Dunkle Wolken über dem Klimaschutz

Der offizielle „Energiebericht 1990–1995“ stellt dem Senat ein schlechtes Zeugnis aus. Fortschritte bei Einzelmaßnahmen, aber nötig ist eine neue Klimapolitik  ■ Von Bernhard Pötter

Eberhard Diepgens Redenschreiber hatte geschlafen. In seinem Vorwort zur Broschüre „Klima in Berlin“ zum UNO-Klimagipfel 1995 begrüßte der Regierende Bürgermeister die Gäste aus aller Welt in gebrochenem Deutsch: „Unsere Stadt“, erklärte Diepgen, „bemüht sich im Verbund mit anderen Metropolen, seinen (!) Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.“

Inhaltlich dagegen war Diepgens Grußwort voll auf der Höhe der Zeit: „Wir können mit geeigneten Maßnahmen nicht warten, bis sich alle Forscher einig sind“, beschwor er die Dringlichkeit eines Eingreifens angesichts der drohenden Aufheizung der Atmosphäre. „Wir müssen schon heute entscheiden, damit morgen die Maßnahmen greifen können, die uns übermorgen ein menschenwürdiges Leben auf diesem Planeten ermöglichen. Die Zeit für mutige Taten ist gekommen.“

Dieser Mut hat den Senat offenbar verlassen. Denn obwohl seit Beginn der neunziger Jahren das „Spektrum energiepolitischer Maßnahmen in fast allen Handlungsfeldern tendenziell erweitert wurde“, produziert die Berliner Klimapolitik vor allem eins: heiße Luft. Es mangelt vor allem an klarer Prioritätensetzung in der Politik und an einer Strategie, wie die selbstübernommenen Verpflichtungen zur großflächigen Reduzierung von Kohlendioxid durchzusetzen sind. Das ist das Ergebnis des Berichts „Energiepolitik in Berlin 1990–1995“, der im Auftrag der Umweltverwaltung erstellt wurde und nun intern zwischen den Senatsressorts abgestimmt wird. Darin klagen die Gutachter die von Diepgen großspurig geforderten „mutigen Taten“ vom Senat ein: „Angesichts der Tatsache, daß das Emissionsminderungsziel erst zu ca. 40 Prozent (1995) erfüllt wurde“, heißt es als Fazit des 200 Seiten starken detaillierten Berichts, „erscheint eine Überprüfung und Neuausrichtung der Energie- und Klimaschutzpolitik notwendig.“

Dabei zählt der Bericht, den das Öko-Institut, die Forschungsstelle für Umweltpolitik der FU und die Energie- und Umwelt-Managementberatung Pöschk erstellt haben, durchaus Erfolge der Berliner Klimapolitik auf. So ging der Ausstoß von CO2 in der Stadt zwischen 1990 und 1994 pro Kopf der Bevölkerung um 12 Prozent zurück, die Heizkraftwerke der Bewag weisen eine „deutlich bessere Umweltbilanz“ aus als noch 1990. Auch die energiepolitisch sinnvolle Fernwärmeversorgung wurde in dem Zeitraum „stabilisiert“ und die dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung deutlich ausgeweitet. Mit den Energieversorgern Bewag und Gasag wurden Konzessionsverträge ausgehandelt, die nicht nur dem Land höhere Einnahmen zusichern, sondern auch ökologische Standards in die Energiepolitik einführen. Vor allem die Umstellung der Gasversorgung von Stadtgas auf Erdgas und die Sanierung der Gasleitungen durch die Gasag haben einen deutlichen Beitrag zur Senkung des Energieverbrauchs und zu einer verringerten Freisetzung des Klimakillers Methan bewirkt, heißt es in dem Bericht. Schließlich weisen die Gutachter darauf hin, daß die Förderung regenerativer Energien in großem Umfang ausgebaut werden konnte: Die Bewag hat sich verpflichtet, in den nächsten vier Jahren 40 Millionen Mark in diese Techniken zu investieren.

Ein großer Vorteil Berlins ist das Erbe seiner Insellage: „Nach wie vor wird der größte Teil der Berliner Elektrizität auch in der Stadt produziert, was bis auf eine Ausnahme in Kraftwerken mit Kraft-Wärme-Kopplung geschieht“, heißt es im Bericht. Wegen des möglichen Einflusses auf die Energiepolitik bietet sich damit ein „weitaus vorteilhafteres Bild als bei vielen anderen Großstädten in Deutschland“. Der Neubau des Heizkraftwerks Mitte, das im Sommer offiziell in Betrieb gehen soll, verbessert die Ökobilanz der Stadt: Die Produktion am Standort ersetzt einen Teil der Stromimporte aus den Dreckschleudern des Umlandes und „trägt erheblich zur Verminderung der Kohlendioxid-Emissionen in Berlin bei“.

Doch die Strominsel Berlin steht kurz vor der Überflutung durch billigen und umweltbelastenden Strom: Nach dem Anschluß an die europäischen Stromnetze erwarten die Gutachter billige Stromimporte aus dem west- und osteuropäischen Ausland. Damit verlagert Berlin seine CO2- Emissionen in die Ferne. Rechnet man sie den Berliner Emissionen hinzu, so frißt der vergleichsweise dreckige Importstrom die Berliner Bemühungen um saubere Luft wieder auf: „Die Emissionsminderungen in der Stadt durch Energieeinsparung und Energieträgersubstitution wurden damit im Jahre 1995 durch den erhöhten Stromimport vollständig kompensiert“: Der Dreck aus Bewag- Steinkohlewerken in Berlin verminderte sich um 330.000 Tonnen, gleichzeitig bliesen die Schlote des Umland-Stromversorgers Veag 900.000 Tonnen mehr CO2 in die Luft, weist der Bericht nach.

Die Zukunft der Berliner Energiepolitik steht mit der unsicheren Zukunft der Bewag in den Sternen, warnen die Gutachter: Die von der Bewag angekündigten Kraftwerksschließungen in Berlin und eine mögliche „Neuorientierung“ bei der Energiepolitik nach einem Verkauf an einen Stromgiganten „geben Anlaß, die Erosion der zentralen Kraft- Wärme-Kopplung in Berlin zu befürchten“, heißt es im Fazit des Kapitels „Energieversorgung“: „Die Aufgabe dieses klimapolitischen Standortvorteils wird wahrscheinlich kaum zu kompensieren sein.“

Schwer zu beheben ist auch ein weiteres Klimaproblem, das infolge der Lagerung der Berliner Müllmassen entsteht: Aus den Deponien entweicht unkontrolliert Methangas, das 25mal stärker die Atmosphäre aufheizt als CO2. Trotz der Nutzung des Gases in vier Anlagen „trägt das Deponiegas überproportional zum Treibhauseffekt bei“, so der Bericht.

Für die Gutachter ist klar, daß der Berliner Energiepolitik eine grundlegende Wende bevorsteht: Die bisherige Betonung von „förderpolitischen Instrumenten“ werde zu einem Ende kommen, sagt der Bericht voraus: Diese „subventiontsorientierte Energiepolitik“ ist für das Land, das am Rande der Pleite entlangschrammt, schlicht nicht mehr bezahlbar.

Der Bericht gliedert sich in fünf Kapitel: Darin listen die Gutachter im Detail auf, was in den letzten Jahren an klima- und energierelevanten Entwicklungen stattgefunden hat. Ihr Fazit: Für die Zukunft der Energiepolitik ziehen dunkle Wolken herauf. Denn In den meisten wichtigen Handlungsfeldern hinkt die Stadt teilweise weit hinter ihren eigenen Vorgaben hinterher:

Wohnungsbau: 32 Prozent des Energieverbrauchs und 47 Prozent der CO2-Emission gehen auf das Konto der privaten Haushalte. Das Energiekonzept hat deshalb festgelegt, daß hier bis 2010 insgesamt 1,85 Millionen Tonnen Kohlendioxid zu sparen sind, allerdings ohne zu sagen, wie und

wann das zu erfolgen habe, beklagen die Gutachter. Fördermittel „in erheblichem Umfang“ seien in Energiesparmaßnahmen investiert worden, allein im Ostteil wurden bislang 150.000 Wohnungen mit Blick aufs Energiesparen erneuert. Doch für die Erreichung der Ziele im Energiekonzept müßte bis 2010 ein Drittel der Wohnungen saniert werden – insgesamt 570.000 Wohnungen. Zur Erreichung der Minderungsziele nur durch öffentliche Förderung sei „etwa eine Verdoppelung des gegenwärtigen Mitteleinsatzes“ erforderlich. Über den Einsatz privater Mittel zur Energieeinsparung gebe es aber ebenso wenig Daten wie überhaupt über die Wirksamkeit der öffentlichen Energiesparinvestitionen: „Es ist davon auszugehen, daß diese Investitionen Energieeinspareffekte bzw. Co2-Minderungseffekte in einem bedeutendem Maße nach sich ziehen. Diese werden bislang allerdings nicht systematisch erfaßt.“ Auch hier braucht es einen Richtungswechsel, wird konstatiert: Die hochgesetzten Einsparungsziele sind „allein über den bislang favorisierten förderungspolitischen Ansatz nicht zu finanzieren“.

Öffentliche Gebäude: Mehr als 1 Prozent des Berliner Haushalts von 45 Milliarden Mark, 500 Millionen, zahlt das Land an Energiekosten, und eine „bedeutsame Reduzierung“ sei möglich, schreiben die Experten. Diese wird blockiert durch unzureichende Information, haushaltstechnische Hindernisse und schlichtweg das Fehlen von Geld für Investitionen. Wieviel CO2-Emissionen öffentliche Gebäude verursachen, ist nicht bekannt, moniert der Bericht: „Das ist nicht nur im Hinblick auf den Beitrag öffentlicher Einrichtungen zur Realisierung des beschlossenen Globalzieles einer 25prozentigen CO2-Reduzierung unverständlich.“ Ansätze zur Reduzierung des Energieverbrauchs in öffentlichen Gebäuden seien „vereinzelt und vielfach nicht aufeinander abgestimmt“, eine Grundsatzentscheidung über die Vergabe der Energiebewirtschaftung an Externe stehe „bislang noch am Anfang“. Für die erfolgreiche Durchsetzung der Berliner Klimaziele bedürfe es aber, so der Energiebericht, „unter anderem einer glaubwürdigen Vorreiterrolle des öffentlichen Sektors“.

Industrie: Daß eine Selbstverpflichtung der Industrie den Umweltschutz eher behindert als voranbringt, zeigt sich beim Klimaschutz: Bundesweit hat die Selbstverpflichtung der Industrie, den CO2-Ausstoß bis 2005 um 20 Prozent zu senken, eine gesetzliche Bestimmung verhindert. Kaum war das drohende Gesetz abgewehrt, war in Berlin der Ofen aus, moniert der Bericht: „Ein regionalspezifischer Umsetzungsprozeß der CO2-Selbstverpflichtung ist in Berlin bis heute nicht zu erkennen“, heißt es. „Das Handlungsfeld Industrie und Gewerbe ist von einer insgesamt geringen Aktivitätsdichte gekennzeichnet.“ Zwar gebe es Beratungs- und Förderprogramme seitens der Verwaltung sowie Modellprojekte, die „bemerkenswerte Potentiale zur Erhöhung der gewerblich/industriellen Energieeffizienz“ zeigten, doch insgesamt überwiegen für die Gutachter die Defizite. Industrie und Gewerbe, so das Urteil des Energieberichts, vermittelten den Eindruck „energiepolitischen Stillstandes“.

Verkehr: Eine besondere „Diskrepanz zwischen den Zielen und den konkreten Maßnahmen“ konstatieren die Gutachter im Verkehrsbereich. „Ambitionierten Absichtserklärungen“ stünden „kaum adäquate Lösungskonzepte gegenüber“. Zu deutsch: Während allgemein von einer Bevorzugung des energie- und umweltschonenden ÖPNV die Rede ist, läuft die reale Politik in die entgegengesetzte Richtung. „Die geplanten Maßnahmen reichen weder hinsichtlich der Intensität noch hinsichtlich des Umfanges aus, um die gesetzten Umweltentlastungen zu erreichen.“

Das Ziel des Energiekonzepts stehe im Widerspruch zur Verkehrspolitik, „bei der Maßnahmen zur Steigerung der Kapazität der motorisierten Verkehrsträger (insbesondere des Straßennetzes) im Vordergrund stehen“. Der ÖPNV werde nicht in der Lage sein, den Zuwachs im Verkehr aufzunehmen, wenn weiterhin auf Expansion der Stadt und Pendlerströme gesetzt werde. Statt der erwarteten Verdoppelung des Verkehrs könne es „bei effektivem verkehrspolitischem Handeln“ bei einem Anstieg von 15 Prozent bleiben, meinen die Gutachter. Die Anstrengungen für Vermeidung und Verlagerung des Verkehrs würden jedoch „nicht unternommen“. Die Konzepte für eine Verkehrspolitik nach Maßgabe der Ressourcenschonung lägen vor, heißt es. „Die eigentliche Problematik einer umweltverträglichen Verkehrspolitik liegt im Bereich der politischen Umsetzung.“

Forschung: Die Informationen zum Thema globale Erwärmung liegen vor: Kommunikation und Bildung zum Thema Energie und Klima sind in Berlin gut entwickelt, bescheinigt der Bericht der Verwaltung. Der „energiepolitische Diskurs“ sei in Gang gekommen und habe „in Teilbereichen durchaus Modellcharakter“, umwelt- und energiebezogene Forschung und Lehre wiesen ein „breites Spektrum“ auf. Insgesamt, schreiben die Gutachter, „überwiegen in diesem handlungsfeld die Aktivposten“.

Für den durchschlagenden Erfolg bei Maßnahmen zur Bildung und Aufklärung gibt es allerdings ein riesiges Problem, erkennen die Gutachter: „Informations- und Beratungsmaßnahmen können nur dann Erfolg für sich beanspruchen, wenn den Worten in absehbarer Zeit Taten folgen.“