Aufregung über Razzia gegen „radikal“ in Holland

■ Richter will beschlagnahmte Unterlagen nicht rausrücken. Staatsanwaltschaft Koblenz erstellte Anklageschrift wegen Bildung einer „kriminellen Vereinigung“

Hamburg (taz) – Der grenzenlose Ermittlungshunger der Karlsruher Bundesanwaltschaft (BAW) im Verfahren gegen die verbotene linksradikale Zeitschrift radikal beschäftigt das niederländische Justizministerium. Der Grund: der Maastrichter Ermittlungsrichter Hoekstra weigert sich, die bei einer von niederländischen und deutschen Polizeibeamten durchgeführten Hausdurchsuchung beschlagnahmten Gegenstände ohne ausdrückliche Zustimmung der Amsterdamer Justizministerin Winnie Sorgdrager nach Deutschland zu überstellen.

Am 11. Dezember hatten Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes und mehrerer Landeskriminalämter unter Aufsicht ihrer niederländischen Kollegen die Wohnung des Spaniers Miguel D. im holländischen Vaals auf den Kopf gestellt. Die Ermittler beschuldigen den Studenten, an der Herstellung der radikal beteiligt gewesen zu sein, damit einer „kriminellen Vereinigung“ angehört zu haben. Da die radikal in den Niederlanden nicht verboten ist, hatten die holländischen Grünen und die liberale Partei VVD die Rechtmäßigkeit der Razzia bestritten. Die Konsequenz: die Medien stürzten sich auf die umstrittene Razzia, die bald auch das Parlament des Königreiches beschäftigen wird. Bei soviel Publicity bekam Richter Hoekstra kalte Füße und will nun ohne ausdrückliche Genehmigung seiner obersten Vorgesetzten die beschlagnahmten Aufzeichnungen nicht an die Deutschen herausrücken.

Während in Holland eifrig über die Durchsuchung diskutiert wird, landete jetzt die Anklageschrift im ersten Verfahren um die verbotene Zeitschrift radikal bei den Beschuldigten und ihren AnwältInnen. Die von der Koblenzer Oberstaatsanwaltschaft verfaßte Anklage richtet sich gegen die vier vermeintlichen radikal-Mitarbeiter, die bei der bundesweiten Großrazzia gegen linksradikale Organisationen am 13. Juni 1995 verhaftet und anschließend bis Dezember 1995 in Untersuchungshaft genommen wurden. Erstmals in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte wird in der Anklageschrift eine gesamte Zeitungsredaktion zur „kriminellen Vereinigung“ gestempelt. Kurios daran: der Unterstützungsvorwurf nach dem Anti- Terrorismus-Paragraphen 129a war im Rahmen des Ermittlungsverfahrens zwischenzeitlich fallengelassen worden, als die Karlsruher Bundesanwaltschaft das Verfahren wegen minderer Bedeutung nach Koblenz abgab.

Anders als die Karlsruher Ermittler leiten die Koblenzer Staatsanwälte die Terrorgruppen-Unterstützung aber nicht aus der Behauptung ab, die radikal-Herausgeber hätten unmittelbare Kontakte zu Mitgliedern militanter Linksorganisationen gehabt. Ihre neue Begründung lautet: Mit ihren Berichten und Bekennerschreiben zu verschiedenen Sprengstoffanschlägen hätte die radikal nicht nur für die RAF oder die „Rote Zora“ geworben, sondern sie „propagandistisch gestärkt“ und damit direkt unterstützt. Darüber hinaus sollen sich die Verdächtigen der Anleitung zu Straftaten schuldig gemacht haben. Sie hätten Tips für die Herstellung von Oberleitungshaken zur Bahnsabotage und für Brandanschläge gegen Kraftfahrzeuge veröffentlicht.

Daneben sollen sich die vermeintlichen radikal-Mitarbeiter der Steuerhinterziehung in Höhe von 16.450 Mark schuldig gemacht haben. Die Ermittler werfen den Herausgebern vor, daß sie keine Umsatzsteuer aus den Erlösen des verbotenen Verkaufs der illegalen Zeitschrift, die nach BKA-Erkenntnissen zumindest teilweise in den Niederlanden produziert wird, abgeführt haben. „Die kriminelle Vereinigung und ihre Mitglieder sind als Unternehmen bzw. Unternehmer anzusehen“, heißt es in der Anklageschrift.

Für eine Stellungnahme zur Anklageschrift wird den VerteidigerInnen gerade mal eine Frist von drei Wochen eingeräumt, vermutlich weil Verjährungsfristen drohen. Doch zwei der vier Beschuldigten werden von den Rechtsanwältinnen Gabriele Heinecke und Ursula Ehrhardt vertreten, die im Lübecker Brandprozeß gegen Safwan Eid unabkömmlich sind. Sollte der Koblenzer Prozeß „auf Lücke“ in den verfahrensfreien Tagen des Lübecker Prozesses terminiert werden, blieben zwei Möglichkeiten. Sie müßten – tageweise abwechselnd – in Lübeck und im rund 600 Kilometer entfernten Koblenz verteidigen. Oder eines ihrer Mandate niederlegen. Marco Carini