Kein Gemischtwarenladen

■ Die Zukunft der Energiewirtschaft: Bremer Stadtwerke drängen auf neue Märkte / Vor den Interessen abnahmestarker Großkunden gehen Privathaushalte und Ökologie in die Knie

Die Energiewirtschaft soll reformiert werden. Der Bundesrat berät die Gesetzesnovelle bereits, nach der Gebietsmonopole für Stromerzeuger fallen werden. Stattdessen soll, so will es der Entwurf aus dem Haus des Bundeswirtschaftsministers, europaweiter Wettbewerb regieren. Über die Zukunft der Bremer Stadtwerke sprach die taz mit dem Vorstandsvorsitzenden, Gerhard Jochum.

taz: Im Rahmen der bevorstehenden Energierechtsnovelle gibt es wahre Horrorszenarien. Eins davon ist, daß den bislang kommunalen Unternehmen nur das weniger lukrative Klein-Klein-Geschäft bleibt, während Großanbieter ihren Strom zu Dumpingpreisen durch das bislang von kommunalen Stromversorgern betriebene Netz an Großabnehmer leiten. Wie wappnen sich die Bremer Stadtwerke dagegen?

Gerhard Jochum, Vorstandschef der Bremer Stadtwerke: Wir haben frühzeitig mit der Verbesserung unserer Leistungsfähigkeit begonnen. Dazu gehörte es, Abläufe zu beschleunigen, Aufbauorganisation flacher zu gestalten, Kosteneinsparung zu realisieren.

Kürzlich bescheinigten Bremer CDU-Politiker den Stadtwerken Leistungen, die man ihnen vor fünf Jahren nicht zugetraut hätte. Piekst Sie das nicht?

Es hat mich nicht gepiekst. Aber es drückt aus, daß ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat. Die Versorgungsunternehmen haben in der Vergangenheit, und eigentlich auch heute, nach dem Prinzip der Daseinsvorsorge gearbeitet; also eine öffentliche Aufgabe wahrgenommen, die nicht so sehr wirtschaftliche Aufgabe war. Unter den Bedingungen des Wettbewerbs leben wir heute in einer anderen Welt.

Das heißt konkret?

Wir beschäftigen heute über 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weniger, als vor einem Jahr. In diesem Jahr werden weitere 100 bis 150 Stellen abgebaut. Eine zweite wesentliche Maßnahme besteht darin, daß wir zu neuen Angeboten kommen; daß wir beispielsweise im Telekommunikations-, im Ent-sorgungsbereich oder in der Gebäudetechnik neu einsteigen.

Neu bedeutet offenbar nicht „innovativ“. Das Geschäftsfeld ihrer neuen Tochter „Thermokomfort“ jedenfalls stößt bei Großhandel und mittelständischen Betrieben auf massive Kritik. Sind von den Stadtwerken auch andere Impulse zu erwarten?

Unter Innovationen würde ich auch organisatorische Innovationen verstehen, nicht nur solche im Sinne einer neuen Verfahrenstechnik. Wenn man das Thema vom Markt her aufrollt, dann spielt die Bündelung von isoliert angebotenen Dienstleistungen eine Rolle, weil damit dem Kunden Bequemlichkeit in der Abwicklung angeboten wird. Eine Hand übernimmt die Rolle eines Systemführers, der Beratung, Einkauf, Wartung, Finanzierung bündelt. Diese Rolle können wir als Stadtwerke spielen. Wir sind ein für bremische Verhältnisse etwas größeres Unternehmen, wir haben eine gewisse Organisationsinfrastruktur und Kapitalkraft. Andere neue Aktivitäten wie Entsorgung und Gebäudemanagement wollen wir angelehnt an unsere Kernkompetenzen Energie und Umwelt entwickeln. Wir wollen keinen Bauchladen aufbauen und zum kleinen Bremer Mischkonzern werden.

Mit dem neuen Gesetz werden Sie starke Konkurrenz bekommen. Was dann?

Wir müssen unsere Kosten jeden Tag prüfen, um die Attraktivität der Dienstleistungen für Kunden zu erhalten. Die Attraktivität wächst aber mit zusätzlicher Service-Qualität. Ein Beispiel: Wenn wir einem Gewerbebetrieb unseren Strom liefern, hilft es dem Unternehmen unter Umständen mehr, wenn wir ihm ein betriebliches Energie-Einsparpaket anbieten, indem wir untersuchen, ob beispielsweise die Maschinen von der Energieversorgungseite aus optimal angeschlossen sind, damit es, auch wenn der Strom vielleicht nach wie vor genausoviel kostet, am Ende günstiger dasteht. Wir dürfen nicht am Zähler aufhören zu denken.

Das betrifft mittelständische Gewerbekunden. Der „kleine“ Verbraucher hat von der Energienovelle nichts zu erwarten.

Das ist das Problem der Reform. Wir sprechen da vom gefangenen Kunden, weil der in einem solchen Wettbewerbsmodell keine Chancen hat. Diesem Problem muß sich die Politik stellen, weil sie den veränderten Ordnungsrahmen gezielt unter die Überschrift „Standort Deutschland“ gestellt hat, das heißt Reduzierung der Stromkosten für die Industrie. In diese Richtung wird es Wirkungen geben. Aber es wird schon eine gewaltige Anstrengung sein, die Haushaltsstrompreise nicht als Ausgleichsmasse für die entgehenden Erlöse bei den Industriekunden zu sehen.

Großkunden der Stadtwerke werden sich bald frei für andere Anbieter entscheiden können. Dies wird, anders als EU-Normen es vorsehen, nicht nach Kundengröße zeitlich gestaffelt ablaufen, sondern sofort. Was bedeutet das?

Wir haben überschlagen, daß 55 Prozent unseres Bremer Stromabsatzes im Wettbewerb stehen werden. Das ist ein besonderes Problem, weil dieser Anteil wegen großer Industriekunden höher ist als in Städten vergleichbarer Größenordnung. In Bremen fehlen mittelständische Kunden, die gesunde Durchmischung der Firmenstruktur. Erstens. Zweitens: Wir haben in der Vergangenheit einen guten Teil des Stroms, den wir unseren Kunden liefern, in eigenen Kraftwerken produziert. Geht uns von 55 Prozent gefährdeter Kunden die Hälfte verloren, dann ist die Beschäftigung der Kraftwerke nicht mehr möglich. Hätten wir einen höheren Anteil Bezug aus dem Verbundnetz, den wir an unsere Kunden nur weiterverteilen, dann hätten wir kein so großes Problem. Von daher wird Eigenerzeugung und Bezug ein Thema werden.

Die Maxime vom Wettbewerb klingt nicht nach der Erzeugung von aufwendigeren Energiearten?

Die ökologische Qualität unserer Produkte und Dienstleistungen gerät bei einer Wettbewerbsdiskussion, die unter der Überschrift Preiswettbewerb geführt wird, ins Hintertreffen. Eine soziologische Untersuchung aus Hannover bringt erschreckende Ergebnisse. Danach ist ein großer Teil der Kunden schon bei fünf Prozent Preisunterschied nicht mehr bereit, diese fünf Prozent für Strom mit ökologisch höherem Wert zu zahlen.

Was ist die Alternative zum Öko-Zuschlag?

Ich bin der Meinung, daß es energiepolitisch mutig wäre zu sagen, daß fünf oder zehn Prozent des Stroms auch aus regenerativen Energieanlagen und aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen sein sollten. Wo das aus geografischen oder anderen Gründen nicht geht, muß es eine wirtschaftliche Substitutionsregelung geben. Aber die Politik nutzt ihren Gestaltungsspielraum meines Erachtens nicht im möglichen Maß.

Abschied von umweltfreundlicher Energieproduktion der Bremer Stadtwerke also?

Wir versuchen mit einem Fernwärmebündnis mit der Stadt, bei dem rund 140 öffentliche Gebäude auf Fernwärme umgestellt werden, Akzente zu setzen. Das ist eine praktische Maßnahme, die man auch in Tonnen Kohlendioxid-Emissionsminderung darstellen kann. Ebenso, was wir in den nächsten Jahren im Rahmen unseres Erdgasausbaus machen wollen. Das trägt mit rund 290.000 Tonnen zur CO2-Emissionsminderung bei.

Aber in Wahrheit wäre es so: Wenn die Großkunden abspringen, ist kein Geld mehr da – und was nicht vertraglich festgeklopft ist, wird übermorgen schon Schnee von gestern?

Die Luft wird wesentlich dünner. Aber ich glaube, daß mit dem vollständigen Aufgeben des sozusagen ökologischen Anspruchs ein kommunales Energie-Dienstleistungsunternehmen auch an dem eigenen Ast kräftig mitsägt, auf dem es sitzt. Das kommunale Unternehmen zeichnet sich doch durch Nähe zu seinen Kunden aus und durch die Möglichkeit, die endogenen Potentiale auszuschöpfen. Also die Möglichkeiten der Energieein-sparung, indem man Beratung anbietet, die wirklich maßgeschneidert und kundennah ist.

Indem man im Bereich der regenerativen Energien, des Gasausbaus, der Kraft-Wärme-Kopplung, der Blockheizkraftwerke, versucht umzusetzen, was im Sinne einer technisch-wirtschaftlichen Optimierung möglich ist – aber eben auch mit Engagement. Wenn ein kommunales Energieunternehmen genau das gleiche macht, was – ich überspitz' das mal – die Konzernzentrale der EDF in Paris für ganz Frankreich als richtig ansieht, dann haben wir einen Teil unserer Existenzberechtigung verloren.

Fragen: Eva Rhode