„Schweizer Manifest“

■ Gegen antisemitische Gehässigkeiten

Zürich (taz) – Mehr als hundert teilweise prominente Kulturschaffende und Intellektuelle kritisieren in einem gestern veröffentlichten „Manifest vom 21. Janaur 1997“ den Umgang von Bundesrat und Banken mit den dunklen Seiten der Schweizer Vergangenheit. Sie erklären darin, daß sie sich „von keiner jüdischen Organisation unter Druck gesetzt, jedoch vom Verhalten der schweizerischen Banken und des Schweizerischen Bundesrates diskreditiert“ fühlten. Die UnterzeichnerInnen bemängeln, daß die Regierung sich nicht von Äußerungen des Bundesrates Jean-Pascal Delamuraz distanziert habe und der „ausgelösten Welle von antisemitischen Gehässigkeiten nicht energisch“ entgegengetreten sei. Wirtschaftsminster Delamuraz hatte die Forderungen jüdischer Kreise in den USA nach Schaffung eines Fonds für die Holocaust-Opfer in unsensibler Wortwahl als „Erpressung“ und „Lösegeldforderung“ bezeichnet.

Dadurch sei, so heißt es im Manifest weiter, die „demokratische Würde unseres Landes aufs Spiel gesetzt“ und „das kulturelle Selbstverständnis der Schweiz beschädigt“ worden. Zu den ErstunterzeichnerInnen gehören namhafte Schriftsteller wie Adolf Muschg, Peter Bichsel und Urs Widmer, bekannte SchauspielerInnen wie Bruno Ganz, Matthias Gnädinger und Anne-Marie Blanc sowie Filmregisseure wie Markus Imhoof und Thomas Koerfer. Auffällig, daß nur wenige Uni-Historiker und prominente Politiker das Manifest unterschrieben haben.

Das Kritikpapier faßt die bisherigen Ereignisse und Konflikte etwas einseitig, zumindest polemisch zugespitzt, zusammen. Beispielsweise äußerte Bundesrat Delamuraz die Befürchtung, es könnte in der Schweiz zu antisemitischen Reaktionen kommen, im Manifest heißt es hingegen, der Politiker habe diese „angekündigt“. Die PR-Kampagne von US-Senator Alfonse D'Amato und jüdischer Organisationen in den USA gegen die Banken und die Schweizer Regierung bleibt unerwähnt. Und die seit Anfang 1996 eingeleiteten Maßnahmen zur Aufklärung der Vergangenheit finden keine Würdigung. Vielmehr kommt ein anhaltendes Mißtrauen gegenüber der Regierung und den Banken zum Ausdruck. Nach Meinung der Unterzeichner ist der Umdenkprozeß in der politischen Elite noch zu wenig fortgeschritten. Ein Teil der Schweizer Linken befürchtet, eine zu rasche Beruhigung des Konflikts könne die kritische Aufarbeitung der Schweizer Vergangenheit erneut ins Stocken bringen. Oskar Scheiben