Aus der Rückführung wird der Rausschmiß

■ Nach Ostern schieben auch die anderen Bundesländer Flüchtlinge ab

Mujo und Haska B. holten die Polizisten vom Frühstückstisch, ihren Landsmann nahmen sie auf dem Weg zur Arbeit fest. Man ließ ihnen weder Zeit, ihre Sachen zu packen, noch ihren Verwandten auf Wiedersehen zu sagen. Gefahr schien im Verzug, denn es galt einen Beschluß in die Tat umzusetzen, der sich ein gutes Jahr lang als undurchführbar erwiesen hatte. Bereits im Januar 1996 hatten die Innenminister der Länder die „Rückführung“ der 330.000 bosnischen Kriegsflüchtlinge beschlossen. Zeit wäre gewesen, Wege für eine freiwillige Heimkehr zu ebnen, ein staatliches Management für eine geordnete Rückreise zu organisieren und – wenn es denn sein muß – zu prüfen, für welche Flüchtlinge eine Heimreise auch unter Androhung von Zwang zumutbar wäre.

Jetzt haben Berlin, Bayern und Hamburg die Abschiebungsmaschinerie angeworfen. Nach Ostern werden andere Bundesländer folgen, und wenn die ersten Beispiele Schule machen, droht die einst großzügige Aufnahme der bosnischen Flüchtlinge in einem würdelosen Rausschmiß zu enden. Denn die geplante „Rückführung“ ist vor allem eine Kette von Versäumnissen und willkürlichen Entscheidungen – ein Chaos, das auf humanitäre Kriterien keine Rücksicht nimmt. In Berlin zum Beispiel hätten Mujo und Haska B. gar nicht abgeschoben werden dürfen. Sie haben kleine Enkelkinder hier und genießen vorerst Ausweisungsschutz. In einem anderen Fall stoppte das Verwaltungsgericht die Zwangsrückkehr in letzter Minute: Die Berliner Ausländerbehörde hatte – rechtswidrig – einen traumatisierten Flüchtling zur Abschiebung auserkoren. Alleinstehende Frauen über 60 Jahre, Kranke und Pflegebedürftige, Flüchtlinge aus dem serbisch besetzten Gebiet und Familienväter im Rollstuhl – in Berlin finden sie sich alle auf den Listen, mit denen die Ausländerbehörde jetzt Tag für Tag neue Rückübernahmeanträge bei der bosnischen Botschaft stellt.

Solche Namenslisten mit förmlichen Rückübernahmeersuchen schicken derzeit sämtliche Bundesländer nach Sarajevo, zunächst für die Flüchtlinge der „Phase 1“, die Ledigen und Kinderlosen unter den bosnischen Flüchtlingen. Vom 1. April an – daran wird auch die Innenministerkonferenz Mitte April wenig ändern – müssen die ersten gehen. Schon seit Wochen erhalten die Betroffenen entsprechende Ausreisebescheide. Insgesamt trifft es schätzungsweise 80.000 Flüchtlinge. Allein in Nordrhein-Westfalen sind es über 20.000 Menschen, in Hessen rund 15.000. Sie alle abzuschieben, wenn sie nicht freiwillig gehen, wäre nicht schon organisatorisch unmöglich. Selbst wenn täglich eine vollbesetzte Chartermaschine Richtung Sarajevo geschickt würde, zöge sich der Prozeß noch über Jahre. Das wissen auch die Innenminister, und deshalb praktizieren sie das Prinzip „Wellenschlag“: Mit einigen spektakulären Abschiebungen wirft man einen Stein ins Wasser und hofft, daß dessen Wellen Panik verbreiten.

Angst und Schrecken brauchte es gar nicht. Unzählige Flüchtlinge sitzen ohnedies auf gepackten Koffern. Innerlich haben sich die meisten längst auf eine Rückkehr eingestellt. Sie warten nur auf den richtigen Zeitpunkt und halbwegs solide Voraussetzungen. Der psychologische Druck, den die Abschiebungen jetzt ausüben sollen, führt deshalb eher zu Kurzschlußreaktionen. „Einige“, beobachtet André Teichmann vom Verein „Brandenburg hilft Bosnien“, „kriegen ganz plötzlich einen Rappel. Die kehren Hals über Kopf zurück und geraten dort in ein Chaos.“ Andere setzen aus Angst vor Abschiebung auf den Sprung über den großen Teich. Kanada, Australien und die USA haben Einwanderungskontingente für bosnische Flüchtlinge zur Verfügung gestellt. Doch die Plätze sind begrenzt. Maximal 6.000 Flüchtlinge aus der Bundesrepublik können auf eine Einwanderungserlaubnis in die USA hoffen, und die Antragsflut steigt. Im Sommer, so vermuten Experten, könnte es deshalb zu einer Rückkehrwelle nach Bosnien kommen, die mächtiger ist, als es das zerrüttete Land verkraftet. Danach jedoch wird die Bundesrepublik sich damit auseinandersetzen müssen, daß das Problem auch mit noch soviel Druck nicht zu lösen ist: Zigtausende Bosnier werden keine Heimat haben, in die man sie zurückschicken kann, und es werden die physisch Schwächsten und psychisch Angeschlagensten sein, die unfreiwillig hier zurückbleiben werden. Vera Gaserow, Berlin