Freiheit, Gleichheit, Superdisco

Neu im Regal der Lebensstile: Französische House-Musik erfindet das Tanzen nicht neu, macht es aber wieder lustig. La Boum – die Fete geht weiter!  ■ Von Martin Pesch

Jetzt muß man sich auch noch um die Franzosen kümmern. Konnte man das Gebiet links des Rheins bisher in Popdingen im allgemeinen und House/Techno-Angelegenheiten im besonderen getrost vernachlässigen, heißt es jetzt: Obacht! Nicht nur, daß jedem durch Marshallplan und die Beatles zwangsanglophonisierten Zeitgenossen Namen wie Etienne de Crecy und Guy-Manuel de Homem Christo inzwischen locker über die Lippen gehen. Diese Leute und einige ihrer Kollegen sind derzeit auch auf den Titelblättern internationaler Musikzeitschriften. Und alle sagen: Die neuen Franzosen sind da.

Selbst die im Moment laufende Promokampagne für die neue LP von Laurent Garnier, dem Veteranen französischer Technomusik, wird überschattet vom Hype um die „neuen Franzosen“. Darauf angesprochen, macht Garnier auf zweierlei aufmerksam: „Ich höre immer Franzosen. Man muß eigentlich Pariser sagen. Alles konzentriert sich auf Paris. Dabei beachtet niemand, daß es in Marseilles, Nantes, Lyon sehr gute Acts gibt und natürlich auch Labels und Clubs. Und die Leute sollten nicht vergessen, daß ohne Eric Morand gar nichts passiert wäre.“

Morand bekam Anfang der Neunziger von der Kaufhauskette fnac die Möglichkeit, ein House- Label zu managen. Nach Unstimmigkeiten gründete er zusammen mit Garnier F Communication. Das ist das Label, das bisher für französische elektronische Musik am meisten internationale Beachtung wecken konnte.

Plötzlich sind die Fenster auf

Aber auch mit vereinten Kräften konnten Garnier und Morand nie das Level erreichen, auf dem jetzt jüngere und scheinbar neu auf den Plan tretende Künstler aus Frankreich für so viel Wirbel sorgen. Dreht es sich dabei nur um ein zufällig nach oben gespültes Thema? Hat die Aufmerksamkeit tiefere Gründe, mit der zur Zeit House- Platten aus Frankreich gehört werden? Oder will man jetzt mit schlecht kaschierter Heuchelei nachholen, was man jahrelang arrogant ignorierte? Eigentlich geht es dabei um zwei Platten: „Pansoul“ von Motorbass und „Homework“ von Daft Punk. Beide wirken zur Zeit wie plötzlich aufgestoßene Fenster, die den Blick freigeben auf eine schon jahrelang gewachsene Szene.

Angesichts massiv durchgesetzter Repressionen gegenüber Partyveranstaltern und Clubbetreibern tut es dieser Szene sicherlich gut, wenn sie auf Erfolge jenseits der eigenen Landesgrenzen verweisen kann. Laurent Garnier, der seine Karriere übrigens in England begann, sagt zu dieser brenzligen Situation in Frankreich: „Wir müssen einfach erfolgreicher werden. Bis die Regierung merkt, daß französische Musik noch etwas anderes ist als Johnny Hallyday. Dem wurde kürzlich auf Staatskosten ein Auftritt in Las Vegas ermöglicht, zu dem französisches Publikum geflogen wurde. Wenn ich in England auflege, kommen 10.000 Leute, und davon ist niemand Franzose. Deswegen ist richtig, was Daft Punk gemacht haben. Bei Virgin unterschreiben, massig Platten in der ganzen Welt verkaufen. Bis niemand mehr sagen kann, daß Techno von kriminellen Kids gemacht wird, die Ecstasy fressen.“

Disco macht die Party neu

Das Debütalbum von Daft Punk ist im Moment eine dieser Platten, die den Nerv der Zeit treffen, wie man so sagt. Gäbe es diesen Nerv nicht, würde sich – Hype hin, Hype her – niemand für die dahinter liegende Geschichte interessieren.

Und darin spielt Disco die Hauptrolle. Aber nicht verkleidet als bloßes Siebziger-Revival. Disco hat etwas mit der Sackgasse zu tun, in die die Party geraten ist. Loveparade, Mayday und dergleichen sind inzwischen zu normalen Verwaltungsakten mutiert. Nachdem die Idee Rave so erstarrte, wurde zum Rückzug in den Club geblasen. Aber das läßt sich nicht so einfach an. Aufsplitterung der Stile, Domestizierung von einst radikaler Tanzmusik in Listening-Kneipen, Älterwerden der Feierprofis von einst – die Party will nicht mehr recht in Gang kommen.

Die Idee Disco schafft Abhilfe. In mehrfachem Sinn: Disco macht die Party für Ältere (ab 30) interessant, weil sie mit diesem Begriff Erinnerungen verbinden und gegenüber Jüngeren einen Erfahrungsvorsprung einsetzen können; Disco zielt nie auf die immer verdächtige Vereinheitlichung (“We are one family“ etc.), wie sie mit Techno/House verbunden ist; zu einem Zeitpunkt, da Techno auf Geschäfts- und Rezeptionsseite dem Rockbusiness ähnlicher wird, kann mit Disco eine historisch legitimierte Anti-Rock-Attitüde reaktiviert werden. Und gegenüber dem Leistungstanzen in Technoclubs steht Disco für die kurzfristige ekstatische Überschreitung täglicher Routine.

Inzwischen ist eine Lawine von meist US-amerikanischen House- Tracks niedergegangen, die auf diesen Trend reagieren oder ihn mitgeprägt haben. Plattentitel wie „Disco“ (DJ-Rush), „One Night In The Disco“ (Nick Holder) sprechen Bände. Genau daran ist aber ein weiteres Krisenmoment abzulesen: die momentane Schwäche der sonst das Genre beherrschenden Produzenten aus den USA. Und hier kommen langsam die Franzosen ins Spiel, denn ihre derzeitige Popularität ist auch auf eine Wiedergeburt europäischer Housemusik zurückzuführen.

Eleganz nicht abzusprechen

In Frankreich hat man von alldem nichts mitbekommen. Anders ist die Selbstverständlichkeit nicht zu verstehen, mit der dort Musik gemacht wird, die im Moment als passendes Heilmittel Verwendung findet. Und natürlich haben Philippe Zdar und Etienne De Crecy nicht auf diese Situation gewartet – um nun zusammen als Motorbass plötzlich aufzutauchen. Denn beide sind alte Hasen. Zdar gehört zum Produzententeam des Rapstars MC Solaar. Außerdem ist er bei La Funk Mob, die beim englischen Label Mo' Wax mehrere Platten veröffentlicht haben. Etienne De Crecy ist unter Namen wie La Chatte Rouge auf mehreren Compilations vertreten. Mit Alex Gopher macht er die Firma Disques Solid, die derzeit Furore mit einem Quartett von 10-Inch- Platten macht, deren Cover zusammengelegt das Wort „Superdiscount“ ergeben. Das ist mehr als ein superbilliger Marketingwitz, denn in diesem Wort ist ja auch Superdisco versteckt. Und da wollen wir hin.

Motorbass-Musik merkt man an, daß sie live eingespielt ist, keine glatten Computer-Arrangements. Manchmal zischelt eine HiHat vorbei, verschwindet, um zwei Minuten später unvermittelt wieder zurückzukommen. Die Beats setzen teils sehr unorthodox ein, manchmal laufen die Rhythmuspatterns minutenlang vor sich hin. Trotzdem ist dem Ganzen eine gewisse Eleganz nicht abzusprechen, was inbesondere auf sparsam einge-setzte Saxophon- oder Vokalsamples zurückzuführen ist.

Bei Daft Punk kann man eher schon mal ein Gitarrensolo hören. Thomas Bangalter und Guy Manuel de Homem Christo haben mit so einem Instrument angefangen.

Rund um die Welt zum Unterschreiben

Vor Jahren nannten sie sich noch Darling. Der Melody Maker druckte einen argen Verriß ihrer Single, worin die Charakterisierung „daft punk“ vorkam. Die zwei Franzosen fanden das so ermutigend, daß sie Band Band sein ließen, zum Technoduo wurden und sich Daft Punk nannten. Auf dem schottischen Label Soma veröffentlichten sie 1995 den Track „Da Funk“, inzwischen über 30.000mal verkauft. Das führte dazu, daß die beiden während des letzten Jahres auf Kosten der größten Plattenfirmen zu Vertragsverhandlungen rund um die Welt jetten konnten. Schließlich unterschrieben sie bei Virgin. Und sicherten sich alle Freiheiten. Sie betreiben weiter diverse Labels (u.a. Roulé) und bestimmen über die Firmen Daft Arts und Daft Tracks das kreative Umfeld (Covergestaltung, Video etc.). Muß man erwähnen, daß die beiden knapp über 20 sind?

Im Booklet ihrer CD „Homework“ ist eine Foto eines Schülerschreibtisches anno 1976. Kiss-Plakat, Chic-Single, unter dem Hausaufgabenheft ist der Playboy versteckt. Zwischen Disco und Monsterrock wird auch hier die Möglichkeit angedeutet, innerhalb des vorgefundenen Koordinatensystems Pop den eigenen Weg zu finden. Zwischen Disco und Monsterrock, gab es da nicht auch Punk? Daft Punk beweisen eine seltene Reflexionshöhe, von der aus sie ihre Debüt-LP lancieren.

Mehrmals jagen sie auf dieser Platte die Sounds durch Filter, in denen die Tracks fast absaufen. In den ersten Minuten hört man so einen gefilterten Track, während davor Stimmengewirr zu hören ist: die Leute, die vor einer Disco stehen. Plötzlich Polizeisirenen und die Aufforderung, die Versammlung aufzulösen. Das Stimmengewirr wird lauter, die Leute gehen rein, und mit voller Wucht erwischt sie (und uns) der Beat. Jetzt kann nichts mehr passieren. Daft Punk zitieren hier eine auf HipHop-Platten oft inszenierte Konfrontation der Posse mit der Polizei. Andererseits weisen sie auch auf die Disco als Ort außerhalb der gewöhnlichen Ordnung hin. Und dieser Verweis ist aktuell durch die schon erwähnten in Frankreich derzeit verstärkt gegen moderne Tanzmusik eingesetzten ordnungspolitischen Maßnahmen.

Aus dem Koffer auf die (Tanz-)Fläche

In diesem gerade abfackelnden Feuerwerk toller Ideen, Grooves und clever codierter Issues von, wenn man will, auch politischer Relevanz kommt einem Laurent Garnier mit seinem neuen Album „30“ etwas fehl am Platz vor. Aber tut man ihm damit nicht unrecht? Vergleichbar mit Sven Väth in Deutschland und Carl Cox in England ist Garnier hauptsächlich DJ. Er interpretiert diesen Job nicht als postmodernes Rollenmodell, sondern als Vermittlerposition zwischen Plattenkoffer und Tanzfläche. Daß seine eigenen Plattenproduktionen nie so toll waren – was spielt das für eine Rolle? Auch auf „30“ geht es traditionell zu. Viele Verweise auf die alten Hochzeiten von Chicago-House (“Ich mag das einfach“) und ein paar Ausflüge ins Listening-Fach.

Aber Garnier ist sich bewußt, daß eigene Platten für ihn nicht den Stellenwert haben: „Ich bin Follover, kein Innovator“, bekennt er. Daß heute andere Maßstäbe angelegt werden und Garniers Position dabei zwangsläufig unterbewertet wird, deutet auch auf die Entwicklung hin, die House und Techno in den letzten Jahren genommen haben. Von der Gebrauchsmusik für die Party am Wochenende zum künstlerischen Ausdruck, der nur noch in Glücksfällen über Historisierung und Diskurswerdung hinausschießt. Zur Zeit treffen einige Franzosen dabei ins Schwarze.

Motorbass: „Pansoul“ (PIAS)

Daft Punk: „Homework“ (Virgin)

Laurent Garnier: „30“ (F Communication/RTD) (erscheint erst am 7.4., die Single „Crispy Bacon“ ist mitsamt Remixes vorab veröffentlicht)