Das sozialpartnerschaftliche Konzept der IGBE bekommt zusehends Risse

■ Immer mehr Bergleute werfen ihrer Gewerkschaft vor, zu kompromißlerisch auf die Bonner Angriffe reagiert zu haben

Die „Zechenmörder“- und „Lügner“-Rufe aufgebrachter Bergleute scheinen zumindest beim nordrhein-westfälischen CDU-Oppositionsführer Helmut Linssen am Wochenende zu einem Lernerfolg geführt zu haben. Während Linssen das 3,8-Milliarden- Mark-Angebot der Bundesregierung am Freitag morgen noch als „positiv“ für die Bergbauregionen verkauft hatte, kamen ihm unter dem Eindruck des Proteststurms in den Revieren am Samstag ganz andere Töne über die Lippen. Plötzlich galt auch dem CDU-Mann das Bonner Kürzungskonzept als „unzumutbar“.

Aber nicht nur CDU-Politikern ging es am Wochenende an den Kragen. „Judas“-Rufe erntete auch der Vorsitzende der Bergbaugewerkschaft IGBE, Hans Berger. Immer mehr Bergleute, die am Freitag ganz ohne Abstimmung mit Betriebsräten und IGBE-Funktionären bundesweit die Brocken hingeschmissen hatten, werfen ihrer Gewerkschaftsführung vor, in den letzten Wochen und Monaten zu lau und zu kompromißlerisch auf die Bonner Angriffe reagiert zu haben. Das alte sozialpartnerschaftliche IGBE-Konzept, selbst gewaltige Arbeitsplatzverluste im Tausch gegen eine sozialverträgliche Abwicklung der Schrumpfung mitzutragen, bekommt zusehends Risse.

Bei dem von der Koalition vorgelegten Zahlenwerk verbietet sich die Fortsetzung dieses Kurses mangels Masse ohnehin. Ohne Massenentlassungen, da sind sich die IGBE-Führung und die SPD in ihrer Analyse einig, wäre die verlangte Schrumpfung bis zum Jahr 2005 nicht zu schaffen. Um den Bonner Finanzvorgaben zu folgen, müßten von den noch 19 verbliebenen deutschen Schachtanlagen – drei davon im Saarland – schon bis zum Jahr 2000 sechs bis sieben dicht gemacht werden. Ein, so die Essener Ruhrkohle AG, „drastischer Einbruch“, der „notwendigerweise massive Entlassungen“ zur Folge hätte.

Zur Zeit arbeiten noch rund 86.000 Bergleute im westdeutschen Steinkohlebergbau. Setzte die Bonner Regierung sich mit ihren Plänen durch, dann verlören rund 35.000 von ihnen schon bis zum Jahr 2000 ihren Job. Übrig blieben im Jahr 2005 kaum mehr als 20.000. Doch damit wäre es nicht getan. An jedem Arbeitsplatz im Bergbau hängen 1–1,3 Arbeitsplätze in der Bergbauzulieferindustrie. An den heutigen Zechenstandorten wären deshalb Arbeitslosenquoten von 20 bis 30 Prozent unvermeidbar.

Daß die hohen Subventionen von derzeit insgesamt zehn Milliarden Mark pro Jahr (gut eine Milliarde davon zahlt das Land NRW) auf Dauer nicht weiter fließen können, weiß auch die IGBE. Doch sie kämpft dafür, den geordneten Schrumpfungsprozeß der vergangenen Jahrzehnte fortzusetzen. Die Gewerkschaft selbst hat einen Vorschlag vorgelegt, der auf eine Halbierung der Beschäftigtenzahl bis zum Jahr 2005 hinausliefe und die Schließung von sieben Zechen erforderte. Legt man den derzeitigen Preisunterschied zwischen heimischer und importierter Steinkohle zugrunde, würde die Absicherung des IGBE-Kurses im Jahr 2005 immer noch gut 6,5 Mrd. Mark erfordern. Zur Zeit bringt NRW 700 bis 800 Mio. Mark jährlich an Absatzhilfen auf. Hinzu kommen weitere Millionenbeiträge in dreistelliger Höhe für Stillegungs- und Anpassungshilfen sowie zur Behebung ökologischer Erblasten. Insgesamt rund 1,2 Mrd. Mark.

Während Bonn nun von NRW verlangt, den eigenen Zuschuß in den kommenden Jahren fast zu verdoppeln, möchte sie selbst 60 Prozent ihrer bisherigen Zahlungen streichen. Gegen diese neue Lastenverteilung will sich die Düsseldorfer Regierung mit allen Mitteln wehren. Die Absage der Steuergespräche war nur der Anfang. Walter Jakobs