Mutter und fünf Kinder bei Anschlag verbrannt

■ Der Vater der türkischen Familie und fünf weitere Kinder überleben. Die niederländische Staatsanwaltschaft hält Brandanschlag für „höchstwahrscheinlich“

Den Haag (taz) – Eine 41jährige Türkin und fünf ihrer Kinder sind Mittwoch nacht bei einem Wohnungsbrand in Den Haag ums Leben gekommen. Die Polizei schließt nicht aus, daß es sich um einen Brandanschlag mit fremdenfeindlichem Hintergrund handelt. In dem Den Haager Stadtviertel Schilderswijk wurden in derselben Nacht zwei Brandanschläge mit Molotowcocktails auf Ausländerzentren verübt, ohne jedoch Schäden anzurichten. Die Polizei nahm in der Nähe des Tatorts fünf Verdächtige fest, die aber gestern wieder auf freien Fuß gesetzt wurden.

Die türkische Familie lebte mit 12 Personen in einer Vierzimmerwohnung des von Ausländern bewohnten Hauses. Der Vater der Familie, der den Brand mit fünf seiner Kinder überlebte, berichtete, daß er vom „Geräusch einer explodierenden Bombe“ aus dem Schlaf gerissen worden sei. Als er die Flurtür öffnete, seien ihm die Flammen entgegengeschlagen. Es sei ihm nicht gelungen, zu seinen Kindern zu gelangen.

Der Vater und drei Kinder konnten den Flammen entkommen. Ein zehnjähriger Junge der Familie erlitt dagegen schwere Brandverletzungen. Die Feuerwehr, die fünf Minuten nach der Meldung am Brandherd eintraf, rettete weitere drei Kinder aus den Flammen. Augenzeugen berichteten, daß die Mutter noch versucht habe, ihre schlafenden Kinder aus dem Haus zu bergen, obwohl sie selbst bereits brannte. Vier Kinder im Alter zwischen anderthalb und zwölf Jahren sowie die Mutter konnten von der Feuerwehr aber nur noch tot geborgen werden. Ein anderthalb Monate altes Baby erlag im Krankenhaus seinen schweren Brandverletzungen.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft ist das Feuer „höchstwahrscheinlich“ gelegt worden. Die Untersuchungen seien aber noch nicht abgeschlossen. Es wäre das schwerste Verbrechen dieser Art in den Niederlanden. Türkische Verbände verglichen die Tat gestern mit dem Mordanschlag auf eine türkische Familie in Solingen im Jahre 1993. Hunderte von Türken kamen gestern und vorgestern zu dem ausgebrannten Haus, legten Blumen nieder und riefen: „Heute sie, morgen wir.“ Die Toten sollten gestern abend in die Türkei überführt werden.

Die niederländische Regierung reagierte entsetzt auf den mutmaßlichen Anschlag. Ministerpräsident Wim de Kok sprach von einem Drama, wie es die Niederlande noch nicht erlebt hätten. „Das ist ein Signal, dem wir ernsthaft nachgehen müssen“, sagte er. Außenminister Hans van Mierlo versicherte dem türkischen Botschafter in einem Beileidsbrief, daß alles getan werde, um die Täter zu finden. Harald Neckelmann