Ein Turnier – warum nicht zwei?

■ Der andalusische Schachveranstalter Luis Rentero hat sich etwas Neues einfallen lassen – und Fide-Weltmeister Karpow verflucht

Warum nur ein Weltklasseturnier organisieren, wenn es genausogut zwei sein können? Eines, wie schon Tradition, in Linares, das zweite fast zeitgleich im kaum 30 Kilometer entfernten Ubeda. Hinter beiden steckt ein Schachfanatiker namens Luis Rentero. Es handelt sich um eine Posse andalusischer Kirchturmpolitik.

Während anderswo ein Sponsor nach dem anderen dem Schach den Rücken kehrt, entwickelte sich Spaniens Süden zum letzten Tummelplatz der Schachgrößen. Möglichst die komplette Weltspitze soll es sein, dann fließen in Las Palmas auf Gran Canaria, in Dos Hermanas bei Sevilla oder eben in Linares die kommunalen Subventionen.

Gemessen wird das Niveau in Kategorien, errechnet aus dem Durchschnitt der Weltranglistenzahlen der Teilnehmer. Die Jagd nach der höchsten Kategorie geht zurück auf Renteros erstes Superturnier 1991 in Linares. Mittlerweile flucht der drahtige Mittsechziger über Veranstalter, die ihre Rekordwerte aus weniger als zwölf Teilnehmern errechnen. Der Mittelwert der Top sechs, wie vor zwei Monaten in Las Palmas am Werk, ist mit einem Turnier der besten zwölf Spieler der Welt mathematisch nicht zu schlagen.

In den letzten Jahren hat sich Rentero Neues einfallen lassen, um sich Publicity zu besorgen. Regelmäßig setzte er kurz vor Spielbeginn Kopfprämien aus, damit am Brett „mucha lucha“ geliefert wird. Waren die verhaßten Remispartien zu kurz, strafte er die Täter mit Abzügen vom Preisgeld. Einmal publizierte er eine Schwarze Liste von Spielern, die er nie wieder einladen würde. Doch nie währt für ihn selten länger als ein Jahr, wie auch sein jüngster Gag, das Doppelturnier, zeigt.

Auf seine alten Tage erstand Rentero, reich geworden durch eine Krämerladenkette, in Ubeda ein Hotel, richtiger: einen zweiten Veranstaltungsort. Hintergedanke war zunächst, seinen langjährigen Spezis im Rathaus von Linares mit einem neuen Schach-Event im Nachbarstädtchen eins auszuwischen. Vor einem Jahr war das Turnier in Linares nämlich ausgefallen und für tot erklärt worden. Über die Schuldfrage bekriegte sich Sozialist Rentero wochenlang mit den Links-Vereinten, die ihn des Subventionsbetrugs bezichtigten, sowie den erstarkten Volksparteilichen.

Mittlerweile sind die operettenhaften Verwünschungen von damals vergessen. Ubeda hat sein Turnier. Dort agieren aber nur etwa Platz 15 bis 25 der Weltbestenliste. Derweil blüht die Schachtradition von Linares in alter Pracht. Dort spielt Garri Kasparow – und zwar wie in besten Zeiten. Gleich zum Start besiegte der PCA-Weltmeister den Weltranglisten-Zweiten Anand Viswanathan aus Indien. Kasparow war nahe dran, sämtliche sieben Partien zu gewinnen, verbeutelte aber drei Traumstellungen zum Remis. In die letzten vier Runden geht er punktgleich mit Wladimir Kramnik, der am Dienstag die zunächst überraschend mit vornan stehende Ungarin Judit Polgar schlug.

Aus der Weltspitze fehlt außer dem New Yorker Gata Kamski, der seine Karriere offiziell abgebrochen hat, um sich am College für ein Medizinstudium fit zu machen, nur Fide-Weltmeister Anatoli Karpow. Das kostet Linares einen Spitzenplatz in der Liste der bestbesetzten Turniere. Rentero hat Karpow in einem offenen Brief auf ewig verflucht.

Dabei hat der Russe eine nette Ausrede: Karpow kandidierte letztes Wochenende bei einer Duma- Nachwahl im nahe Moskau gelegenen Tula um einen Parlamentssitz. Geschlagen hat ihn zur Abwechslung mal nicht Kasparow, sondern Jelzins ehemaliger Sicherheitschef Korschakow. Karpow wurde Dritter. In Linares wäre ihm das bei seiner aktuellen Formschwäche kaum gelungen. Stefan Löffler