Im Sommer ein mondäner Badeort

Skagen ist das nördlichste Dorf Jütlands und war einmal das Worpswede Dänemarks. An der Spitze der Landzunge treffen Nord- und Ostsee aufeinander und werfen wilde Wellen auf  ■ Von Jan Feddersen

Vor zehn Jahren ließen die Dänischen Staatsbahnen einmal die Idee diskutieren, ob nicht Streckenstillegungen ein gutes Mittel sein könnten, um aus ihrem notorischen Defizit herauszukommen. Auch der 50 Kilometer lange Strang zwischen Frederikshavn und Skagen sollte nicht mehr bewirtschaftet werden. Der Protest war groß. Vor allem die Strecke an den nördlichsten Punkt Dänemarks, nach Skagen, wollten die Einwohner nicht aufgeben. Das Städtchen am Zipfel des Königinnenreichs bedeutet den Dänen offenbar viel, denn ökonomisch macht der Betrieb des Triebwagenverkehrs kaum noch Sinn.

Noch Mitte des vorigen Jahrhunderts dauerte eine Reise von Kopenhagen nach Skagen mehrere Tage – heute braucht man für die gleiche Strecke nur fünf Stunden. Damals war die nur wenige Kilometer schmale Landzunge kaum mehr als eine gigantische Wanderdüne: nichts als Sand und noch keine Wildrosen- und Sanddornhecken, die verhindern, daß der Wind den Sand über die Häuser pudert. Skagens Einwohner waren berüchtigt für ihre Frömmelei. Fiel der Fang eines Fischers mager aus, war im Zweifelsfall der Teufel schuld. Prediger fanden in Skagen eine dankbare Gemeinde. Einen Eindruck von den Lebensverhältnissen gibt immer noch der wunderbare Film „Babettes Fest“: Schon der Gedanke an gutes Essen gab den Siedlern an der Küste das Gefühl zu sündigen. Man kniff die Lippen und Seelen zusammen und ertrug betend jedes Schicksal.

Winters war man des vielen Schnees wegen von der anderen Welt abgeschnitten. Die Dänin Aud Wilcken hat vor zwei Jahren ein Lied darüber gesungen: „Fra Mols til Skagen“ – von Mols nach Skagen konnten zwischen November und April nur Gedanken geschickt werden, selbst die Post wußte keinen Weg, um Liebesbriefe zuzustellen.

Es brauchte kompetente Lebenshilfe, um Skagen zu erwecken: Maler und Schriftsteller aus Kopenhagen, angeekelt vom Leben in der schmutzigen, lauten, hektischen Großstadt, entdeckten Skagens Ursprünglichkeit. Holger Drachmann und Fritz Taulow, ein Däne und ein Norweger, waren die ersten, die der rauhen Landschaft Schönheit abgewannen. Sie sahen in der Ärmlichkeit der Fischerhäuschen nichts als pittoreske Hütten, die ihnen natürlich und unverdorben vorkamen. Daß die Skagener Fischer sie mit ähnlicher Faszination anschauten wie bayerische Bergkinder schwarze amerikanische GIs Mitte der vierziger Jahre, störte die späteren Dauergäste nicht. Die ersten Touristen schätzten die den Fischern feindlich erscheinende Natur um so mehr. Dort fanden sie die Lichtverhältnisse, die sie wollten: ein Himmel, weiter als unendlich, und Farben, die sie auf ihren Farbpaletten erst mischen lernen mußten. Das wechselhafte Wetter, das der Tourismusbehörde heute jedes Jahr viele Sorgen bereitet – wird der Sommer warm oder bleibt er frühlingshaft frisch? –, war den Naturschwärmern gerade recht.

Die Anchers, strikte Anhänger eines Naturalismus, der gerade den Alltag schlichter Menschen in den Mittelpunkt stellt, setzten schließlich auch durch, daß die Bebauung Skagens einheitlich ausfällt. So finden sich überall die gleichen gelben Anstriche. Eine Farbkommission wacht darüber, daß die gelben Wände auch bloß keinen Stich ins Grelle bekommen.

Daß das alte Skagen zehn Kilometer entfernt auf der Nordseeseite liegt, stört keinen Touristen: Die Geschäfte und Läden finden sich – wie auch die Museen und Cafés – im neuen Skagen, ebenso der Fähr- und Jachthafen.

Sommers wirkt Skagen wie ein mondäner Badeort: Schweden, Norweger und Dänen tragen ihre teuren Klamotten und ihre unverschämt natürlichen blonden Haare zur Schau – egal ob das Thermometer gerade 12 oder 20 Grad im Schatten zeigt. Deutsche haben Skagen noch nicht übermäßig ins Visier genommen. Die meisten bleiben in einem der Ferienhäuser an der Westküste hängen, in Lökken oder sonstwo an der Jammerbucht, und gesellen sich zu Gemeinden, in denen nur noch die Hausverwalter dänisch sprechen.

Vielleicht hat das Skagen davor bewahrt, strikt kleinfamiliär und wie ein Hort fortpflanzungsglücklicher Mann-Frau-Kombinationen zu wirken. Tatsächlich werden in den Restaurants und Hotels Singles nicht an Einzeltische in dunklen Ecken plaziert – was man von Gasthäusern an der Nordseeküste wahrlich nicht behaupten kann.

Die Eisenbahn dieselt nur noch zehnmal am Tag von Frederikshavn nach Skagen. Fahrradfahrer nutzen die Triebwagen, wenn sie von Aalbaek die 25 Kilometer wegen Gegenwind etwas bequemer zurücklegen wollen. Trotz moderner Züge reist es sich ans Ende Dänemarks immer noch wie ans Ende einer unruhigen Welt.

Weitere Informationen: Skagens Turistbureau, Sct. Laurentii Vej 22,

9990 Skagen, Fon: 0043/98441377,

Fax: 0043/98450294