Den Staatsfeind zum Freund

Im Black History Month wird morgen an den Bürgerrechtler Paul Robeson erinnert. Der Fotograf, der Robeson 25 Jahre lang begleitete, war Julius Lazarus, dessen Leben selbst eine Jahrhundertgeschichte ist. Ihn traf in Berlin:  ■ Martina Landmann

Eine Lokalzeitung seines Heimatortes Philadelphia hat ihn einmal mit Einstein verglichen. Wohl wegen seiner weißen, wirren Haare und der Tatsache, daß beide vor Hitler in die USA geflohen sind. Der 78jährige Julius Lazarus lacht über diesen Vergleich, aber gern erzählt er ihn doch. Er sitzt im Café Adler am ehemaligen Checkpoint Charly – ein angemessener Ort für ein Gespräch, das nach Wien, New York und immer wieder nach Berlin führen wird.

Julius Lazarus ist kein Physiker, Julius Lazarus ist Fotograf. Sein etwa 70.000 Fotos umfassendes Archiv hat er 1995 der Rutgers University in Philadelphia übergeben. Zu dieser Sammlung gehören neben Fotos von Picasso oder Eleanor Roosevelt auch Bilder von den Lebensverhältnissen Ende der 40er Jahre in Harlem und der Bronx, den Protesten gegen die Verhaftung der Führer der Kommunistischen Partei, bettelnden Kindern am Times Square und Gewerkschaftskongressen in New York. Nicht zu vergessen die große Zahl der Aufnahmen von seinem Aufenthalt in der DDR Anfang der 50er Jahre.

Jetzt planen er und die Rutgers University eine Ausstellung über den schwarzen amerikanischen Sänger, Schauspieler und Bürgerrechtler Paul Robeson, dessen Leben Lazarus von den frühen 40er Jahren bis in die 60er Jahre fotografisch begleitet hat. 1998, zu Robesons 100. Geburtstag, soll die Ausstellung weltweit in fünf Städten gezeigt werden. Natürlich auch in Berlin, wo Robeson, der in der DDR ungeheuer populär war, als Sänger und Bürgerrechtler häufig auftrat. Jetzt ist Julius Lazarus auf Materialsuche in der Stadt, und er hofft, bei seinen Recherchen auch einige eigene Fotografien wiederzufinden. Im Paul-Robeson-Archiv der Akademie der Künste ist er schon fündig geworden.

Das Leben des Julius Lazarus ist eine Jahrhundertgeschichte – und doch erzählt er sie völlig frei von Pathos, als einzige Folge tagesaktueller Notwendigkeiten. 1918 in Ungarn geboren, wuchs Julius Lazarus in Wien auf und lernte dort zunächst Schlosser. 1939 mußte er mit seiner jüdischen Familie Österreich verlassen. „Ich habe sehr schnell einen Paß bekommen“, sagt er. „Die Polizei hat mich sogar unterstützt. Sie haben mich ja durch meine Arbeit als Schlosser gekannt. Ich hatte ja zum Beispiel ihre Öfen gemacht.“

Julius Lazarus ging zunächst allein in die USA. Einer seiner Brüder war auf dem Transport von Wien nach Dachau erschossen worden. Dem anderen gelang wie durch ein Wunder die Flucht vor dem sicheren Tod in Buchenwald: „Zwei der Aufseher dort kannten ihn aus der Schule. Sie haben meiner Mutter gesagt, wir schicken ihn nach Hause, sie könnte sich darauf verlassen. Sie haben ziemlich viel aufs Spiel gesetzt. Ich weiß nicht, wie es gegangen ist, aber er bekam die Einreisegenehmigung nach England. Danach gingen auch unsere Eltern nach Amerika.“

In New York fand Lazarus schnell Arbeit. „Zu schnell“, wie er meint. Viel lieber hätte er sich die Stadt noch länger angesehen und fotografiert. Am Anfang bekam er 15 Dollar in der Woche – „das war viel“. An die US-amerikanische Arbeitsmoral mußte er sich erst gewöhnen. „Man baute dort die Fehler gleich mit ein, um sich bald wieder neue Arbeit zu verschaffen. Das war gegen meine Erziehung.“ Lazarus wurde Gewerkschaftsmitglied. Kein Wunder: Sozialdemokratisch erzogen, war er schon als Junge bei den Falken organisiert, später im Arbeiterturnverein. Durch die Gewerkschaftsarbeit kam er in New York auch zur politischen Fotografie. Bei der Wahlkampagne für Henry Wallace etwa, dem New Yorker Kandidaten der Fortschrittspartei, war er der Hauptfotograf. Bei dieser Gelegenheit lernte er Paul Robeson kennen. Gehört hatte er von ihm schon in Europa. Lazarus begleitete Robeson bei seinen politischen Auftritten in den USA, in England und in der DDR, bei seinen Konzerten oder im Theater – als Othello. „Die amerikanische Presse war entsetzt über den schwarzen Othello mit Jutta Hagen als Desdemona. ,Der Neger küßt eine Weiße! Wo gibt's denn sowas?‘“

Nach Auftritten in der DDR und Moskau und seinem offenen Engagement für den Sozialismus wurde Paul Robeson in seiner Heimat zum Staatsfeind. Man zog seinen Paß ein, er konnte seine Verträge im Ausland nicht erfüllen. Einmal, so berichtet Lazarus, mußte ein Konzert an der kanadischen Grenze im Freien stattfinden, weil Robeson nicht einreisen durfte. In der Bundesrepublik war Robeson hingegen kaum bekannt. Er hätte, so Lazarus, nie auch nur eine Einladung zu einem Auftritt gehabt. Es hätte ja nicht gleich die Beethovenhalle in Bonn sein müssen. Neben Robeson galt Lazarus' fotografisches Interesse auch immer wieder dem Theater. In New York fotografierte er Aufführungen von Laiengruppen unter dem Dach der Brotherhood Synagoge, einem Zentrum für Angehörige aller Religionen. Hier wurden Klassiker wie Goethe und Schiller, aber auch Brecht gespielt. Auch Fotos einer Aufführung von „Furcht und Elend des Dritten Reiches“, die Lazarus gemacht hat, werden in der Akademie der Künste aufbewahrt.

Brecht selbst lernte Julius Lazarus Anfang der 50er Jahre in Berlin kennen. „Man sagte mir, wenn ihn einer dazu brächte, ein paar Fotos von sich machen zu lassen, dann vielleicht ich. Also ging ich zu Waigel und Brecht. Er fragt mich: ,Willst du mein Freund bleiben? Dann leg' den Fotoapparat weg.‘ So setzten wir uns und redeten, und es wurde ein herrlicher Abend.“

1949 war Lazarus erstmals nach Europa zurückgekehrt. Anlaß und erste Station war Paris, wo der Weltfriedenskongreß stattfand. Hier entstanden auch die Fotos von Picasso. Von Paris reiste er über Budapest nach Österreich und schließlich nach Berlin, um das Pfingsttreffen der FDJ zu fotografieren. „Ich stand neben Zatopek auf der Tribüne und habe Fotos gemacht. Man hat mich kommen lassen und gesagt, wir wollen deine Bilder sehen. Zatopek hatte gesagt, da ist ein Amerikaner, der fotografiert. Es wurden dann Aufnahmen für die offiziellen Fotoalben der Delegationen verwendet.“

An der DDR begeisterte ihn die „neue Idee“, wie er sagt. Der „Versuch, für alle aus eigener Kraft ein besseres Leben zu schaffen“. Lazarus fotografierte die 3. Weltfestspiele im August 1951, Pionierlager und den Aufbau der Stalinallee. Er arbeitete für die Zeitschrift Frau von heute und machte eine Fotoserie über die Entbindungsstation des Oskar-Ziethen- Krankenhauses. Und er lernte in Berlin seine Frau Eva kennen, die bei der Verkehrspolizei arbeitete.

Er hätte immer nur beobachtet, sagt er. Führende DDR-Politiker hätte er nur als Fotograf gekannt. Auch leben wollte er in der DDR nicht auf Dauer. Und da er als Emigrant nur fünf Jahre außerhalb der USA bleiben durfte, ohne staatenlos zu werden, nahm er seine Frau mit nach New York. Dort war es für ihn mittlerweile jedoch schwer geworden, Aufträge zu bekommen. Einige seiner Fotografenkollegen hatte McCarthys Verfolgungswahn bereits arbeitslos gemacht.

Um Geld zu verdienen machte Lazarus also Werbeaufnahmen und fotografierte nebenbei, im eigenen Auftrag, Arbeitslose, die Maifeiern am Union Square, Rassenhetze und Verfolgungen. „Ich war nur ein Fotograf, aber ich habe mich auch immer als Dokumentar gesehen.“

Zu diesem Selbstverständnis paßt es, daß Julius Lazarus jetzt seine ganze Kraft in die Paul-Robeson-Ausstellung steckt. Wenn sie eröffnet wird er 80 Jahre alt sein. An Ruhestand denkt er nicht: „Wenn die Ausstellung in Südafrika gezeigt wird, will ich unbedingt dabei sein. Ich muß Nelson Mandela kennenlernen.“

„Portrait Of A Giant“, biographische Betrachtung zu Paul Robeson von Donald & Gayle Griffith, heute, 20 Uhr, Weiße Rose, Martin-Luther-Straße 77