Die Muslime sind enttäuscht

Nach der Brčko-Entscheidung richtet sich der Ärger der Vertriebenen gegen die US-Soldaten  ■ Von Erich Rathfelder

Eine abgrundtiefe Enttäuschung spiegelt sich in den Gesichtszügen der Vertriebenen wider. In Brka, einem kaum zwei Kilometer von Brčko entfernten Ort, haben sich Tausende von ihnen versammelt. „Wir hatten gehofft“, sagt Mirsada P., „daß die Internationale Gemeinschaft sich für die Vertriebenen entscheidet.“ Aber wie es jetzt aussehe, bleibt Brčko auch zukünftig in serbischer Hand.

„Wer soll uns davon abhalten, nach Brčko zu ziehen“, ruft Sead Hasović, der zwei Jahre lang als Flüchtling in Deutschland gelebt hat und jetzt hoffte, doch wieder in die Heimatstadt zurückkehren zu können. Er hat das Leben als Flüchtling satt. „Brčko“, sagt er, „das war eine Stadt, wo alle friedlich zusammenlebten, eine bosnische Stadt.“ Jetzt hieß es auf einmal, Brčko sei eine serbische Stadt, „aber über 75 Prozent der Bewohner waren doch Muslime und Kroaten“.

„Vielleicht wird ja bei den Verhandlungen noch nachgebessert“, hofft Adnan Pašelić, der der muslimischen Exilverwaltung der Stadt als Pressesprecher dient. Es zeichneten sich doch Konturen ab, mit denen man leben könne. Wenn es einen internationalen Vermittler gäbe, wenn internationale Polizei und SFOR-Truppen dort stationiert und wenn die Versprechungen wahr gemacht würden, daß die Vertriebenen im nächsten Jahr nach und nach zurückkehren könnten, dann könnte man mit dem Kompromiß leben.

Doch die Umstehenden wollen von solchen vagen Aussichten nichts wissen. Zu lange sind sie jetzt schon Flüchtlinge in Brka. „Dort“, deutet ein älterer Mann mit der Hand in die Ebene, „liegt mein großes Haus.“ Er lebe jetzt mit seiner sechsköpfigen Familie bei entfernten Verwandten, die selbst nur ein kleines Anwesen hätten und dazu fünf hungrige Mäuler. Er und seine Familie seien bereit, einfach loszugehen, nach Hause. „20.000 Demonstranten werden nach Brčko ziehen, dann werden wir sie zwingen, uns wieder nach Hause zu lassen.“

Drei US-amerikanische Jeeps fahren Streife. Feindselige Blicke begleiten sie. Schon am Donnerstag nachmittag hatte eine Versammlung der Flüchtlinge die US- Boys aufgefordert, in ihren Kasernen zu bleiben, nachdem das Gerücht sich verbreitet hatte, der Korridor würde der Republik Srpska zugeschlagen. Am Abend dann hatten sogar aufgebrachte Bürger die Straße blockiert und drei US-Jeeps zum Halten gezwungen. Erst als bosnische Polizei kam, beruhigten sich die Menschen wieder.

Die Straße von Brka nach Brčko ist holprig. Denn sie wurde seit dem 1. Mai 1992, als Brčko von serbischen Freischärlern erobert wurde, mit Artillerie beschossen. Viele der umliegenden Häuser des Dorfes haben Treffer abgekriegt. Auf dem Friedhof liegen 300 Menschen, die Opfer der Granaten geworden sind. Und am Ortsende stehen Panzer der US-amerikanischen SFOR-Truppen. Die Soldaten haben ihre Sturmgewehre im Anschlag. Die Kanonenrohre sind auf die muslimische Seite gerichtet. Die Straße ist mit Nato-Draht abgesperrt. „Hier kommt keine Demonstration durch“, sagt ein US-Soldat.

Genau auf der ehemaligen Frontlinie liegt das US-Camp McGovern. Wieder sind Straßensperren errichtet, wieder sind Panzer aufgefahren. Die Wachen sind in Alarmbereitschaft versetzt. Hinter dem Camp beginnt die sogenannte Separationszone, die ab hier nominell schon zur serbischen Seite gehört.

Hier stand einmal das Dorf Brod. Die Größe der Ruinen der Häuser erinnern daran, daß es sich um ein reiches Dorf gehandelt hat. Weil es noch in der Separationszone liegt – dem vier Kilometer breiten Streifen, in dem nur SFOR-Truppen Waffen tragen dürfen –, hatten hier im Dezember einige muslimische Familien versucht, ihre Häuser wieder aufzubauen. Sie glaubten an den Schutz der SFOR. Auch jetzt liegen noch Baumaterialien herum. Es ist jedoch niemand mehr zu sehen. Nachdem serbische Extremisten die neu aufgebauten Häuser wieder in die Luft gesprengt hatten und die SFOR sie daran nicht hindern konnte, sind die Rückkehrwilligen vorsichtiger geworden.

Kaum 100 Meter weiter steht ein serbischer Polizist. Er bewacht das notdürftig wiederhergerichtete Haus einer serbischen Familie. Es sind Leute aus Sarajevo. „Wir kamen im April 1996 hier an“, sagt Jovana G. aus Ilidža. Damals hätte sie eine schöne Wohnung gehabt, jetzt lebe die Familie in Ruinen. Am liebsten möchte sie wieder nach Hause. „Doch das geht jetzt nicht.“ Brčko sei jetzt serbisch und Ilidža muslimisch. „So ist das eben.“

Nenad Pejanović dagegen freut sich. Endlich scheine die internationale Gemeinschaft eine Entscheidung für die Serben getroffen zu haben. Der 25jährige ehemalige Soldat möchte jedoch den Brčko- Korridor verbreitert sehen. Die vier Kilometer seien zu wenig. „Die Straße könnte jederzeit wieder angegriffen werden.“

Viele der Häuser in diesem Stadtteil tragen die Spuren der Kämpfe. Je näher man jedoch dem Save-Fluß kommt, desto intakter wird die Stadt. Hier im Zentrum ist sogar wieder ziviles Leben entstanden, Geschäfte und Kneipen sind voller Kundschaft. Die Serben freuten sich, sagt ein Polizist, denn Brčko „wird uns zugesprochen. Und wir geben es nicht mehr her.“

An der Uferstraße an der Save patrouillieren US-amerikanische Soldaten. Und dort, wo die Brücke ist, stehen ebenfalls Panzer. In einem der Häuser an der Uferstraße winkt ein älterer Mann. Er bittet, in das Haus einzutreten. Er sei einer der wenigen alteingesessenen Serben in der Stadt, bedeutet er. Er wünsche sich die Rückkehr seiner alten Nachbarn. „Der Krieg und die Vertreibung dieser Leute waren doch nur Politik, nichts anderes, wir sollten wieder zusammenleben wie früher.“ Doch die Aussichten dafür seien schlecht, weil „unsere Politiker die Teilung Bosniens wollen“.