Im Sommer wollen die letzten zu Hause sein

■ Es geht auch anders, das zeigt das Beispiel einer Gruppe bosnischer Familien in Berlin

Das Leben hat sie zehn Jahre älter gemacht, als sie in Wirklichkeit sind, und auf den Gesichtern hat sich Müdigkeit eingegraben. Doch an diesem Nachmittag schimmern die Wangen rot vor Aufregung unter blaßgrauer Haut. Die Frauen haben gekocht und gebacken, und auf den Tischen stehen – ein wenig verloren – ein paar Flaschen Sekt. Keiner ist sicher, ob zum Feiern wirklich Anlaß besteht: Bosnische Flüchtlinge nehmen Abschied voneinander und von Deutschland.

Rund 300 in Berlin lebende Flüchtlinge aus dem nordbosnischen Odzak machen sich gemeinsam auf in die Heimat. Sie zeigen auf ihre Weise, wie das gehen kann – eine Rückkehr in Würde und Freiwilligkeit. Seit Herbst letzten Jahres haben 117 Familien diesen Schritt vorbereitet. Bei zahllosen Treffen im Süd-Ost-Kulturzentrum haben sie sich über die Lage in ihrem Heimatort informiert, haben sich die Ängste genommen, die Arbeit verteilt, sich rückversichert und manchmal auch aus der Lethargie gerissen. Jetzt, nach monatelanger Vorbereitung, fühlen sie sich endlich soweit. Am Dienstag nach Ostern wird ein erster LKW-Konvoi auf die Reise gehen, beladen mit persönlichem Hausrat und Baumaterial, das sie über Spenden gesammelt haben. Wenn im Sommer das Schuljahr zu Ende geht, wollen möglichst auch die letzten zu Hause sein.

„Hühner gibt es dort, Kühe und einen Garten mit Pflaumen.“ Wenn der 14jährige Dino über seine Heimat Odzak erzählt, dann ist „in der Erinnerung eigentlich alles schön“. Vor drei Jahren ist er mit seiner Mutter und seinem Bruder nach Berlin geflüchtet, er wird die Stadt vermissen, die Freunde, von denen er akzentfrei Deutsch gelernt hat. Und „den Ku'damm, den Alexanderplatz, das alles gibt es ja bei uns nicht“. Dino weiß nicht so recht, ob er sich auf die Rückkehr freut, „eigentlich weiß ja keiner, wovon wir da leben sollen“. Seine Mutter hat früher in der Schuhfabrik gearbeitet, doch die ist restlos zerstört. So wie alle zwölf Odzaker Betriebe. Von ihrem Haus sind nur noch die Grundmauern geblieben. Aber ein Zimmer wird man herrichten können, mehr hatten sie im Berliner Flüchtlingsheim auch nicht.

Die Voraussetzungen für eine Rückkehr sind gut und schlecht zugleich. Neunzig Prozent der Gebäude haben die Serben bei ihrem Rückzug in Schutt und Asche gelegt, doch mitlerweile hat der Wiederaufbau begonnen. Eine dänische Hilfsorganisation hat 100 Häuser gebaut, amerikanische Helfer erneuern die Wasserversorgung, Schule und Kindergarten sind wieder geöffnet.

Doch wenn sie nicht als Gruppe zurückkehren könnten, wären wohl auch die 117 Familien aus Odzak kaum zur Heimreise bereit. Der Zusammenschluß hat Vertrauen geschaffen und bürokratische Hürden beseitigt: Die Kantonsregierung versprach Hilfe bei den Zollformalitäten, Berlins Ausländerbeauftragte streckte für den LKW-Konvoi die Speditionskosten vor.

Eine seltsame Anspannung liegt über der Abschiedsfeier. Dinos Großvater etwa kann die Rückkehr plötzlich gar nicht schnell genug gehen. Er sitzt seit Tagen auf gepackten Koffern, einen Tisch weiter weint eine alte Frau aus einer Mischung von Vorfreude und Unsicherheit. Auch die 15jährige Azra wird in einem Gefühlschaos heimreisen. „Angst“ hat sie, „eigentlich vor allem“. Aber gleichzeitig ist da die Freude: „die Freude, daß ich mit meinen Füßen in meinem eigenen Land stehe und niemand mir mehr sagen kann: ,Geh doch nach Hause‘“. Vera Gaserow, Berlin