Die Freiheit der Toyota-Affen

Mit „Frankensteins Kinder“ und „Versuchskaninchen“ werden im Museum für Gestaltung Zürich Medien- und Biotechnologie verkoppelt  ■ Von Jochen Becker

Mein Leiden ist die Armut.“ Doch Elend allein gewährt der hilfesuchenden Frau kein Recht auf Abtreibung, belehrt sie der Arzt mit einer Gesetzesvorlesung. Zuvor hatte er einer wohlhabenden Dame trickreich die Überweisung zur Abtreibung verschafft. Klassenmedizin, wie sie Hans Tintners proletarischer Stummfilm „Cyankali“ von 1930 drastisch aufzeigt.

Ulrich Schamonis dokumentarischer Spielfilm „Es“ (1965) demonstriert 35 Jahre später, daß sich die ärztlichen Belehrungen gleichen: Die Frau hat sich dem Gesetz zu fügen, der Fötus gehört dem Staat, und die Medizin ist der verlängerte Arm der Volksgesundheit. Die Irrfahrten der Darstellerin durch Sprechzimmer enden stets mit pädagogischer Abweisung. Ein Arzt präsentiert der zur Abtreibung Entschlossenen gar einen viermonatigen Fötus im Glas, griffbereit gleich hinter ihm aufbewahrt.

Beide Filme sind Teil der von Jutta Phillips-Krug und Cecilia Hausheer kuratierten Ausstellung „Frankensteins Kinder – Medien und Medizin“ im Zürcher Museum für Gestaltung und finden sich ausschnittweise in der Abteilung „Sprechzimmer“ wieder. Die BesucherInnen sitzen patientengleich vor der Leinwand, so wie sie vorher ein nachempfundenes „Labor“ oder „Krankenzimmer“ durchschritten haben und danach in einen OP oder Hörsaal blicken, um entsprechende Filmpassagen quasi körperlich zu erfahren. Dr. Koch und Dr. Sauerbruch agieren hier als Heilstars des „Anatomischen Theaters“, wie die operativen Lehrsäle früher genannt wurden, während Frankenstein – wegen fehlender Bildrechte leicht abgeschlagen – oder Dr. Frank die aktuellen Varianten bilden.

Das medizinische Labyrinth wird durch Filmplakate, Standfotos und künstlerische Beiträge sowie Fernseher, CD-ROM und Gesundheitsbälle als Sitzgelegenheit ergänzt. Mehrere Folgen der RTL- Serie „Dr. Stefan Frank“ („Der Arzt, dem die Frauen vertrauen“, so das ausliegende Werbeblatt) laufen parallel auf Bildschirmen. Mit 33 Prozent Marktanteil ist die freundliche Arztserie bei jüngeren Zuschauerinnen ein Quotenhit, zwanzig Arztserien befinden sich laut der Frauenzeitschrift Amica („Erfolgreiche Doktorspiele: Den besten Schnitt macht RTL“) zur Zeit auf dem Markt.

Ärztinnen – so wird in der Ausstellung deutlich – fehlen im Bild der Medien, während vorzugsweise nackten Frauen die Rolle des Objekts der Medizin und des Aufklärungsfilms zugeschrieben wird. Schon das erste bildgebende Verfahren der modernen Medizin erprobte Dr. Röntgen an der Hand seiner Frau. Diese Durchleuchtung ist so alt wie der Film und wird inzwischen von Medien wie Ultraschall, Endoskopie, Computertomographie oder Telemedizin ergänzt.

Diese erstaunliche Parallelentwicklung von Ärztefilm und medizinischen Bildmedien tritt zugunsten des Kinos in den Hintergrund; allein der Videofilmer Fridolin Walcher ließ bei seiner Unterschenkeloperation die Kamera mitlaufen. Über den Zusammenhang der Einführung von Ultraschallbehandlung während der Schwangerschaft und der Zunahme von eugenischen Abtreibungen als eine soziale Folge des „Fötenfernsehens“ verliert die Ausstellung kein Wort. Möglicherweise bringt der Ende April erscheinende Katalog da Klarheit.

Fliegen, Forscher und telegrafierte Menschen

„Frankensteins Kinder“ überschnitt sich für kurze Zeit mit der thematisch naheliegenden und ebenfalls im Museum für Gestaltung Zürich stattfindenden Präsentation von „Versuchskaninchen – Bilder und andere Manipulationen“. Sowohl in der aktuellen Filmausstellung als auch im Katalog der von Erika Keil mit Andreas Volk und Werner Oder betreuten Sammlung von Bildmanipulationen finden sich Verweise auf die mehrfach verfilmte Geschichte eines Forschers, der im Selbstversuch bei Kurt Neumann und David Cronenberg zur Fliege mutiert. Der Plot basiert auf der Annahme des Kybernetikers Norbert Wiener, daß Menschen wie Nachrichten zu telegrafieren seien.

Die Geschichten gehen von der irrigen Annahme aus, daß sich Informatik methodisch auf Biotechnologie übertragen ließe und Computerchiffren den sogenannten genetischen Code implizierten. Eine solche Analogiebildung stellt der Gentechnologie nun auch Machbarkeit und wirtschaftlichen Erfolg der Computerindustrie in Aussicht. Pickel und Pixel, Genom und Bit – so die gegenaufklärerische Position der Ausstellung – seien eins; „Paint Box und Gen-Technologie“, verkündet der Literaturwissenschaftler Michael Wetzel im Katalog, „sind nur zwei Seiten derselben Medaille.“ Wenn der „Schrecken nicht mehr im Bereich des Sichtbaren liegt“, flüchtet sich die Kuratorin in die „visuelle Realität“. Dort verorten sich bei „Frankensteins Kinder“ wie auch in „Versuchskaninchen“ die Exponate des Photoshop-Künstlers Markus Käch, dessen „Institut für mediale Krankenheiten“ auf imitierten Schautafeln die Erscheinungsbilder von Hautkrankheiten mit den Effekten von Computergrafik-Filtern gleichsetzt.

Rein optisch – so zumindest führt es die materialreiche Tierschau anhand von Fotos, Videos und Präparaten vor – scheinen Verwachsungen, Zucht, Eugenik, Retusche, Montage, Photoshop, rechnergestützte Pharmaforschung, Gentechnologie oder Computerspiele einander ähnlich: Mäuse tragen Menschenohren am Rücken, Fruchtfliegen bilden unzählige Augen aus, und Rindviecher heißen Milka. Doch daß der Maus menschlicher Knorpel aufoperiert wurde und dies für die Präsentation mühsam als Tierpräparat nachgestellt wurde, ist beileibe nicht so offensichtlich wie die lila eingefärbte Kuhhaut.

Der Katalog zu „Versuchskaninchen“ befaßt sich zu Recht mit dem Feld „symbolischer Politik“, da gesellschaftliche Konflikte vermehrt durch die Form ihrer medialen Vermittlung, der Protestaktionen oder werblichen Kampagnen ausgetragen werden. Die tiefgreifenden Umwertungsprozesse in der Symbolpolitik zeigt eine reproduzierte Anzeige, bei der ausgerechnet Frankensteins Monster als Werbung für die Produktpalette von „Invitrogen“ dienstbar gemacht werden konnte. Gerade auf der selbstironisch posierenden Bildebene wird massiv eine Politik der Deregulierung betrieben.

Da der Augenschein offensichtlich trügt, muß die Gestaltebene zugunsten einer Diskursanalyse verlassen werden, wie es Donna Haraways nachgedruckter Text „Menü mit Mensch“ vorschlägt. Hierzu arbeitet die kalifornische Wissenschaftshistorikerin anhand einer Werbeanzeige für eine Onco-Mouse (TM) „die Zusammensetzungen aus dem Organischen, Technischen, Mythischen, Textuellen und Politischen“ heraus. Technologische Produkte sind längst kulturelle Akteure und Menschen bereits von Technologie durchdrungen.

Während Haraway am Beispiel der gentechnologisch veränderten Mäuse den mit Images und Fotoreportagen geführten Kulturkampf gegen die Regularien des medizinisch-industriellen Komplexes analysiert, propagiert die Ausstellung spielerische Gewöhnungsprozesse und Modernisierungsgewinne: „Das eine bereitet uns ästhetisch auf das andere vor, das menschliche Hirn hat auf einmal gelernt, Unmögliches miteinander zu verbinden, es freut sich an der Kreativität.“ Stehen deshalb zwei Computer mit „Kai's Power-Tool Goo“ bereit, um im Do-it-yourself- Verfahren mehr als nur Gesichter zu manipulieren?

Bizarre Aquarelle nach Tschernobyl

Wie sich „Mutationen im ,natürlichen‘ Labor der vom Atomreaktor verseuchten Landschaft rund um Tschernobyl“ auswirken, zeigen Cornelia Hesse-Honeggers wissenschaftliche Aquarelle von bizarr verformten Fliegenaugen der Region. Schon nach vier Generationen sind unzählige Pathologien erkennbar, die erst nach vierzig Generationen in kontaminationsfreier Umgebung verschwinden würden. In einem nachgedruckten Zeitungsartikel schildert die Journalistin Susan Boos die „Gen- Bürde“ (Wjatscheslaw Konowalow) der nuklearen Wolke aus Tschernobyl: Die Kühe in den kontaminierten Gebieten vergaßen ihren Platz im Stall, ein Füllen hat acht Füße, und wie im Splatterfilm wuchern den Tieren die Gedärme heraus. Da es dem Wissenschaftler an staatlichen Geldern fehlt, finanziert Konowalow seine Forschung, indem er die Horrordeformationen an Mensch und Tier medial aufbereitet.

„Die schier unbeschränkte Machbarkeit erzeugt Intentionalität“, schreibt Daniel Ammann von der schweizerischen Anti-Gen-Initiative SAG und meint damit die kapitalistische Eigendynamik der Bioindustrie. Walter Gering vom Biozentrum der Universität Basel wiederum schwört auf Zucht als Grundlage „unserer abendländischen Kultur“ und hetzt gegen Anti-Gentech-AktivistInnen, die „unter Verletzung meiner Urheberrechte“ die vieläugige Fruchtfliege „für ihre Propaganda und Geldsammlung“ nutzten. Das Akquirieren von Meinung und Drittmitteln ist also offensichtlich nur der Abteilung Zellbiologie vorbehalten, welche die (Bild-)Rechte für ihre mutierte Fruchtfliege hält. Hier scheint auf, was Daniel Ammann mit „Goldgräberstimmung“ bezeichnete und sich auf die Patentierungen von Biotech-Medikamenten bis hin zur Fixierung neuentdeckter Genabschnitte als geistiges Eigentum erstreckt.

Andererseits finden sich auch harmlosere Beispiele für die „marketingtechnische Domestizierung von Tieren“ (Keil). Anhand einer reichen Kollektion von alpenländischen Kuhplakaten, Tierbildern und Videos läßt sich die Entwicklung vom Nutztier über den Werbeträger hin zum Schreckenswesen mit Rinderwahn abschreiten. Nach einer deutschen Studie dominieren reklametreibende Hunde eine Drittel aller TV-Spots; der werbetechnische Schutzreflex des Kindchenschemas reicht auch für Marlboro-Pferde und Camels und findet in den Toyota-Affen ihren regressiven Höhepunkt. Daß dabei nicht alles gleich Tierquälerei sein muß, zeigt die mit computeranimierten Viechern arbeitende Werbung für eine Schweizer Versicherung. Ihre tierischen Hauptdarsteller wurden von einer Londoner Spezialagentur digitalisiert und erst dann werblich zugerichtet, gedoppelt, montiert und animiert. Die ausführliche Darstellung im Rahmen der Ausstellung und des Katalogs bezuschußte die Versicherung dann auch mit 10.000 Franken.

Bildbearbeiter Hans Hilker, zwischen klassischer Fotoretusche und rechnergestütztem Photoshop schwankend, hat da ganz andere Sorgen: „Rotmarder sind ja am Aussterben. Sie finden heute kaum mehr einen richtig guten Pinsel.“ In solchen Details zeigt sich die ansonsten relativistische Sammelausstellung von ihrer besten Seite.

„Frankensteins Kinder“. Bis 20.4., Museum für Gestaltung Zürich. Die Publikation „Versuchskaninchen“, Edition MfG Zürich, 45DM