Ausschau nach Satelliten

Auf „Earthling“ läßt David Bowie die Maschinen raus. Ein Album um Trommeln, Baß, Schwerkraft und ökologische Restwärmenutzung  ■ Von Thomas Groß

Vom Himmel zu fallen ist das eine, als Alien vom Dienst gehandelt zu werden die Kehrseite eines Künstlermärchens, das unter dem Label „Bowie“ nun auch schon ein Vierteljahrhundert läuft. Vielleicht deswegen hat sein Erfinder via Internet etwas ernüchternd „Willensstärke und ein gutes Paar Socken“ als Mutter des Erfolgs beschrieben. Glamour, auf die Füße gestellt: Nach all den Jahren in intergalaktischer Mission, als transsexueller Tramp, bleischwerer Konzeptkünstler und zuletzt Mann, auf den niemand etwas mehr geben mochte, ist La Bowie endlich so down to earth, wie man sich das von einem glücklich verheirateten Multimillionär im Schweizer Steuerexil vorstellen mag. Da muß dann nicht mehr so viel bewiesen werden, man läßt es passieren. 50 geworden ist er dieser Tage ja auch.

„Earthling“ heißt das neue Album (Veröffentlichungsdatum in Europa: 3. Februar), und auch wenn das alarmierend nach dem Geschmack von Leuten klingt, die die Geburt ihres Kindes als Eintreffen eines neuen „Erdenbürgers“ feiern – dies hier lohnt schon aus physikalischen Gründen eine unvoreingenommene Betrachtung. Nach dem in Mauergrau und Klaustrophobieblau gehaltenen Vorgänger „Outside“ ist das Album eine Lockerungsübung: keine zu starren Konzepte, keine im engeren Sinn strategischen Ziele, keine Angst, im Wettbewerb um Programmplätze das eigene Markenzeichen zu verfehlen. Statt dessen ökologisch Restwärme ausnutzen und sich neueren Technologien gegenüber aufgeschlossen zeigen: Bowie ist mit der frisch heimgekehrten Tourband ins Studio gegangen, wo ein paar halbgare Ideen und Rifftrümmer im Mixer weitgehend ihrer Eigenaktivität überlassen wurden. Human factor in Wartestellung: Wenn ein paar Lyrics fehlten, wurden sie vor dem Mikro dazuerfunden, wo die Textur zu dünn geriet aber ohne Zögern die Maschinen rausgelassen.

„Earthling“ ist nämlich so eine Art Drum'n'Bass-Platte. Und auch wenn das wirken mag, als versuche ein alternder Beau nach all den Vorjahresversuchen, Elektronik mit menschlichem Antlitz zu etablieren, mal eben noch auf den Techno- und Dance-Schlitten aufzuspringen – Bowie entkommt der eigenen Schwerkraft, indem er nicht gegen sie, sondern mit ihr agiert. Bloß keine übertriebene Prätention! Auch keine Ansprüche auf avantgardistisches Gebiet – ein simples, neugieriges Öffnen der Grenzen. Als Mann, dem das krude Zusammenbringen schon immer mehr lag als die innovatorische Großtat (und der das heute auch von sich weiß), läßt Bowie die neueren elektronischen Stämme mit versprengten Resten von Glam-Rock und Zugereisten aus den Achtzigern eine Party feiern – mit ihm als Gastgeber und Moderator. Man muß die Programme nur machen lassen.

Es ist dann auch nicht so schlimm, wenn bei fortgeschrittener Laune doch noch der Song zur Weltverbesserung sich einschmuggelt („Seven Years In Tibet“) und die alten Bekannten die Schweinegitarren rausholen. Bowie-Experten fordern ja seit Jahren den Rausschmiß von Reeves Gabrels, dem Mann, dem sie instinktiv die Schuld für den Niedergang seit dem Experiment mit Tin Machine geben, als DB in den Achtzigern zum ersten Mal gegen sein Image rebellierte und mit viel Gedöns und Fönfrisur im großen britischen Gitarrenmassaker verschwand. Aber hier: Es zischelt und zingelt aus der Box, der Baß kommt von ganz ganz unten, während Reeves mit ein paar, ja: Powerakkorden den Stairway auslegt, auf dem Bowie sich in den neuen Himmel der Information schraubt: „Little wonder then, little wonder, You little wonder, little wonder you“ – das ist, ebenso wie „Looking For Satellites“, Radio Gaga in Reinkultur, es bedeutet nichts außer dem Willen, dranzubleiben und gespielt zu werden. Vielleicht werdet Ihr dieses Album später hassen wie sonst nur „Let's Dance“, den Disco-Bowie, aber erst mal regiert der Gott Effekt. Und jetzt alle: „So far away, so far away, so far far away...“

Gibt es so etwas wie Alters- Glam? „Earthling“ wirkt, als hätten Atari Teenage Riot da weitergemacht, wo Bowie selbst mit „Young Americans“ aufgehört hat: Teenagedrama in paradox zeitloser Ausführung, versehen mit den Gimmicks der magischen Kanäle. „Telling Lies“, eines der Zugpferde, ist in drei vom Album verschiedenen Versionen, darunter auch ein Mix von A Guy Called Gerald, über das Internet zu beziehen, wo bereits in den ersten Stunden angeblich horrende Zugriffszahlen registriert wurden. Im übrigen kann man demnächst wahrscheinlich auch B-Aktien zeichnen: Seit Januar, wußte das Wall Street Journal, arbeitet eine New Yorker Bank an der Idee, Börsenpapiere für Bowie-Tantiemen auszugeben. The Revolution will be telebanked!

Aber man freut sich trotzdem (in seinen Socken): Bester aller möglichen Bowies.

David Bowie: „Earthling“ (BMG)