Schwarzes Gold, schwarze Zukunft

Mit einem 93 Kilometer langen „Band der Solidarität“ quer durch das Ruhrgebiet demonstrierten gestern rund 120.000 Bergleute und ihre Familien für weitere Subventionen und den Erhalt der heimischen Steinkohle  ■ Aus dem Revier Walter Jacobs

Ganz abgeschrieben hat Frank Borkowitz die Bonner Regierung noch nicht. Noch hofft er, daß die „zur Vernunft kommen und uns hier im Ruhrgebiet nicht ganz absaufen lassen“. Der 32jährige Hauer steht in seiner leuchtend- orangefarbenen Grubenwehruniform am Freitag morgen gegen 9 Uhr mutterseelenallein auf einer Landstraße zwischen Bochum und Essen. Das Tief „Barbara“ meint es gut mit den Bergleuten. Es weht zwar ein eisiger Wind, doch es bleibt trocken an diesem Morgen. Bei dem Namen konnte das ja gar nicht anders kommen, scherzt später ein Kollege von Borkowitz, denn die „Heilige Barbara ist doch die Schutzpatronin der Bergleute“.

Zusammen mit Tausenden weiterer Wehrmänner aus den nordrhein-westfälischen Pütts spielt Borkowitz an diesem Tag den „Feuerwerker“ in der von der Bergbaugewerkschaft IGBE seit gut sechs Wochen vorbereiteten Menschenkette quer durch das Revier. Ausgestattet mit einer Sondergenehmigung der Behörden jagen die im Abstand von 400 Meter an der Strecke entlang postierten „Feuerwerker“ zwei Stunden lang Tausende von Leuchtraketen in den Himmel. Als Zeichen, daß die Kette geschlossen ist.

Zwischen Essen und Bochum stehen die Menschen dichtgedrängt. In 1.400 von der IGBE gecharterten Bussen sind die Kumpel und viele Familienangehörige von allen Zechenstandorten angereist. 1.800 Ordner organisieren die Aufstellung, verteilen Sticker – „100 Kilometer Menschenkette ich war dabei“ – und entrollen ein nicht enden wollendens rot-schwarzes Plastikband.

Er habe zwar „Zweifel, ob das was bringt“, sagt Friedhelm Baum von der Zeche Ewald in Herten, „aber wir wollen auf jeden Fall ein Zeichen setzen.“ Stunden später spricht der IGBE- Chef Hans Berger von einem „großen Erfolg“. Die 120.000 Teilnehmer hätten gezeigt, daß die Bergleute bei ihrem Kampf um die Arbeitsplätze nicht allein stünden. Auch wenn die Zahlen umstritten sind (ein WDR-Reporter, der mit einem Hubschrauber die ganze Strecke abgeflogen ist, schätzt die Zahl auf deutlich unter hunderttausend), unter sich gebleiben sind die Kumpel an diesem Tag nicht.

Gewerkschaftskollegen aus fast allen Einzelgewerkschaften, Schüler, Rentner und Hausfrauen säumen den Weg. Frank Borkowitz überrascht das nicht. Zusammen mit einigen Kollegen war er in den vergangenen Wochen in München und Erfurt, um dort für seine Sache zu werben und die Stimmung zu testen. Wenn er jetzt Politiker hört, die „behaupten, daß die Unterstützung für die Kohle in der Bevölkerung schwindet“, dann kriegt er „einen dicken Hals“. In Erfurt „hatten wir ein Heimspiel. Die Menschen haben sich hinter uns gestellt und sind total solidarisch mit uns.“ Auch in München hätten „acht von zehn Passanten positiv reagiert“.

Im Bonner Kabinett nimmt Borkowitz nur Kanzler Kohl von seiner Kritik aus. Auch er pflichtet IGBE-Chef Berger bei, der nicht müde wird, Kohl einen „Freund der Kohle“ zu nennen.

Wäre Kohl 40 Jahre, so sagt ein Bezirksleiter der Gewerkschaft aus dem östlichen Ruhrgebiet einem Reporter, „wäre vom Bergbau wohl schon nichts mehr übrig“. Anders als FDP- und CSU-Politiker habe der Kanzler nicht vergessen, was die Bergleute während der Nachkriegszeit für den Wiederaufbau geleistet hätten. Drastischer hatte das Hans Berger am Vorabend der Menschenkette in Recklinghausen unter dem stürmischen Beifall seiner Zuhörer ausgedrückt: „Denen wäre in Bayern damals doch der Arsch abgefroren, wenn die Bergleute hier nicht bis zu Erschöpfung Überstunden gefahren hätten.“

Wenn CSU und FDP sich am Verhandlungstisch in Bonn mit ihrem Kurs durchsetzten, dann, so Berger, „verlassen wir sofort den Tisch“. Dann gebe es „keine Einigung“. Noch hofft der Gewerkschaftschef aber, daß dieser Crashkurs verhindert werden kann. Vom CDU-Oppositionsführer im Düsseldorfer Landtag, Helmut Linssen, der sich wie fast alle sozialdemokratischen und grünen Spitzenpolitiker in die Kette eingereiht hat, kommt gestern erneut das Bekenntnis zum Erhalt eines „lebensfähigen Bergbaus“. Teilnehmer waren auch die Oberbürgermeister aus dem Ruhrgebiet und der gesamte Vorstand der Ruhrkohle AG. Die Profis der Reviervereine VfL Bochum, Schalke 04, MSV Duisburg und Borussia Dortmund machten ebenso mit bei der Menschenkette.

Während SPD, Grüne und IGBE eine staatliche Gesamthilfe von etwa sieben Milliarden Mark im Blick haben, sagt der CDU-Politiker aber lediglich, er wolle mindestens „eine fünf vor dem Komma haben“. Dann müßten der Deckel wohl auf neun bis zehn der noch 19 existierenden Pütts.

Ein gleitender Übergang, wie ihn Walter Stern noch erlebt hat, könnte dann für die ausscheidenden Kumpel kaum noch gelingen. Der 62jährige Stern, der 1985 nach der Schließung der Zeche Zollverein in Essen in den vorzeitigen Ruhestand entlassen wurde, „ist damit ganz gut klargekommen“ und macht jetzt „aus Solidarität mit“. Nach 36 Jahren unter Tage und einem schweren Unfall fühlte er sich seinerzeit ohnehin „verbraucht und kaputt“. Inzwischen ist in seiner ehemaligen Zeche das nordrhein-westfälische Designzentrum eingezogen. Gewiß ein Wahrzeichen des Wandels, aber auch ein Symbol dafür, daß das Neue oft nicht mit jenen besetzt werden kann, die heute noch im Alten beschäftigt sind.