Gaskonzern als russischer Energieriese

■ Gazprom behauptet auch nach der Privatisierung seine starke Marktposition

Berlin (taz) – Der russische Gaskonzern Gazprom will seine Öl- und Gasanlagen bei Lloyd's in London versichern lassen. Der Londoner Times zufolge beauftragte das Unternehmen den britischen Versicherer Riceman Insurance Investment und dessen Tochter Anglo-Russia Insurance mit dem Geschäft. Die Bereitschaft von Lloyd's, dieses Risiko zu akzeptieren, werde der Times zufolge zeigen, wie groß das Vertrauen in die Stabilität Rußlands sei.

Daß sich Lloyd's diesen Deal entgehen läßt, ist unwahrscheinlich. Denn die privatisierte Gazprom, die weitgehend immer noch wie ein Staatskonzern funktioniert, ist ein dicker Fisch. Sie kontrollierte nach den letzten vorliegenden Zahlen von 1995 nicht nur ein Drittel der weltweit sicher festgestellten Erdgasreserven, sondern auch 100 Prozent des Erdgaskonsums Rußlands und 94 Prozent des dortigen Gasleitungssystems sowie 20 Prozent des in Westeuropa und 55 Prozent des in Osteuropa verbrauchten Erdgases. In Rußland, so die Prognosen, wird der Anteil von Gas am Energieverbrauch bis 2010 von 49 auf 57 Prozent steigen. Schon jetzt listete die Financial Times Gazprom als einen der 500 größten Konzerne weltweit auf. Vorschläge des Internationalen Währungsfonds, den russischen Gasriesen in handlichere Teile zu zerlegen, lehnte Moskau bisher standhaft ab. Kein Wunder: Gazprom wurde einst vom jetzigen russischen Ministerpräsidenten Wiktor Tschernomyrdin geleitet und stellt noch immer seine eigentliche Machtbasis dar.

Auch im globalökonomischen Rennen um die Gasressourcen der neuen Staaten im Süden der GUS mischt Gazprom mit. Bisher muß faktisch das gesamte Gas Turkmenistans, Usbekistans und Kasachstans durch russische, sprich Gazprom-Pipelines, wenn es den Weltmarkt erreichen will. Allein Turkmenistan verfügt über 10 Prozent der Weltreserven. Dieses Monopol will sich Gazprom nicht entreißen lassen. Und so wird immer wieder berichtet, daß „Interessengruppen“ in Moskau regionale Konflikte genau in jenen Gebieten schüren, durch die westliche Konkurrenten Alternativ-Pipelines verlegen wollen, sei es Türkisch- Kurdistan, Berg-Karabach oder Abchasien. Thomas Ruttig