Schwerstkranke auf den Schwarzmarkt getrieben

■ Der Zoll macht bei der Selbsthilfegruppe „Cannabis als Medizin“ Hausdurchsuchungen

Selbst schwerste körperliche und seelische Leiden schützen in Berlin nicht vor dem harten Zugriff der Strafverfolger. Mitte Dezember vergangenen Jahres durchsuchten Zollfahnder die Wohnungen von zwei chronisch Kranken, die Mitglieder der Selbsthilfegruppe „Cannabis als Medizin“ sind. Sie beschlagnahmten jeweils rund 25 Gramm Cannabis sowie einige frische Graspflanzen und nahmen dem 30jährigen krebskranken Alexander Remmele und dem an Nierenfunktionsstörung und Entzündung des Dünndarms leidenden 32jährigen Torsten Heuer damit ihre wichtigste Medizin weg. „Ich benötige das Gras, um die Symptome meiner Krankheit zu lindern“, erklärte Remmele den Fahndern. Doch die habe das nicht interessiert.

Remmele ist Vorstandsmitglied des Ende 1995 gegründeten Vereins „Cannabis als Medizin“. Die rund 50 Mitglieder leiden an Aids, Krebs, Multipler Sklerose, Depressionen und anderen chronischen Krankheiten und bekennen sich offen dazu, Cannabis therapeutisch zur Linderung ihrer Schmerzen, zur Beruhigung und als Appetitanreger einzusetzen. „Das Gras hilft mir, gegen ständiges Übelsein und Erbrechen anzukämpfen und dadurch halbwegs mein Gewicht zu halten“, erklärt Heuer. Für den 1,70 Meter großen Mann, der nur noch 40 Kilo wiegt, ist die weiche Droge ein lebenswichtiger Appetitanreger.

Die Nachricht von der Durchsuchung hat bei fortschrittlichen Drogenpolitikern weit über Berlins Grenzen hinaus einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Der Vorsitzende Richter am Lübecker Landgericht, Wolfgang Nescovic, der 1994 beim Bundesverfassungsgericht einen Beschluß zum Haschischverbot erwirkte, sprach von „ideologischer Verblendung“ der Berliner Strafverfolger. Die schleswig-holsteinische Gesundheitsministerin Heide Moser (SPD), die einen Modellversuch zum Verkauf von Cannabis in Apotheken vorbereitet, redete von „Betonköpfen“. Die Kriminalisierung der Kranken „bestätigt den Unsinn der Verbotspolitik“. Und der Präsident der Berliner Ärztekammer, Ellis Huber, konstatierte trocken: „Die Dummheit von Staatsorganen ist nur heilbar, wenn man die Regierung abwählt.“ In England und den USA, weiß Huber, sind Cannabissubstrate schon längst als Medikament zugelassen.

Unterdessen ermitteln die Strafverfolger unverdrossen weiter gegen die Kranken. Theoretisch besteht zwar immer noch die Möglichkeit, daß die Staatsanwaltschaft zu guter Letzt auf eine Anklageerhebung verzichtet und das Verfahren gegen die Kranken einstellt. „Jeder Einzelfall muß abgewogen werden“, sagt Justizsprecher Rüdiger Reiff. Da es sich im konkreten Fall aber „fast um ein halbes Kilo Cannabis“ handele, hält er die Chancen für eine Einstellung allerdings nicht für sehr groß. Auf die Spur gekommen waren die Zollfahnder den beiden Mitgliedern der Selbsthilfegruppe durch ein an sie adressiertes Päckchen mit Gras aus der Schweiz. Für Alexander Remmele und Torsten Heuer bedeutet die Beschlagnahmung, daß sie sich ihre Medizin wohl oder übel nun auf dem heimischen Schwarzmarkt besorgen müssen. Plutonia Plarre