Subversive Vernunft

Ein neues Buch gibt Ratschläge, wie man mit Fundamentalisten reden kann, ohne völlig verrückt zu werden  ■ Von Sven Kramer

Fundamentalisten wohnen in Algerien oder im Iran, jedenfalls weit weg, sie schneiden anderen die Kehle durch, sprengen ihre Gegner durch Selbstmordkommandos in die Luft, um den wahren Islam zu verbreiten. So oder ähnlich sieht das Bild aus, das viele Medien vom Fundamentalismus zeichnen. Wie selbstverständlich werden die Europäer zu Vorreitern des zivilisatorischen Fortschritts, dem andere erst mal nachstreben sollten.

Von diesem Podest herunter läßt es sich gut urteilen. Doch Hubert Schleichert macht das Spiel nicht mit. Er greift alle fundamentalistischen Ideologien an und verurteilt jegliche Gewaltakte, die deren fanatische Adepten ausüben, doch zieht er nicht besserwisserisch über fremde Verhältnisse her, sondern kritisiert die eigenen.

Das Christentum brachte eine Reihe fanatischer Fundamentalisten hervor: Leute wie Augustinus und Calvin, die nach allen Regeln der logischen und der rhetorischen Kunst plausibel zu machen versuchten, daß Glaubensabtrünnige auszugrenzen oder gar zu liquidieren seien. „Fanatismus“, sagt Schleichert, „ist Inhumanität im Namen hoher Ideale.“

So wurde im Europa der frühen Neuzeit noch die Hexenverfolgung argumentativ abgesichert. Raserei und emotionale Enthemmung spielten kaum eine Rolle. Selbst Fanatiker haben ihre Prinzipien: „Jedem Fanatismus liegt das Prinzip zugrunde, daß die Wahrheit durchgesetzt werden dürfe und müsse – wenn nötig mit Gewalt – und daß die eigenen Parteigänger im Besitz der Wahrheit seien.“

Schleichert läßt keinen Zweifel daran, daß der Fundamentalismus aus Europa nicht verschwunden ist: „Spätestens seit 1991 das Gemetzel auf dem Balkan begann, weiß man es besser. Die Höhe von Wissenschaft und Technik war niemals eine Garantie gegen Fanatismus.“ Als gut dokumentiertes historisches Lehrstück wählt er zwar das Christentum, der Sache nach greift sein Buch aber weit über die Religionen hinaus.

Schleichert, der Konstanzer Philosophieprofessor, sieht nämlich im Fundamentalismus die besonders konsequente Spielart einer Ideologie, nicht deren Verfälschung. Ideologien legen starre, nicht hinterfragbare Glaubenssätze zugrunde. Sie entziehen sich damit jeder Diskussion, denn diskutiert werden kann nur dort, wo die implizit oder explizit erhobenen Geltungsansprüche argumentativ überprüft werden können. Wo sich die Kontrahenten weigern, ihre Grundannahmen zu befragen, bleibt jede vernunftbegabte Argumentation nutzlos. Glaube steht dann gegen Glaube, Prinzip gegen Prinzip.

Lustig mag das sein, wo Fans – also fanatics – des FC Schalke 04 und Borussia Dortmunds aufeinandertreffen, ärgerlich wird es bei Esoterikern, Astrologen und Sekten; doch wo politische Glaubensbekenntnisse aufeinanderprallen, kann es lebensbedrohlich werden.

Wie aber soll man mit Leuten umgehen, die einerseits ihre Glaubenssätze nicht zur Disposition stellen, andererseits keine Toleranz gegenüber Andersdenkenden üben? „Man muß dem Fundamentalismus zuvorkommen.“ Sobald er an der Macht ist, herrscht Terror und die verbale Auseinandersetzung ist beendet.

Nachdem Schleichert knapp die Grundzüge der philosophischen Argumenatitonstheorie vorgetragen hat und beispielreich einige Varianten der Kritik am Fundamentalismus Revue passieren ließ, kommt er auf den seiner Meinung nach aussichtsreichsten Umgang mit dem Fundamentalismus zu sprechen: auf die subversive Vernunft.

Durchaus unausgewogen nimmt er in seinem engagierten Traktat dabei für die Aufklärung, also für die Toleranz Stellung und führt eine ethische Richtlinie seines Handelns ins Feld: „Niemand soll, im Namen welcher Religion, Ideologie oder Ideale auch immer, bedrängt, geängstigt, verhöhnt, materiell beeinträchtigt, seiner Freiheit beraubt, gefoltert oder ermordet werden.“ Wer diesen Satz „nicht vorbehaltlos unterschreibt, mit dem zu reden verlohnt sich nicht“. Dem muß man anders kommen.

Wie Voltaire, dessen subversive Kritik am Christentum Hubert Schleicherts Paradefall ist. Sehr schlau nimmt Voltaire die Position eines rechtgläubigen Christen ein und zeichnet alle Wunder nach, die in der Bibel etwa über die Sintflut berichtet werden. Zum Beispiel, daß Noah die Tiere aus der ganzen Welt zusammentrommeln und sie sechs Monate lang in seiner Arche ernähren konnte. Voltaire widerlegt nichts, präpariert aber gerade dadurch die Absurdität des Bibeltextes heraus.

Seiner Subversion geht es nicht um logisch zwingende Argumente, sondern eher um das Überreden als das Überzeugen. Voltaire will aber nicht die Fundamentalisten bekehren, er hat es auf die Beeinflussung des unentschiedenen Publikums abgesehen.

Interessant, daß Schleichert gerade hier Anleihen bei der Rhetorik macht, die zwar mit der Argumentationstheorie verwoben ist, aber oftmals scheel angesehen wurde, weil sie so wenig logisch und so wenig formalisierbar ist. Beispielhaft greift er subversive Textverfahren wie die Verfremdung, die Substitution, die Bagatellisierung und die Karikatur auf. Und zu welchem Zwecke?

„Ideologien werden nicht widerlegt oder besiegt, sondern sie werden obsolet, ignoriert, langweilig, vergessen.“ Hubert Schleichert ist überzeugt davon, daß die subversive Kritik der Ideologien sie mürbe macht und letztlich ihren Sturz herbeiführt. Daraus spricht ein selten gewordenes Vertrauen in die Aufklärung. Welchen Anteil andere Kräfte, etwa sozioökonomische, am Verfall von Ideologien haben, diskutiert Schleichert nicht. Zu befürchten ist, daß er der subversiven Kraft der Argumente letztlich zuviel zutraut.

Hubert Schleichert:

„Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren. Anleitung zum subversiven Denken“.

C. H. Beck Verlag,

München 1997,

196 Seiten, 29,80 DM