Zwischen den Rillen
: Betty, melde dich!

■ Gesamtmetall trifft Kunstgewerbe: Henry Rollins, Helmet, Shihad

Entspannung: Henry Rollins Foto: MCA

Viele Wege führen zu Henry Rollins, dem letzten Heiligen des Underground. Während die Jugend von heute sich gerne mal als Lutscher ohne Selbstwertgefühl betitelt, predigt er Survival – zu Lande, zu Wasser und beim täglichen Hanteltraining, wo er seine Depressionen in Muskeln verwandelt, um fit für die nächste Lesung, den nächsten Auftritt oder den Weltuntergang zu sein.

Oder die nächste Platte, in diesem Fall „Come in and Burn“. Spartanisch treibt er seinen predigenden Sprechgesang durch die rauchenden Trümmer seiner Black-Flag-Vergangenheit. Aber – und das ist erfreulich – statt den brennenden Haß der frühen Tage um jeden Preis am Leben zu erhalten, deutet sich fern am Horizont so etwas wie Entspannung an. Nicht jedes „kill“, „hate“ und „alive“ klingt mehr wie der letzte Aufschrei eines zum Leben Verurteilten, und wenn er böse Dinge wie „I want to see destruction, I want fo feel extinction“ nicht wirklich überzeugend rüberbringt, heißt das glücklicherweise auch, daß aus Rollins, der „Hot Animal Machine“, dem rund um die Uhr kampfbereiten Körperpanzer, dann doch noch ein Musiker geworden ist, der auch mal Urlaub macht. Für die Dimensionen von Hardcore spielen sich passagenweise beschwingte Dinge ab, Komplexität deutet sich an, und ein upliftendes, jazziges Moment bemächtigt sich für Sekunden der Songs – noch zwei Schritte in die Richtung, und die Sonne geht eines Morgens über Rollins auf.

Ebenfalls mehrdimensional arbeitet Page Hamilton. Im Duett mit dem Berliner Noise- Matador Caspar Brötzmann fühlt er sich so wohl wie chez Salonlöwe John Lurie. Doch das Mutterschiff des studierten Jazzgitarristen heißt Helmet und dümpelt in brackem Postcore vor sich hin – die Metal-Küste immer in Rufweite, doch niemals so richtig auf Tuchfühlung. Dabei hatte es vielversprechend angefangen. Die Kraft der taffen Anfänge reichte bis zum goldüberzogenen Knaller „Meantime“. Der eigentliche künstlerische Durchbruch gelang allerdings erst eine Hausnummer weiter mit dem Knüller „Betty“. Auch dort rulte zwar der von „dede-de-det“ bis „ratatata!“ reichende Riffrock, doch auf einmal schienen Experimente möglich, kleine Jazzkapaden wurden unternommen und Hommagen an den Blues gefeiert. Kurz: Kunst und Handwerk, Gefühl und Härte etc. reichten einander respektvoll die Hände. Hätten Helmet so weitergemacht, wären sie in Bälde für die harte Ecke, was Pavement dem Rock sind: Auferstehung aus Ruinen statt return of the living dead.

Doch „Aftertaste“, die aktuelle Auskopplung aus dem düsteren Universum der reitenden Gitarren, leistet die erforderliche Synthese nicht und knüpft an Bewährtes an – eben Holzschnitt statt 3-D-Animation. Klar rocken zwar Nummern wie der Opener „Pure“ oder „Exactly what you wanted“ noch immer gnadenlos jedes Haus, und auch der Rest ist durchaus Qualitätsware – aber im Titel „It's so easy to get bored“ steckt viel Wahrheit.

Immer wieder neue Überraschungen nehmen in Neuseeland ihren Anfang, um dann den Rest der Welt im besonderen (Bill Direen, Chris Knox!) oder im allgemeinen (Garageland!!) zu begeistern. Doch ausgerechnet Shihad, deren Arbeit von Iggy Pop immerhin mit einem herzlichen „Oh fuck, that's really nice, that's really very nice“ kommentiert wurde, lassen uns nach neun Jahren mit ihrem dritten Album hängen. Melodiös kommt es die bratzige Gitarrenschiene runtergefahren, der Sägezahn-Groove fehlt ebensowenig wie Texte aus der alten Schule zorniger junger Männer. Selbst ein folkiges Einsprengsel hat es, aber wo, bitte schön, ist denn die heftig verdichtete Energie des markigen Vorgängers „Killjoy“ geblieben, wo die leuchtende Dunkelheit von „Chrum“? Allen Ernstes wird im Promozettel darauf hingewiesen, daß der Schonwaschgang eingelegt wurde, um endlich via Airplay an die breiten Käuferschichten ranzukommen. Das ist zwar von erfrischender Offenheit – doch davon wird die Platte auch nicht besser. Gunnar Lützow

Rollins Band: „Come in and Burn“ (Dreamworks/MCA)

Helmet: „Aftertaste“ (Interscope/MCA)

Shihad: „Shihad“ (Modern Music/RTD)