Herzen noch nicht auf Linie

Sonntag finden im serbisch dominierten Ostslawonien Kommunalwahlen statt. So soll die Rückkehr der Region nach Kroatien vorbereitet werden  ■ Aus Vukovar Erich Rathfelder

Zwischen den Ruinen der Stadt Vukovar in Ostslawonien haben sich lange Menschenschlangen gebildet. Sie stehen an vor den Registrierungsbüros der kroatischen Behörden. Am kommenden Sonntag wählt hier die serbische Bevölkerung zusammen mit Kroaten erstmals die Kommunalbehörden nicht nur der Region, sondern auch in ganz Kroatien. Damit akzeptieren die Serben Ostslawoniens die Institutionen des kroatischen Staats. Angesichts der Geschichte des Krieges von 1991 bis 1995 ein in der Tat fast revolutionär zu nennender Vorgang. Die 1991 von Serben eroberte Region soll in den nächsten Monaten wieder vollständig in den kroatischen Staat zurückkehren.

Jeden Morgen werden die kroatischen Beamten mit Bussen der Vereinten Nationen von der auf kroatisch kontrolliertem Territorium gelegenen Stadt Osijek in das noch von Serben kontrollierte Vukovar gebracht. Serben stehen also Schlange, um Papiere des Staates zu erhalten, gegen den sie 1991 in ihrer großen Mehrheit revoltierten. Noch vor wenigen Monaten galt ein kroatischer Paß als Symbol der Herrschaft des kroatischen Faschismus. Und jetzt stehen diese Leute Schlange, um Papiere genau mit diesen Symbolen zu erhalten. „Wir sind von unserer Führung aufgefordert worden, uns registrieren zu lassen“, sagen zwei ältere Männer, offenbar Bauern aus der Umgebung von Vukovar.

Es bleibt wohl auch tatsächlich nichts mehr anderes übrig, als die Bedingungen zu akzeptieren, die von der internationalen Gemeinschaft in langen Verhandlungen gestellt worden sind. Kurz nach dem Vertrag von Dayton, der den Friedensprozeß in Bosnien und Herzegowina einleiten sollte, kam es im November 1995 zu dem Vertrag von Erdut. Die serbische und die kroatische Seite stimmten in diesem Vertrag darin überein, daß die serbisch besetzten Gebiete Kroatiens nach einer Übergangszeit wieder in den kroatischen Staat integriert werden sollten.

Um diesen Prozeß abzusichern und Garantien für einen friedlichen Übergang zu schaffen, wurde eine UN-Übergangsadministration für Ostslawonien, Baranja und Westsrijem geschaffen, kurz UNPAS genannt. Vom 15. Januar 1996 an sollte diese Aufgabe in zwölf Monaten bewältigt werden. Falls eine Partei es verlangte, sollte das Mandat jeweils sechs Monate verlängert werden können. Die erste Verlängerung geht bis zum 15. Juli 1997. Dann aber soll die Integration vollzogen sein.

Das umstrittene Gebiet ist ein 100 Kilometer langer und 10 bis 30 Kilometer breiter Landstreifen, der südöstlichste Teil Kroatiens, durchzogen von den Strömen der Donau und der Drau, eine Flußlandschaft, die begrenzt wird durch Hügelketten. Die Straßen führen durch Dörfer, denen man den früheren Reichtum ansehen kann.

Heute liegt Vukovar in Trümmern, und viele der Dörfer sind fast entvölkert. Die meisten der früher hier lebenden 80.000 Kroaten wurden 1991 vertrieben. Von ehemals 191.000 Bewohnern leben nur noch 73.000 Serben, 7.000 Ungarn, 8.500 Slowaken, Kroaten und andere auf dem Terrain. Hinzu kommen 47.000 serbische Flüchtlinge aus der Krajina, nachdem die kroatische Armee 1995 den Spieß umgedreht hatte und ihrerseits die dort ansässigen Serben vertrieb. Alle diese Menschen sind nun wahlberechtigt, vorausgesetzt, sie haben kroatische Papiere.

Zenad S. ist Traktorist in einem kleinen Dorf in der Nähe Vukovars. Im Laden des Dorfes, der gleichzeitig als Kneipe dient, trinkt er sein Bier. „Hier kommt wohl kein Kroate zurück“, sagt er. Hier hätte es vor dem Krieg ohnehin nur fünf kroatische Familien gegeben. „Was wollen die denn hier?“

35 Häuser zählt das Dorf, fünf davon gehörten Kroaten. Kämen sie zurück, wären sie in der Tat in der absoluten Minderheit. Wer will es unter diesen Umständen wagen, hier zu leben? Als einmal Besucher kamen, hätten sie Steine geschmissen, sagt Zenad S. Daß er selbst jedoch kroatische Papiere angenommen hat, bestreitet er nicht. Er will nicht weg von hier. Er will jedoch auch nicht mehr mit Kroaten zusammenleben. Daß diese Stimmung weit verbreitet ist, wissen auch die Offiziellen der UN. Deshalb wurde den Kroaten verboten, mit eigenen Autos und kroatischen Kennzeichen in das Gebiet zu fahren. „Die Serben sollen nicht provoziert werden.“

Der 16jährige Milan P. will ebenfalls nicht mehr mit Kroaten zusammenleben. 1991 ist seine Familie in die serbisch besetzten Gebiete Kroatiens aus Istrien übergesiedelt. Istrien sei zwar schön, sagt er, doch leben wollte er nur noch mit Serben. „Kommen die Kroaten zurück, gehen wir nach Serbien weiter“, sagt er. Und läßt keinen Zweifel daran, daß auch andere serbische Flüchtlinge so denken. Erst 8.000 der 48.000 Flüchtlinge haben sich registrieren lassen, haben die kroatischen Papiere akzeptiert und jetzt die Möglichkeit, an den Wahlen teilzunehmen. Die anderen 40.000 warten erst mal ab.

Er hätte sich richtig auf die alten serbischen Nachbarn gefreut, sagt der Kroate Iwan, der im Oktober 1991 von hier geflohen ist, nachdem sein Haus von einer Granate getroffen worden war. Die serbischen Nachbarn geben die Freundlichkeit zurück, sie passen sogar auf die Baumaterialien auf, die Iwan mit seinem Auto aus Osijek heranschafft. Auch Vinko K. ist zufrieden. Er ist Polizist an dem Kontrollpunkt in Vinkovci. Zusammen mit seinem serbischen Kollegen kontrolliert er die Papiere der Passierenden.

Wie viele der 600 anderen kroatischen Polizisten auch, die seit Januar 1997 in der gemeinsamen Übergangspolizei TPF mit serbischen Polizisten ihren Dienst tun, hat er sich mit den Kollegen sogar angefreundet. „Der Krieg ist vorbei“, sagt er. Obwohl er der kroatischen Nationalpartei HDZ angehört und seine Kollegen der serbischen Nationalpartei SDSS, kämen sie gut miteinander aus. Mit einem freundlichen Klaps wird er nach Beendigung seiner Arbeitszeit von den Kollegen verabschiedet.

Nicht ganz so freundlich ist die Stimmung in der Zentrale der serbischen Nationalpartei. Milan Trbojević, der Sprecher und persönliche Referent von Vojislav Stanomirović, dem Präsidenten der Partei, hält sich zwar an die jetzige Sprachregelung. Die Serben akzeptierten, erstens zu bleiben, zweitens die kroatischen Dokumente anzunehmen und drittens an den Wahlen teilzunehmen. Aber Trbojević hatte 1991 auch den Krieg unterstützt, er war einer der serbischen Nationalisten, der noch vor wenigen Monaten wenig kompromißbereit war. Die politische Linie sei von Belgrad vorgegeben worden, gibt er auch freimütig zu, von Slobodan Milošević selbst. Der habe vor wenigen Wochen die serbische Führung in Ostslawonien auf die neue Linie festgelegt.

Seither bitten nicht nur alte Leute um die kroatischen Papiere, um sich damit die Pensionen zu sichern. Auch die Funktionäre der Serbischen Nationalpartei sind mit gutem Beispiel vorangegangen. Daß die serbische Führung die Entscheidung tatsächlich ernst meint, zeigt sich auch in dem Beitritt des serbischen Intellektuellen Milorad Pupovac, Chef der Serbischen Volkspartei in Zagreb. Dieser hatte 1991 gegen den Krieg Stellung genommen und versucht, eine akzeptable Regelung für die Serben in Kroatien zu erreichen. Daß dieser Mann jetzt Mitglied der Partei ist, hat seine Bedeutung über Ostslawonien hinaus.

Doch die Rationalität ist nur eine Seite, die Gefühle eine andere. So entschlüpft Trbojević nicht nur klammheimliche Freude, als er berichtet, wie aufgebrachte Serben einige Tage zuvor einen Konvoi der kroatischen Regierungspartei HDZ, die in Vukovar eine Wahlveranstaltung abhalten wollte, mit Eiern beschmissen haben. Die neue Linie ist offenbar noch nicht zum Herzen vorgedrungen.

Bruder Mirko ist der letzte Franziskaner, der über das Kloster des heiligen Iwan Kapistran in Ilok wacht. Hoch über dem Städtchen, das an der serbischen Grenze gelegen ist, thront die im 14. Jahrhundert errichtete Kathedrale, ein Wahrzeichen des Katholizismus und damit des Kroatentums in der Region. Noch zu Weihnachten hätten serbische Jugendliche versucht, die Kirche zu zerstören, Fenster und Türen zur Sakristei seien zu Bruch gegangen. Im Augenblick sei zwar Ruhe, sagt der Mönch. Doch er traut dem Frieden nicht so ganz, bis die Reintegration tatsächlich abgeschlossen ist. Ilok war nämlich, wie Vukovar, im Herbst 1991 von serbischen Truppen eingeschlossen. Und der größte Teil der kroatischen Bevölkerung wurde aus der Stadt vertrieben.

Die These, daß es dort, wo der Krieg besonders stark gewütet hat und Verbrechen begangen wurden, besonders schwer ist, eine Versöhnung der Bevölkerungsgruppen zu erreichen, scheint sich auch in Ostslawonien zu bestätigen. Sir Arnold, der Sprecher der UN-Verwaltung, weiß, daß sich die Administration auf unsicherem Terrain befindet. Um die serbische Seite zu beruhigen, tritt er für weitere Kompromisse ein. So sollte das Mandat der UN über den 15. Juli hinaus verlängert werden.

Danach sollten Beobachter der OSZE installiert werden. Die Rückführung der 80.000 kroatischen Vertriebenen sollte lediglich Schritt für Schritt erfolgen. Die kroatische Regierung sollte erlauben, Flüchtlinge aus der Krajina, die jetzt in Ostslawonien leben, zurückkehren zu lassen. Dann würden die kroatischen Häuser frei, in die die kroatischen Besitzer zurückkehren können, schlägt er vor.

Ist das die Beruhigungspille, das Versprechen, die der serbischen Seite von der internationalen Gemeinschaft angeboten worden ist, um einer Beteiligung an den Wahlen zuzustimmen? „Die internationale Seite hat die Möglichkeit, Kroatien unter Druck zu setzen, um in der Frage Ostslawoniens nachzugeben“, sagt Hans-J. Lassen, ebenfalls Sprecher der UN- Administration.

In den Waggons von Güterzügen auf einem Abstellgleis bei Osijek leben einige hundert kroatische Vertriebene, die nach sieben Jahren endlich in ihre Heimat zurückkehren wollen. Eine Frau macht eine unmißverständliche Geste, indem sie ihren Arm und Finger hebt und mit dem Mund einen Schuß imitiert. Wenn die Versprechungen nicht eingehalten würden, sollte die kroatische Armee Ostslawonien mit Gewalt zurückerobern. „Ich will nicht mehr länger warten. Ich möchte nach Hause.“