Kurt Scheels Lichtspiele
: Eigentlich sind Männer eine gute Idee

■ Konnte einen traumhaften Flickflack hinlegen: Die Botschaft des Cary Grant

Der wunderbare Gesellschaftsattaché auf der Bühne ist in seiner Garderobe ein ekelhafter Vulgarier, „ein Anblick von unvergeßlicher Widerlichkeit“ – Felix Krull erzählt uns diese Geschichte, recht eigentlich betrachtet eine klischeehafte, aber das ändert ja nichts daran, daß Klischees fast immer stimmen, und deswegen ist man gut beraten, wenn man den wirklichen Kontakt mit den wirklichen Berühmtheiten meidet: Schön und bezaubernd sind sie nur in ihrer Rolle, in ihrem Werk, im Leben sind sie egozentrisch und schwer erträglich, wie eben alle.

Freilich gibt es Ausnahmen: Sie und mich und natürlich Cary Grant. Geboren wurde er 1904 in Bristol als Archibald Alexander Leach, und es dauerte gut 30 Jahre, bis er wurde, der er ist. Zuerst war Cary Grant, wie Graham McCann in der kürzlich erschienenen Biographie schreibt, nur eine ausgezeichnete Idee. „Jeder möchte Cary Grant sein. Sogar ich möchte Cary Grant sein“, sagte Cary Grant, und wenn man McCann trauen darf, hat er es beinahe geschafft: Offenbar war er im Leben fast so liebenswürdig wie auf der Leinwand.

Aber halten wir uns an die Fakten: Er war tatsächlich immer sonnengebräunt, und seine Anzüge saßen perfekt. Doch nicht nur deswegen lieben und bewundern wir ihn, sondern weil er uns zum Lachen brachte in unvergeßlichen Filmen wie „The Awful Truth“, „Bringing Up Baby“, „His Girl Friday“, „The Philadelphia Story“ – ein Reigen der schönsten Screwball-Comedies von Mitte der dreißiger Jahre bis zum Kriegseintritt der USA. (Ist es nicht merkwürdig, daß die finsterste Zeit unseres Jahrhunderts die beste Zeit des Kinos war, die komischste? Äußerst merkwürdig.) Daß er auch danach ein großer Star blieb, hat er vor allem Hitchcock zu verdanken: „Notorius“, „To Catch a Thief“, „North by Northwest“ ...

Mit 14 Jahren war Archibald Leach von zu Hause fortgelaufen, hatte sich einer Komödiantentruppe angeschlossen, sein Metier im Vaudeville und später dann am Broadway gelernt, also, das muß jetzt so schonungslos gesagt werden, „von der Pike auf“. Er sah verdammt gut aus, aber ich habe ihm das immer verziehen, weil er eben so komisch sein konnte: wenn er die Augenbraue hochzieht, wenn er, leicht perplex, den Kopf zurücknimmt, wenn er, ohne lächerlich zu werden, sich, seine Rolle und seine physische Schönheit mit großer Selbstironie ausstellt (nicht zu erwähnen, daß er auf Händen gehen und einen traumhaften Flickflack hinlegen konnte).

Am wichtigsten aber ist, daß er endlich klargestellt hat, wie das Liebeswerben vernünftigerweise ablaufen sollte: Die Frau hat den Mann zu jagen, und, mit ein bißchen Glück, kriegt sie ihn auch. [... und das Elend beginnt. d.sin] Katherine Hepburn, die in „Bringing Up Baby“ hinter ihm her ist: Ich erinnere mich meiner tiefen Befriedigung, als ich den Film das erste Mal sah – eine Epiphanie im James Joyceschen Sinne, als tunke sich eine Madeleine in den Tee meines Herzens ...

Die irrsinnigste Verführungsszene ist die aus „North by Northwest“, wenn Eva Marie Saint ihn im Zug ohne erkennbaren Grund vor den Polizisten rettet, ihn dann im Speisewagen nach allen Regeln der Kunst anmacht, mit Streichholz auspusten und so – nicht, daß ich prüde wäre, im Gegenteil, seit Jahren hatte ich auf eine Frau gewartet, die sich nicht nur von meinem Geist und meiner schönen Seele, sondern auch von meinem einmaligen Körper faszinieren ließe... Aber übertreibt Hitchcock nicht schrecklich, ist die Saint, Männerphantasie hin oder her, nicht ein bißchen sehr bitchy beziehungsweise Cary Grant so schön nun auch wieder nicht?!

Das gibt's doch nur im Kino, will ich gerade empört und sensibel denken, da zeigt der Film, daß dies alles eine abgekartete Sache ist, daß sie Grant nur auf Befehl des bösen Spions James Mason verführt – dramaturgisch gesehen ist Hitchcock damit aus dem Schneider, aber nie kann ich ihm verzeihen, daß ich einen Moment lang geglaubt habe, Eva Marie Saint hätte sich wirklich in mich vergafft!

Wie Hitchcock dennoch ein Happy-End hingaunert, das ich akzeptieren kann, ist ein kleines Wunder und ein Beispiel für sein Genie: Eva Marie Saint ist gar keine Bitch, sie hat nicht mit Cary Grant geschlafen, weil sie so scharf auf ihn war oder weil der Bösewicht sie dazu zwang, sondern weil sie ihr Land retten wollte – als Gegenspionin im Auftrag des Geheimdienstes! Sie tat es aus Patriotismus! Und damit steht dem Zug, bevor er laut pfeifend in den Tunnel einfährt, nichts mehr im Wege. Und morgen werde ich mir eine Höhensonne kaufen und nur noch sehr gut geschnittene Anzüge tragen. Kurt Scheel