Klänge wie bemooster Stein

■ Alte und neue Mythen zu Hörspielen (Samstag, 20.15 Uhr, Deutschlandfunk)

„Kinder brauchen Märchen“, sagt der Weise. „Und Dichter“, ergänzen die Leute vom DLF, „brauchen Mythen.“ Als festen Bezugspunkt ihrer Erzählung. Als majestätisch-überzeitliches Bühnenbild, gegen das sie ihre Weltsicht spiegeln. Oder brechen – wie's beim Erkenntnisstand des 20. Jahrhunderts eher üblich ist. So geschieht's mit Heiner Müllers Text „Ajax zum Beispiel...“ (8.2., 20.05 Uhr), dem Kopfstück dieser Hörspielreihe. Schnell und hypnotisch, im Rhythmus einer Zauberformel, hackt Marianne Hoppe ihre Silben: „Ba-by-pil-le, fauler Zau-ber, A-jax hält das Bek-ken sau-ber.“ Dreimal wiederholt sie das. Umspült von FM Einheits bemerkenswertem Soundtrack, der uns vom Start weg in seinen Sog zieht. Doch ehe wir wohlig im magischen Rhythmus der Hoppe versinken, weckt uns die strenge Stimme: „Volksmund!“ Das war der Prolog des Witzbolds in Heiner Müller. Dann Stille. Minutenlang, wie es scheint. Dann anschwellendes Rauschen. Wind überm wüsten Land? Es folgt eine Art „Dichters Klage“. Fünf Seiten lang und 20 Minuten kurz, ein Bewußtseinsstrom im Schnelldurchlauf. Unterm Mikroskop werden Szenen vergrößert, poetische Bilder (wieder-)entdeckt: Hitler redet mit Stalin unterm Mercedes-Stern des Europacenters über das „Zahngold von Auschwitz“.

Zynisch wird auch „das Schreibglück der 50er Jahre“ beleuchtet. Dazu Bekanntes aus Müllers „Germania 3“. FM Einheit und Regisseur Wolfgang Rindfleisch halten sich nicht mit Illustrieren auf, sie arbeiten parallel zum komplexen Text, greifen Stichworte auf, bauen um. Der rote Faden ist Müllers Grübeln über das Schreiben. Daran hängen die Momentaufnahmen eines wachen Lebens: „Im Rausch der alten Bilder“. Wozu natürlich auch die Mythen zählen – an deren Griffigkeit Müller leider nicht mehr glauben kann. Griechenland ist abgebrannt? Vielleicht nicht ganz.

„Ich, Dinosaurier“, heißt es trotzig und klingt aus Hoppes Mund wie bemooster Stein. Das Ajax-Motiv taucht auf. (Martin Wuttke spricht den Supermann vor Troja.) Der „Arnold Schwarzenegger im Wüstensturm“ wird von den Freunden und Athene doppelt getäuscht, erkennt die Schlappe und rennt in sein Schwert.

Doch ist Ajax hier – auch wenn er das Zeug dazu hätte – nicht platte Sinnfigur. Vielmehr rollt er als eine Kugel neben vielen über Müllers poetischen Billardtisch, an dem der Autor mit ernstzunehmender Verzweiflung spielt. Hoffentlich dachte er dabei an Max Beckmann, mit dessen mythischen Bildern das Tongedicht vieles verbindet. Der fand, „daß es immerhin eine Leistung ist, aus dem Nichts ein Vorstellungsgeflecht zu schaffen, was alles in einer gesteigerten Spannung hält“. Gaby Hartel

Weitere Termine:

Pasolini: „Affabulazione“, 15.2., 20.05 Uhr; Heiner Goebbels: „Der Horatier“, 18.2., 20.05 Uhr; R.W. Fassbinder: „Iphigenie“, 18.3., 20.10 Uhr