Parteiübergreifende Industrielobby verhindert Strukturwandel

■ Für eine moderne, ökologische Energie- und Beschäftigungspolitik für Bremen Von Edo Lübbing-von Gaertner

Weitgehend im Stillen ist in Bremen in den vergangenen Jahren eine weitreichende Energiepolitik fortgesetzt worden. Dabei geht es einerseits um CO2-Reduzierung, andererseits um die ressourcenschonende Gewinnung von Energie. Diese Strukturreform schafft auch moderne Arbeitsplätze, das ist die These des Leiters der Energieleitstelle bei der Bremer Umweltsenatorin, Edo Lübbing-von Gaertner. Wenn die Reformpolitik fortgesetzt werden kann, dann wird im Jahre 2005 der Block V des großen Heizkraftwerk im Hafen, das mit seinen Schornsteinen noch die Luft verpestet, überflüssig. Ein anderes Ziel, das die Umweltschützer lange verfolgt haben, ist derweil aufgegeben: Die Stillegung der Bremer Müllverbrennungsanlage. Diese lange als „Dreckschleuder Nummer Eins“ bezeichnete Anlage wird modernisiert, und könnte, wenn darauf nicht verzichtet werden kann, wenigstens auch Strom erzeugen, anstatt die Verbrennungswärme an die Luft abzugeben.

Ein dritter Aspekt wäre die Modernisierung der katastrophal überalterten Heizanlagen der staatlichen Gebäude. Um den lukrativen Kuchen des „Gebäudemanagement“ bewerben sich insbesondere die Stadtwerke.

In einem Grundsatzpapier, das wir hier dokumentieren, hat Lübbing-von Gartner die Ziele der Bremer Energieleitstelle besc

hrieben.

Energie- und Beschäftigungspolitik für Bremen

Die energiepolitische Diskussion war bis vor wenigen Jahren die Zukunftsdiskussion in der Bundesrepublik Deutschland. Die Landesenergieprogramm zeigt, daß die politisch lähmende Debatte über die leidige Standortfrage inzwischen auch die Diskussion über die Wende zu einer ökologisch orientierten Energiepolitik überlagert. Beschworen wird der Gegensatz zwischen dem ökologisch machbaren und dem ökonomisch sinnvollen – als habe nicht gerade die Bremer Energiepolitik in den letzten Jahren bewiesen, daß ökologische Modernisierung mit positiven regionalwirtschaftlichen Aspekten einhergeht.

Fünf Jahre nach der Verabschiedung des Bremischen Energiegesetzes können sich die Ergebnisse ökologisch orientierter Handlungsstrategien auch und gerade unter regionalwirtschaftlichen Aspekten sehen lassen.

Regionale Energiepolitik ist Standortpolitik insbesondere für Klein- und Mittelbetriebe. In einigen Bereichen könnten hohe Selbstfinanzierungeffekte auftreten, wenn beispielsweise unter kluger Steuerung das Gebäude- und Energiemanagement

privatisiert würde bzw. die Behörden so handeln wie Wirtschaftsbetriebe.

Ergebnisse der Förderpolitik 1992-95.

In diesen Jahren wurden ca. 20 Mio. Mark bremischer Mittel und 10 Mio. Mark an Drittmitteln für Förderpolitik ausgegeben. Damit wurden ca. 87 Mio. Mark energietechnische Investitionen im engeren Sinne – bei gut 200 Mio Mark Gesamtvolumen – bewegt. Unter dem Gesichtspunkt der CO2-Effektivität lassen sich Gruppen bilden.

a) Kraft-Wärme-Kopplung, der Ersatz von Elektroheizung und der Wärmeschutz im Gebäudebestand benötigen einen geringen Förderaufwand.

b) Ein mittlerer Förderaufwand ist für die Windenergie nötig, für Niedrigenergiehäuser oder die thermische Nutzung von Solarenergie.

c) Teuer ist die Förderung der Photovoltaik.

Diese Daten sind zu interpretieren. Bei der Energieeinsparung wird ein importierter Rohstoff durch eine hochwertige Dienstleistung ersetzt, die in der Region erbracht wird. Die Förderung löst u.a. technologische Innovation aus. Ein einleuchtendes Beispiel ist die Windenergie. Durch die Förderung der Windenergie ist der Förderaufwand für eine Tonne CO2-Einsparung von DM 113,-- Mark (1990) auf 15,-- bis 40,-- Mark 1995 gesunken.

Quantitativ nicht zu erfassen sind die Wirkungen der Förderpolitik auf die neuen Qualifikationen in Handwerk und bei Planern sowie die technologischen Entwicklungseffekte insbesondere durch Pilotvorhaben. Direkte CO2-Einspareffekte der Förderprogramme werden mit ca. 65.000 t berechnet, die durch die qualitativen Effekte erhöht werden. D.h. mit relativ wenig Geld sind drei allgemein politische Ziele erreicht.

a) Die regionale Beschäftigung wird erhöht, wie die technologische und innovative Kompetenz gerade kleinerer und mittlerer Betriebe;

b) die Wohn- und Lebenssituation der Bürgerinnen und Bürger wird wesentlich verbessert, die Identifikation mit der Stadt wird erhöht;

c) die Umweltqualität wird verbessert, die CO2-Emissionen verringert, Geld, was sonst für Gas und Öl ausgegeben würde, bleibt in der Region und wird für qualitativ höhere Waren und Dienstleistungen ausgegeben.

Energieszenarien für Bremen

Klar ist, für Bremen gilt, was für den Bund bewiesen ist. Die Versäumnisse der letzten Jahre auf nationaler Ebene lassen sich nicht mehr aufholen. Die Schadstoffreduktionen, insbesondere bei den Luftemissionen, die „international“ gelobt wurden, sind auf den Niedergang der „DDR-Industrie“ zurückzuführen, die ökologische Standards der Vorkriegszeit hatte. Der Verkehrssektor produziert steigende CO2-Emissionen und für Bremen gilt, daß 45 Prozent aller CO2-Emissionen von den Stahlwerken verursacht sind.

Was Prognos, das DIW und Esso für die Bundesrepublik festgestellt haben, ist jetzt auch für Bremen belegt. Das koalitionspolitische Ziel der CO2-Reduktionen von 25 Prozent bis 2005 ist nicht zu erreichen. Was auch schon vor zwei Jahren klar war, ist jetzt amtlich. Trotzdem ist für Bremen viel zu erreichen. Ohne darauf zu setzen, daß bundespolitisch Sinnvolles passiert, können in Bremen bis 2005 16 Prozent weniger CO2-Ausstoß realisiert werden. Das sind 700.000 t jährlich weniger, bei den Stickoxiden (Nox) können es ca. 22 Prozent (6.800 t/a) und bei den Schwefeldioxiden (SO2) ebenfalls 22 Prozent (3.300 t/a) weniger sein.

Voraussetzung ist ein Bündel von Aktivitäten, angefangen bei modernen Methoden zum Energiemanagement bei öffentlichen Gebäude (Contracting) bis hin zur aktiven Umsetzung des bestehenden Fernwärmebündnisses.

Die öffentlichen Gebäude sind teilweise in schlechtem Energiemanagement, so daß jährlich Millionen von DM an laufenden Kosten gespart werden könnten, die wiederum für Gebäude- und Energiemanagement ausgegeben werden könnten. Arbeitsplätze in der Region könnten langfristig ohne zusätzliche Kosten entstehen. Voraussetzung sind neue Steuerungsstrukturen und private Dienstleistungen und nicht amtliche Bedenkenträgerei. Die bestehenden Beratungsangebote bei den Stadtwerken und anderen Stützpunkten müssen weitergeführt werden.

Die Fördermaßnahmen (Energiesparen im Gebäudebestand, Ersatz von Elektroheizungen) sollten ergänzt werden durch energiepolitisch sinnvolle Planung bei Baugebieten und bei Gewerbegebieten einschließlich der Energieversorgung.

Die Prognos-Szenarien zeigen klar: Das mit Abstand größte Potential zur Minderung der CO2-Emissionen liegt im Bereich der Stromerzeugung. Dies gilt vor allem für die Stadt Bremen, da hier der Anteil der CO2-intensiven Kohleverstromung besonders hoch ist. Bis 2005 könnte Kohlestrom in erheblichem Umfang verdrängt werden, indem verstärkt emissionsfreie und emissionsarme Formen der Stromerzeugunggenutzt werden. Es kann,

–die Gichtgasverstromung im Kraftwerk Mittelsbüren optimiert,

–in erheblich größerem Umfang als bisher Strom in der stadtbremischen Müllverbrennungsanlage erzeugt,

–verstärkt Anlagen der dezentralen Kraft-Wärme-Kopplung genutzt,

–das Weserkraftwerk gebaut,

–der Ausbau der Windkraft vorangetrieben werden.

Wenn diese Potentiale ausgeschöpft werden, können im Jahr 2005 rund 650 Millionen Kilowattstunden Strom aus emissionsfreien oder emissionsarmen Erzeugungsanlagen bereitgestellt werden. Dies entspricht etwa der heutigen Stromerzeugung des Kohleblocks V im Kraftwerk Hafen, der bis 2005 das Ende seiner technischen Nutzungsdauer erreicht haben wird. Durch eine Stillegung des Blocks und eine entsprechende Ausweitung der umweltfreundlichen Stromerzeugung könnte der jährliche CO2-Ausstoß um rund 375.000 Tonnen gesenkt werden. Das ist mehr als die Hälfte des erschließbaren Gesamtpotentials.

Eine Verwirklichung dieser Strategie hat erhebliche Auswirkungen auf die Stadtwerke Bremen. Hierbei wird auch berücksichtigt werden müssen, daß sich die Rahmenbedingungen durch die absehbare Liberalisierung des Strommarktes verändern. Ein Ziel ist, bis zur nächsten Fortschreibung des Landesenergieprogramms konkrete Handlungsempfehlungen vorzulegen. Aber bereits heute kann aus meiner Sicht festgehalten werden: Der Schlüssel zur Senkung der bremischen CO2-Emissionen liegt im Bereich der Stromerzeugung. All diese Maßnahmen hätten durch eine sinnvolle Energiepolitik des Bundes noch höhere Effekte. Die Finanzlage des Bundes wäre durch die positivere Arbeitsmarktlage und Einnahmen über eine Energiesteuer entspannter.

Die veröffentlichte CO2-Reduktionspolitik in der Bundesrepublik ist zaghaft und wird blockiert durch eine parteiübergreifende syndikalistische Industrielobby-Politik. Dies zeigt sich in der Kohle-, Werften- und Landwirtschaftspolitik, wo mit riesigen Mitteln Arbeitsplätze abgebaut aber öffentliche Mittel nicht für neue Strukturen ausgegeben werden.

Das gilt auch für Bremen. Die Abwanderung zentraler Bankenvorstände wird nicht von der Politik wahrgenommen. Es erinnert an die bornierte Politik des Handels in den fünfziger Jahren, als gesagt wurde: „Industrielle Zukunftsstrukturen brauchen wir in Bremen nicht.“

Zukunft ist nicht gefragt, obwohl in jüngster Zeit in der Chemieindustrie und bei den Maschinenbauverbänden die Chancen einer ökologisch-orientierten Wachstumspolitik erkannt sind.

Trotz aller Kritik an angeblich aufgegebenen Klimaschutzzielen und Zweifeln an der finanziellen Machbarkeit der im Energieprogramm aufgezeigten Maßnahmen: Zu dem mühsamen Weg aus den Szenarien zu tatsächlichen Projekten zu kommen, gibt es keine sinnvolle Alternative.