Ob heeß, ob gühl, 's gibt kee'n zweet'n Brühl

■ Die Niddastraße im Schatten der Bankentürme ist Frankfurts Pelzmeile. Hier war lange Sächsisch Amtssprache, denn viele Händler kamen nach dem Zweiten Weltkrieg aus Leipzig

Am späten Vormittag, gegen elf Uhr, erwacht die Straße zum Leben. Ein Lkw nach dem anderen fährt vor, Fellbündel werden über die Straße getragen, Korbwagen mit Persianern, Silberfüchsen, Nerzen rollen durch Hofeinfahrten zur Straße. Spediteure rangieren Kleiderstangen mit Pelzmänteln zwischen parkenden Autos.

Das Treiben bleibt von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, obwohl die 200 Meter lange Straße im Herzen Frankfurts liegt, im Schatten der Bankentürme. Die Niddastraße ist eine Sackgasse mit gesichtslosen Nachkriegsfassaden. Hier kommt keiner zufällig hin.

Hinter grauen Mauern verbirgt sich das Zentrum eines Geschäfts mit haarigen Sachen. Dem Pelz. Kaum ein Wirtschaftszweig dokumentiert den Wertewandel der Konsumgesellschaft nach dem Krieg so eindrücklich wie die Rauchwarenbranche. Vom Symbolbild des Luxus in Wirtschaftswunderzeiten zum Synonym für Überfluß schlechthin.

Theodor Uhlig ist Pelzhändler. Seit 40 Jahren hat er sein Geschäft in der Niddastraße. „Die Pelzbranche hat harte Zeiten hinter sich“, sagt er. Die Kampagnen der Tierschützer, die Farbbeutel auf Pelzschauen, die Berichte der Journalisten über die Pelztierhaltung in engen, verdreckten Käfigen, über Zuchttiere, die mehr tot als lebendig dahinvegetieren – darüber redet hier niemand. Die meisten sind froh darüber, daß nach den „schlimmen Zeiten“ endlich Gras gewachsen ist über das Thema. Doch die Auswirkungen sind nicht zu übersehen: Lagerräume stehen leer, viele haben ihre Werkstätten verkleinert, die Zahl der Beschäftigten hat ständig abgenommen. Hatten vor 20 Jahren noch weit über 1.000 Menschen ihren Arbeitsplatz bei den 80 Pelzhändlern und Konfektionären im Viertel, sind es heute nur noch 350. Die Pelzkneipen haben schon lange geschlossen, die Geschäfte werden per Telefon und Fax abgewickelt. Hinter den Fassaden.

Und mit dem Rückzug in Büros und Lagerräume ist auch das Idiom verschwunden, das jahrzehntelang die Niddastraße beherrschte und das Theodor Uhlig auch nach 40 Jahren am Main nicht verleugnen kann: Es gab Zeiten, da war Sächsisch so etwas wie die Amtssprache im Pelzviertel rund um die Niddastraße, das auch in Frankfurt immer noch „der Brühl“ heißt. Wie das legendäre Viertel in Leipzig, in dem Theodor Uhlig und viele Frankfurter Pelzhändler groß geworden sind. „Brühl“ bedeutet Sumpf. Auf einst morastigem Terrain entwickelte sich in Leipzig das Pelzviertel, in dem Ende des 19. Jahrhunderts 800 Rauchwarenhändler ihre Geschäfte abwickelten. „Wo mor von frieh bis in die Nachd ganz fürschtorlisch Geschäfde machd, ob's heeß is oder gühl, 's gibt kee'n zweet'n Brühl.“

Den zweiten Brühl gab es dann doch – in Frankfurt am Main. „Unter den Russen haben wir keine Chance“, lautete Theodor Uhligs nüchterne Erkenntnis, als er nach Krieg und Zwangsarbeit nach Hause kam. Neue Chancen boten sich für den damals 30jährigen, der sein Handwerk vom Vater gelernt hat, erst in Frankfurt. Dort hatten sich geflohene Leipziger schon etabliert. Alte Kontakte lebten auf, ehemalige Kollegen halfen sich mit gegenseitigen Finanzspritzen auf die Beine.

„5.000 Mark hatte ich damals“, erinnert sich Theodor Uhlig. Gepumptes Startkapital. Der wirtschaftliche Aufschwung bescherte Nachfrage. Der Persianer, das lockige schwarze Fell des höchstens 14 Tage alten Karakulschafes, war, wie das Auto, Zeichen des Wohlstands. Familienväter sparten sich den Pelz für die Dame des Hauses vom Munde ab. Und wenn er unmodern war, verdienten die Kürschner immer noch an der Änderung.

Das ist lange her. Die Kampagnen der Tierschützer haben auch bei Theodor Uhlig Spuren hinterlassen. Hatte er vor 20 Jahren noch 13 Mitarbeiter, sind es heute nur noch drei. Der Umsatz ist um zwei Drittel zurückgegangen. Geblieben ist die Freude an den Fellen. Er führt die Besucher durch die Lagerräume seiner Firma: „Hier hängen drei bis vier Millionen Mark“, sagt der 76jährige und streicht liebevoll über ein graues langhaariges Fell. Eichhörnchen aus Sibirien. Daß für ein zwei Handbreit großes Fell 200 Tiere ein qualvolles Käfigleben ertragen mußten, stört ihn wenig: „Mein Geschäft ist der Pelz und nicht die Tierhaltung“, meint er lapidar. Zwei Drittel aller Pelzfelle gehen mittlerweile in den Export. Die Pelzbranche setzt vor allem auf Kunden aus Osteuropa, aber auch in Japan herrscht ungebrochenes Käuferinteresse: Die Japaner sorgen seit Jahren dafür, daß es im „Brühl“ Arbeit gibt. Martina Bittermann