Frau Inge. Aber das ist nochmal eine andere Geschichte. Markus Heidingsfelder

Wolf Biermann: „Wie man Verse macht und Lieder“. Kiepenheuer & Witsch, 352 Seiten, 45 DM