Neue Rücksicht auf Emotionen

Trotz immer noch vorhandener Solidarität mit „Gastarbeitern“ und Flüchtlingen wächst in Österreich die Abneigung gegen alles „Fremde“  ■ Aus Wien Ralf Leonhard

Fast jede Woche wird an Österreichs Grenzen ein Lkw mit illegal eingeschleusten Kurden, Rumänen oder Türken entdeckt. In der Regel sind es die bayrischen Zöllner, die dank technischer Hilfsmittel oder durch einen Hinweis auf die Idee kommen, geheime Innenräume zu suchen, in denen Flüchtlinge meist schon seit Tagen ohne Wasser und Nahrung eingepfercht waren. Organisiert von Schlepperbanden, die mächtig abkassieren, sollten die Leute nach Deutschland gebracht werden, denn die österreichische Asylpraxis läßt nur die ganz Verwegenen und die Unkundigen den Versuch unternehmen, hierzulande wegen politischer Verfolgung aufgenommen zu werden.

Im letzten Jahr wurden von 9.090 Asylanträgen gerade mal 716 positiv entschieden; ansonsten wurden Flüchtlinge ohne Bedenken auch in Bürgerkriegsländer wie Afghanistan oder Willkürregime wie Nigeria zurückgeschickt. Aber auch die legal eingewanderten „Gastarbeiter“ und deren Angehörige haben es immer schwerer. Es ist Mode geworden, für die hohe Arbeitslosigkeit die „ungezügelte Einwanderung von Arbeitskräften“ verantwortlich zu machen.

Die Parole „Ausländer raus“ ist längst nicht nur an den Stammtischen der deutschnationalen Hetzer zu hören. Kärntens stellvertretender Landeshauptmann Karl- Heinz Grasser erließ Ende letzten Jahres eine Weisung an seinen Baureferenten, „in die Ausschreibungsbedingungen zu den öffentlichen Bauvorhaben eine Bestimmung aufzunehmen, wonach bei der Durchführung des betreffenden Bauvorhabens ausschließlich heimische Arbeitskräfte bzw. Arbeitskräfte aus EU-Ländern eingesetzt werden dürfen“. Der freiheitliche Landrat war von einem Richtfest schockiert nach Hause gekommen. „Von 20 Namen konnte ich keine 15 aussprechen“, gab er dem Nachrichtenmagazin Profil zu Protokoll. „Das darf doch nicht wahr sein, habe ich mir gedacht. Das muß sich ändern.“

Als die gesetzwidrige Weisung publik wurde, steckte Grasser zurück und wollte plötzlich nur mehr eine unverbindliche Empfehlung gegeben haben. Doch sein Parteichef Jörg Haider wich keinen Schritt zurück. Wenn auf Baustellen „die Ausländer bis hin zu Schwarzafrikanern Ziegel schneiden und tragen, dann denkt sich der österreichische Bauarbeiter schon etwas. Da muß man verstehen, wenn es Emotionen gibt.“

Diesen „Emotionen“ tragen inzwischen auch die bisher ausgewogeneren Medien Rechnung. Der Fernsehmoderator Josef Broukal, der Grasser in einem Live-Interview in die Mangel nahm und fünfmal nachfragte, wie lange ein Ausländer in Österreich leben müsse, um als guter Ausländer betrachtet zu werden, wurde vom Rundfunkintendanten Gerhard Zeiler gemaßregelt, weil er die „nötige Fairneß“ habe vermissen lassen.

Im Dezember 1993 war das Anti-Ausländer-Volksbegehren Haiders noch kläglich gescheitert und hatte 200.000 empörte Demonstranten vor das Bundeskanzleramt gebracht. Doch kaum war das Lichtermeer auf dem Ballhausplatz erloschen, begann die rot- schwarze Koalition bereits, die ersten Forderungen des Jörg Haider aufzugreifen; Politiker wissen nur zu gut, daß mit Solidarität und Fairneß keine Wählerstimmen zu holen sind.

Das Ausländergesetz und das Aufenthaltsgesetz von 1993 haben viele Ausländer plötzlich in die Illegalität abgedrängt, weil sie eine Frist versäumt haben, die Wohnung zu klein geworden ist oder das Einkommen als zu gering angesehen wird. Ausländer gelten pauschal als Last, obwohl eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts nachgewiesen hat, daß die Nichtösterreicher jährlich zehn Milliarden Schilling (rund 1,4 Mrd. Mark) mehr einzahlen als sie an Sozialleistungen in Anspruch nehmen.

Die Österreicher schätzen zwar die Cevapcici im Balkan-Restaurant und das kleine Gulasch mit Saft und Knödel. Doch die „Tschuschn“ und die Ungarn sollen lieber zu Hause bleiben. Geschürt vom Massenblatt Kronen Zeitung wird die latente Xenophobie zwischen Neusiedlersee und Arlberg zur Volksideologie aufgeputscht. Hilfsorganisationen, die sich um Ausländer kümmern, klagen über rückläufiges Spendenaufkommen. Die weitaus größte Organisation, die mittellosen Asylbewerbern mit Verpflegung und Unterkunft unter die Arme greift und verunsicherten „Gastarbeitern“ durch den Verordnungsdschungel hilft, ist die katholische Caritas. Sie hat 1991 eine Ausländerberatungsstelle eingerichtet, die verzweifelte Afrikaner, Asiaten und Südosteuropäer vor der Schubhaft rettet, manchmal aber nur die Lebensbedingungen bis zur Abschiebung erleichtern kann.

Als Rechtsberatung für Bosnier entstand die Organisation „Helping Hands“, eine Initiative von Jurastudenten und Jungjuristen. Ein ersprießliches Zusammenleben verschiedener Nationalitäten sei nur möglich, wenn auch Zuwanderer sich ihres aufenthaltsrechtlichen Status gewiß sein können, damit ihnen eine langfristige Lebensplanung ermöglicht wird, meinen die engagierten Akademiker. Sie veranstalteten Deutschkurse und begleiten abschiebungsgefährdete Ausländer bei den Verhören vor der Fremdenpolizei. Oft kämpfen sie gegen rechtswidrige Bescheide gerichtlich an und bekommen sogar meistens recht. Michäl Köcher von „Helping Hands“ spricht von einer Erfolgsquote von 60 bis 80 Prozent.