Erster deutscher Kriegsverbrecherprozeß

■ Ein bosnischer Serbe steht wegen „Beihilfe zum Völkermord“ in München vor Gericht

München (taz) – Einen Tag nach der Eröffnung der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht“ begann gestern am selben Ort das bundesweit erste Verfahren gegen einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher auf dem Balkan – allerdings einen bosnischen Serben. In dem Prozeß vor dem Bayerischen Oberlandesgericht in München wirft die Bundesanwaltschaft dem 34jährigen Novislav Djajić unter anderem „Beihilfe zum Völkermord“ vor. Djajić soll als Mitglied einer Tschetnik-Einheit 1992 an Übergriffen gegen die muslimische Bevölkerung in der Region Foca beteiligt gewesen sein.

Laut Anklage erschossen Angehörige dieser Einheit zunächst 13 muslimische Einwohner eines von ihnen eroberten Dorfes. In einer zwei Monate später durchgeführten „Racheaktion“ wurden 14 weitere Männer umgebracht. Außerdem wurden 15 Muslime festgenommen, deren Schicksal bis heute ungeklärt ist.

Hauptzeuge der Anklage ist ein Muslim, der durch einen Sprung in die Drina entkommen konnte. Daneben sind 27 weitere Zeugen geladen, überwiegend nach Deutschland geflüchtete Bosnier. Sie alle haben im Ermittlungsverfahren bestätigt, daß Djajić bei den Übergriffen anwesend war. Ob der Angeklagte an den Erschießungen selbst beteiligt war, konnte nicht ermittelt werden.

Djajić, der seit 1993 in Deutschland lebt, war im Januar 1996 in München festgenommen worden. Sein Verteidiger Wolfgang Dingsfelder stellte zu Beginn des Verfahrens den Antrag auf „Verfahrenseinstellung wegen Nichtzuständigkeit des Gerichts“. Selbst wenn Djajić an den Vorfällen aktiv beteiligt sei – was die Verteidigung bestreitet –, so sei in keinem Fall das Element „staatlicher Lenkung oder Billigung“ gegeben. Dieses aber sei zur Qualifizierung des Strafbestandes Völkermord und damit auch für ein Verfahren in Deutschland notwendig. Wenn überhaupt, so gehöre das Verfahren vor das Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag.

Nach Informationen der Bundesanwaltschaft war der UN-Gerichtshof in Den Haag von dem Fall informiert worden, aber an der Übernahme „zum jetzigen Zeitpunkt“ nicht interessiert. Begründet wurde dies mit der Arbeitsweise des Tribunals, das bei der Aufdeckung von Verbrechen regionale Schwerpunkte setze.

Grundlage für das Münchner Verfahren ist, wie Bundesanwalt Walter Hemberger in seiner Antwort ausführte, das „Weltrechtsprinzip“. Laut Paragraph 6 des StGB gilt das deutsche Strafrecht bei Verbrechen gegen international geschützte Rechtsgüter – etwa bei Völkermord – unabhängig vom Tatort, den dort geltenden Gesetzen und der Staatsangehörigkeit des Täters. Der Bundesanwalt sagte, die Beweisaufnahme habe durchaus staatliche Lenkung ergeben, auch wenn es kein Dokument dazu gebe. Systematik und Dauer der ethnischen Säuberungen wiesen darauf hin, daß sie mit staatlicher Steuerung geschehen seien.

Vom UN-Tribunal seien keine Bedenken geäußert worden, das Verfahren in Deutschland durchzuführen. Da die Republik von Bosnien-Herzegowina kein Auslieferungsverfahren gestellt habe, sei das deutsche Gericht zuständig. Richter Erwin Brießmann schloß sich der Argumentation der Bundesanwaltschaft weitgehend an und wies den Antrag der Verteidigung ab. Brießmann bejahte sowohl die Geltung des deutschen Strafrechts für den Fall als auch die Zuständigkeit des deutschen Gerichtes. Als Vertragspartner der Genfer Konvention sei Deutschland verpflichtet, Völkermord zu verhindern und zu bestrafen. Im vorliegenden Fall sei das in der Konvention genannte Kriterium für Völkermord, die „Tötung von Mitgliedern einer Gruppe“, nicht auszuschließen. Bei Völkermord gehe es nicht nur um die Bestrafung der politisch Verantwortlichen. Der Prozeß ist zunächst auf 17 Verhandlungstage angesetzt. Thomas Pampuch

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