Kurt Scheels Lichtspiele
: Treffer, klasse, sich're Bank!

■ Ein ziemlich zuverlässiger Weg, Kinoenttäuschungen zu entgehen (w.i.o.G.)

Gute Bücher lesen kann jeder Dummkopf. Aber erfolgreich ins Kino gehen ist eine große Kunst. Einmal dem Fehlloben der Kritik gefolgt, sagt Kafka, es ist niemals gutzumachen.

Das Problem liegt natürlich in der spezifischen Medialität des Mediums, im Strukturellen, klaro. Während man Bücher be- greifen kann, muß man Filme weg-gucken. Man kann Bücher aufklappen, man kann sie aber auch zuklappen (sie sind eben bloß „linear“ und „monokausal“, wie McLuhan festgestellt hat) und mit freundlichem Bedauern sagen: Liebe Niemandsbucht, du bist so selbstzufrieden einsam, da will ich mich gar nicht aufdrängen, und dann geht man still und erleichtert davon.

Wer aber erst einmal im Kino gelandet ist, der ist gefangen und verloren. Leute, die während des Films hinausgehen, gibt es natürlich, das ist in einer freiheitlichen Demokratie, die so unvergleichlich viel freiheitlicher ist als Albanien beispielsweise, gar nicht zu verhindern. Aber diese Leute richten sich ja selbst, und deshalb sollte man sie nicht extra bestrafen, obwohl sie es verdient hätten.

Denn erstens gilt immer noch der Satz des filmpolitischen Urgesteins Herbert Wehner: Wer rausgeht, muß auch wieder reinkommen. Zweitens ist das schöne Geld futsch, zwölf Mark mittlerweile. Drittens könnte ja nach dem in der Tat grauenhaften Anfang der Film irgendwie besser werden – dieses „verfächerte“ Medium, so wieder McLuhan, ist durch Einsteins Entdeckung des gekrümmten Raums (1905) und den „Einbruch der Telegraphie“ eben nachlinear, also nicht vorhersehbar (Chaostheorie!). Und schließlich macht man es den Kretins, die den Film prima finden, zu leicht.

Wenn man sitzen bleibt, hin und wieder gequält aufstöhnt, „So eine Scheiße“ zischt oder höhnisch lacht, kann man dem Publikum ganz hervorragend den Spaß verderben und insofern kulturpolitisch Flagge zeigen: Das einfache Publikum ästhetisch zu erziehen, es von unguten (und oft gewaltverherrlichenden!) Filmen abzubringen, es auf unser Niveau heraufzuhieven, ist keine leichte Aufgabe, aber eine durchaus beglückende.

Freilich gibt es auch Verstockte, da hilft dies alles nichts; man erkennt sie unfehlbar daran, daß sie einem heiser zurufen: „Wenn du Eierkopp jetzt nicht die Klappe hältst, giebs (sic!) 'nen Satz heiße Ohren.“ Typisch! Wenn sie nicht weiterwissen, drohen sie mit Gewalt – sie kennen ja auch nichts anderes, weil sie immer nur diese gewaltverherrlichenden Filme sehen: ein Teufelskreis!

Ergo ist es sehr wichtig, sich gut vorzubereiten, wenn man ins Kino gehen will. Bei älteren Filmen ist es einfach, da studiert man den „Halliwell's Film Guide“, alphabetisch nach Filmtiteln geordnet. Weil man aber oft den Originaltitel nicht kennt, braucht man auch unbedingt „Halliwell's Filmgoer's Companion“, ein Personen- und Sachlexikon.

Ein Beispiel: In dem süßen kleinen Filmkunstkino gibt es also „Mord, mein Liebling“ aus dem Jahr 1944 mit – Dick Powell! Das ist dieser liebe Junge mit gewelltem Haar, der in Musicals („Forty-Second Street“) und Komödien („Christmas in July“ von Preston Sturges!) sehr schön den Netten gibt. Gucken wir also im „Companion“ unter Powell nach: Der Film heißt: „Farewell My Lovely“ – natürlich, Chandler! Im „Guide“ bekommt er drei Sterne, vier ist die Höchstbewertung, die nur selten vergeben wird: „One of the first films noirs of the mid-forties, a minor masterpiece of expressionist film making, and a total change for a crooner who suddenly became a tough guy.“ Das wunderbare Mitchum-Remake von 1975 hat nur zwei Sterne, also rein ins Kino, und was soll ich sagen: Treffer, ein klasse Film.

Anders und schwierig wird es bei neuen Filmen, da sind wir dann, wenn wir nicht eine Reihe von zuverlässigen Kinogehern fragen können, den Kritikern ausgeliefert. Mein Rat: Lesen Sie die Filmkritiken in der Zeit und in der taz. Wenn die Hamburger etwas loben und die Berliner auch: Vorsicht! Wenn die taz lobt und die Zeit verreißt: eine sichere Bank, daß sie einen schönen Kinoabend erleben werden (wie immer ohne Gewähr). Kurt Scheel