Prinzip Materialschlacht

Faust, Krautrocker der ersten Stunde, werden heute als Urväter des Techno gefeiert. Besonders in England ist „German Art Rock Terrorism“ Kult. Doch die Band ist der Flipper im elektronischen Maschinenpark geblieben  ■ Von Thomas Groß

Man schrieb das Jahr 1973, und der Rock hatte seine ersten zwei, drei Revolutionen schon hinter sich gebracht. Gerade war er dabei, etwas korpulent zu werden – „Musiker spielten normalerweise Solos und blickten beifallheischend ins Publikum, und dicke häßliche Typen tunteten in Mulltuch gehüllt rum und besangen irgendwelchen Scheißdreck“.

Aber dann, fährt Julian Cope in seinem Buch „Krautrocksampler“ fort, einem fulminanten britischen Pionierwerk über eine deutsche Erscheinung – „aber dann kamen Faust auf die Bühne: Langhaarige ohne Schlaghosen, sie trugen diese verblichenen europäischen Röhren, die man Anfang der 70er hier an hippen deutschen Studenten sehen konnte... Einer spielte Drums, einer Klavier und sang, und die anderen beiden spielten Flipper, die Synthesizer in Gang setzten – mit dem Rücken zueinander an beiden Seiten der Bühne, während Strobes die Saiten der besten Rhythmusgitarre seit Lou Reed aufblitzen ließen. Es war episch, es war brillant, es hatte eine Attitude, mit der man Städte in Schutt und Asche legen konnte, und es versaute mir jede Show, zu der ich in den nächsten zwei Jahren ging. Von Zeit zu Zeit schnappten sie sich Fetzchen ihrer Songs und schmissen damit ein bißchen um sich, aber sie hatten Beton auf der Bühne und riesige Preßlufthämmer, und ihre sehr an die Stooges erinnernde Ur-Punk-Präsenz flößte mir höllischen Respekt ein und schockte mich.“

Geburt aus dem Geist der Baumaschine

24 Jahre später kann sich Werner „Zappi“ Diermaier noch ganz gut an den Auftritt in der Town Hall von Birmingham erinnern. „Das war nämlich der Beginn unserer außergewöhnlichen Instrumentierung mit Baumaschinen. Da haben wir so einen Bauarbeiter gefunden und ihn gefragt, ob er nicht mitspielen will, einfach so.“

„Beim Reinfahren nach Birmingham stand er mit seinem Preßlufthammer an der Straße“, schaltet sich Hans Joachim „Jochen“ Irmler ein. „So wie er war, hat er versprochen, am Abend wieder zu erscheinen. Das hat dann nicht ganz hingehauen, leider Gottes ist er im feinsten Zwirn gekommen – mit der ganzen Familie dabei. Ungelogen!“

„Aber den Einsatz hat er ganz gut hingekriegt. Am Anfang war er noch ziemlich vorsichtig, aber dann hat er gar nicht mehr aufgehört und bis zum Schluß durchgehämmert.“

Zappi Diermaier (48) und Jochen Irmler (47) sind, im Trio mit Jean-Hervé Peron (47), der harte Kern – das, was von Faust übrig blieb, nachdem die Band, die mit dem 12-Minuten-Epos „Krautrock“ (von der LP „Faust IV“) gewissermaßen den Blueprint eines Genres lieferte, Mitte der Siebziger und nach vier LPs weniger auseinandergegangen als allmählich diffundiert war. Seit 1990 gibt es sie ebenso allmählich wieder. Das Jahr 1992 erlebte einen umjubelten Faust-Auftritt im Londoner Marquee, 94 wurde mit „Rien“ die Veröffentlichungsgeschichte fortgeschrieben, gerade erschien das Folgealbum „You Know FaUSt“.

Das Echo des verechoten Echos

Dazwischen spontanes Touren, u.a. auch im Mai 95 mit Station in der Berliner Volksbühne. „Im Foyer wird die Frage diskutiert, wie so alte Männer noch so weit draußen sein können“, schrieb Johannes „Johnny“ Waechter damals für die taz.

Warum sie nach Jahrzehnten des solitären Wurschtelns und Erwerbswirtschaftens als Fernseh- und Elektromechaniker, Taxifahrer und Fernsehkulissenbauer zurückgekehrt sind, wissen Diermaier/Irmler auch nicht so recht zu erklären, hat aber – neben dem Craze, den die Engländer um „German Industrial Art Rock Terrorism“ und „The Kosmische Drone“ veranstalten – etwas mit diesem neuerwachten Interesse der Jüngeren an SOUNDS zu tun. SOUNDS im emphatischen Sinn: Faust, die einen der ersten einheimischen Synthesizer ihr eigen nannten (Irmler: „Es war wie der Isenheimer Altar auf moogianisch“), lassen sich zwanglos als Pioniere des Techno beschreiben – oder auch klangphilosophisch aufladen: als Sprenger der Notation und Untergänger des Abendlands, Revolutionäre des Molaren, nomadologische Krachkapitäne, die mit ihrem Willen zum Experiment die, äh, Dispositive der Macht im, äh, subversiven Sinne ...

„Sagen mer mal so“, sagt Irmler, der ganz gern auf dem Teppich bleibt, „die Klänge konntest du nirgends kaufen. Das ist eben der Faust-Sound! Aber im Grunde doch nicht so digital. Eher eine mechanische Angelegenheit. Materialschlachten, muß man schon sagen. Mit zum Teil 20 Aktivboxen rübergebracht. Aber ungelogen!“

Diermaier: „Du hast zum Beispiel drei Echogeräte hintereinandergehängt, das Echo verechot und das verechote Echo wieder verechot. Manchmal haben wir aber auch außerhalb unseres Tonstudios in Wümme bei Hamburg Mikrofone aufgestellt und stundenlang auf Lastwagen gewartet, die die Landstraße entlangkamen. Und nachher zu diesen Klängen was dazugespielt.“

Irmler: „Aber wenn die Leute meinten, da spielt ein Hühnerhof, das da ist eine Tuba, ein Xylophon, oder es landet gar zufälligerweise eine Flugente auf deinem Bauch, dann ist das meist die sogenannte ,Oagel‘ – so hieß das bei uns. Ein Ding, das ich irgendwann mal zusammengelötet habe.“

Beethoven-Dröhnung, RAF-Psychedelik

An solchen frühneuzeitlichen Sampling-Versuchen und Sound- Frickeleien klebt der Geist von Nudismus, Bruderhorde und Selbsterfahrung, dem Faust – wie die meisten Bands des sogenannten Krautrock – Ende der Sechziger entstiegen. Sechs Individuen, darunter ein Österreicher (Diermaier) und ein Franzose (Peron), zusammengebracht in einer alten Dorfschule, Jean Paul ist ein stiller Gast, ab und zu schaut auch Ulrike Meinhof vorbei, „nette Frau“ (Irmler). Das Ganze auf Vermittlung des Hamburger Avant-Journalisten Uwe Nettelbeck und auf Kosten der Firma Polydor – Factory auf dem Lande! Freie Verfügung über die Produktionsmittel! Das Paradies! Ein wenig schmeckt es aber auch nach Hölle. Die Aufnahme der schlicht „Faust“ betitelten ersten LP (1971) geriet zu einer jener Erfahrungen, „wo man schweißgebadet nach ein paar Stunden aus dem Raum rausgerannt kommt. Du mußtest einfach über alles diskutieren. Und erst die musikalische Seite von Räumen. Wenn du die Akustik richtig abgenommen hast, war das so LAUT! Aber ungelogen!! Dein eigenes Atmen über Kopfhörer hat dich umgehauen.“

Das Produzieren von Platten als Encounter und gemeinschaftlicher Gebärversuch mag damals in der zivilisierten Welt nichts Ungewöhnliches gewesen sein – zu Zeiten von Zappas „Freak out!“ und Arthur Janovs Urschreitherapie –, im deutschen Kontext war es „schon auch der Versuch einer Flucht nach vorn“. Ästhetisch ging es im Krautrock – bei aller Verschiedenheit der isoliert arbeitenden Bastler in Hamburg (Faust), Köln (Can), München (Amon Düül II) und Berlin (Tangerine Dream) – darum, die Provinz zu überwinden und „was zu machen, wo noch niemals da war“, wie der schwäbischstämmige Irmler es ausdrückt; psychologisch und lebenstechnisch handelte es sich um nichts Geringeres als den Versuch, im immer noch autoritär geprägten Deutschland „die Nick-nick-Mentalität einfach mal abzulegen“ (Irmler), sprich: auf den Öltank zu hauen, die Preßluft rauszulassen, abzuheben. Der Ur-„Faust“ ist die Platte, die die KommuneI gemacht hätte, wäre sie musikalisch gewesen.

So weit die Sezession. Wenn Sound aber wirklich ein Wiedergänger ist, das Lärmen des Verdrängten und Verbannten, schwang im Faust-Sound auch – als deutsche Spezialität – etwas Unüberwundenes mit: der abstrakte Idealismus, dieses brachial-romantische Dröhnen aus Ermangelung von politischem Einfluß. Der brutalistische Schutt-und-Asche-Sound von Krautrock ist „eine Art heidnische, gnostische LSD-,Erforsche den Gott in dir durch Schinden des Tiers in dir‘-Odyssee“, wie Julian Cope es ausdrückt. Echos und Echos von Echos: Interessanterweise ist es ein Engländer, selber Musiker und Popmystiker, der dem Kern der Krautrock-Ästhetik am nächsten gekommen ist – weil er ihn mit den Ohren des Fans gehört hat. Er erkennt die beethovensche Dröhnung darin, das dämonische Gustav-Gründgens-Element und die RAF-Psychedelik, aber die Sounds von Söhnen, die sich an den Bombereien ihrer Väter abarbeiten, waren und sind ihm zu Beginn der Siebziger zugleich Punk-Waffe gegen den Mainstream, die Emerson, Lake & Palmers seiner Gegenwart mit ihren Plastik-Mantras.

So gehen die Popwege – bekanntlich mehr Kommunikation unter Stämmen als Kommuniqué oder diplomatische Note.

Vom Treten der kosmologischen Orgel

Der Punk-Impuls, gepaart mit urelektronischem Rumorgeln wie aus der Steinzeit der Digitalisierung – diese beiden Faktoren haben Faust in den Neunzigern erneut in die Kanäle des tribalen Interesses eingespeist – jetzt selbst als Väter und Founder of the legacy. Jim O'Rourke, Sachwalter des neueren Industrial Sound, hat die letzte LP „Rien“ produziert, Thurston Moore von der New Yorker Band Sonic Youth, die allerdings mittlerweile bei allem mitmacht, was Krach macht, hat die 94er US- Tor begleitet. „In San Francisco“, so das offizielle Faust-Bulletin, „war das Publikum von der Dekonstruktion des Bühnenbilds so inspiriert, daß sie ihrerseits anfingen, das Mobiliar zu zertrümmern. In Seattle brauchten wir uns keine Gedanken um die Entsorgung des Mülls zu machen, da das Publikum jedes einzelne Fragment begeistert als Souvenir mit nach Hause genommen hatte. Besonders aufregend war das Konzert im Death Valley. In der Wüstendämmerung erkletterte jeder Musiker seine eigene Düne und spielte. Der Wind gestaltete für die Zuhörer im Tal daraus einen einzigartigen und nur für sie hörbaren Klangteppich.“

Der „Teutonentango“ – so heißt ein Titel der aktuellen CD „You know FaUSt“ – ist Kult geworden, Versuch der jüngeren Avantgarde, sich selbst eine Geschichte zu geben. Zarathustra im Death Valley, Stockhausen ohne E-musikalischen Ernst, sogar Spurenelemente Camel Air Rave – all das mag auch tatsächlich angelegt sein im „Cosmic Drone“ des Krautrock. Doch so stolz die späte Anerkennung macht und so mächtig die kosmologische Orgel auch getreten wird – Faust sind der Flipper im elektronischen Maschinenpark geblieben. Zwar gibt es auf „You know FaUSt“ zwei oder drei dieser solar-plexus-attackierenden Noise-Druckwellen aus der „Oagel“ – Materialschlachten, muß man schon sagen –, doch alles ist Lo- Tech-mäßig wie von Hand verschaltet, im Innersten humoristisch, und wenn's runterfällt, ist die Uhr kaputt.

„You know FaUSt“ ist ein Album, dessen Rumpeldipumpel- Core von verirrten Dada-Impulsen durchzuckt wird, unglaublich seltsame Musik, die all dem, was sie zeitgenossenschaftlich sein soll, eher in den Hintern tritt als Avancen macht. Wo du noch glaubst, die Geschichte dingfest machen zu können, wiehern schon die postmodernen Ritter des Stilbruchs, und Hipness-Codes hält das seyfriedeske Äußere von Faust 97 auch nicht stand.

Überhaupt hat die Erzählstruktur des Albums etwas entschieden Anekdotisches. Akustische Balladen im Stile Witthüser & Westrups sind zwischengeschaltet, die Stücke heißen „Liebeswehen 2“, „Na sowas“ oder „Pause“, auf dem französisch gesungenen „Teutonentango“ treffen sich Fake-Bajuwarismen und allerhand Vokalfirlefanz zu einem Joke von gehobener WG-Güte.

Als „Techno“ läßt sich das kaum labeln, dazu krachen die Scharniere zu laut. Es ist eigentlich Art Rock, und zwar im besten Sinne: Ausprobier-Musik, die nie wirklich Kunst geworden ist, sondern in den Händen etwas ungelenker Laiendarsteller von schratigem Charme verharrt. Beeinflußbar sind solche Selberbastler im Grunde nicht, als Solitäre ziehen sie ihre Bahnen durch den Swimmingpool der Zeit. „Das haben wir doch geübt, Jochen: Aphex Twin!“ mahnt die freundliche Promoterin später beim Italiener, als noch mal die allgemeine Einflußlage sondiert und Stammbäume eröffnet werden wollen – das alte Spiel in froher Runde.

„Zappi“ Diermaier, im übrigen ein Meister der pointenlosen Pointe, reißt's auch nicht raus mit seinem Einsatz „Ich höre gelegentlich ganz gerne Stereolab“. Dafür kommt er am Ende noch mit der Geschichte über die Hunde-WG heraus.

Mein Leben als Hund (aber ungelogen!)

„Als mal alle aus der Band weg waren, auf Urlaub oder so, haben Jean-Hervé und ich sämtliche Hunde gesammelt, die so rumliefen, die die Leute nicht mehr haben wollten, und einen haben wir sogar geklaut, weil der gequält wurde. Und da hatten wir also plötzlich elf Hunde, und als die anderen, die das gar nicht so gern hatten mit den Hunden, zurückkamen, haben alle gleichzeitig gebellt. Da konnten wir die Hunde natürlich nicht so schnell wieder loswerden – einfach wegwerfen ging ja nicht! Die mußten wir 'ne ganze Weile behalten. Jean und ich haben dann eine große Hundehütte gebaut, mit Stroh drin und sehr geräumig, da haben wir dann eine Weile mit denen drinnen zusammengelebt. Die Hunde haben sich natürlich gefreut.“

Ja und? Was wurde dann aus der Hunde-WG?

„Na ja, so nach und nach sind wir sie halt doch losgeworden, viele wurden auch überfahren, weil wir ja auch an einer gefährlichen Straße gewohnt haben, der B75. Da erinner' ich mich oft dran.“

Tourdaten: 6.3. Hannover, 8.3. Frankfurt, 11.3. Lille, 10.4. Berlin, 15.4. Bochum, 17.4. Köln, 20.4. Hamburg, 23.4. Dresden, 25.4. Heidelberg, 26.4. Schorndorf, 27.4. München, 29.4. Wien

Julian Copes „Krautrocksampler“ ist im Verlag Der Grüne Zweig, Löhrbach erschienen, 158 Seiten, 29,80 DM