Berufsverbote, hysterische Kampagnen, Kontrollen

■ Die Vision vom totalen Überwachungsstaat war keine Konzession an die Konservativen, sondern entsprang dem sozialdemokratischen Etatismus der Zeit

Soll man, mit der Distanz von 25 Jahren, den Urhebern des „Radikalenerlasses“ seine Dankbarkeit erweisen? Wie vielen zukünftigen Steißbeintrommlern und Sesselfurzern hat das Berufsverbot die lebenslange Beamtenexistenz erspart. Aber Vorsicht vor wohlfeilem Zynismus! Nicht wenige der damals Herausgesäuberten haben den Gewaltakt des Staates schlecht verkraftet. Da genügt ein genauer Blick ins Taxifahrerverzeichnis.

„Im Haus des Henkers spricht man nicht vom Strick.“ Willy Brandt war einer der wenigen, die den Radikalenerlaß später als Fehler erkannten. Der ehemals eiserne Kanzler Schmidt schweigt. Manche können sich nicht mehr äußern. Herbert Wehner zum Beispiel. Der böse Onkel hatte Anfang der 70er Jahre, an die Adresse der radikalen Linken gewandt, ein seltsames Resumee seiner kommunistischen Vergangenheit gezogen: „Uns“, meinte der böse Onkel, „wäre es nie in den Sinn gekommen, daß man Revolutionär und Beamter sein kann.“

Das dachte die kommunistische Linke natürlich auch nicht – und zwar in keiner ihrer Varianten. Dennoch traf die meist aus den akademischen Mittelschichten stammenden Revolutionäre der „Radikalenerlaß“ äußerst schmerzhaft. Es ist eben etwas anderes, sich selbst von vorgezeichneten Karrierebildern zu verabschieden, „seine Klasse zu verraten“, oder von Staats wegen ausgegrenzt, marginalisiert zu werden.

Berufsverbote gegen Lehrer, Juristen, ärztliches Personal, manchmal, meist bei DKPlern, auch gegen „Werktätige“, wurden in den absurdesten Fällen verhängt. Einen Kunstlehrer traf es beispielsweise, weil er in einer seiner Klassen den Krieg der Amerikaner in Vietnam als Sujet gewählt hatte. Oft genügte die Teilnahme an Demonstrationen oder die Kandidatur auf einer linken Liste. Das vom Verfassungsschutz bereitgestellte Material strotzte nicht selten vor falschen Tatsachenbehauptungen und Aussagen aus zweiter oder dritter Hand. Die Mentalität der meisten Verfassungsschützer war durch die Verschwörungsgespinste des Kalten Krieges geprägt worden. Endlich, endlich hatten sie eine Aufgabe, die ihren Bedürfnissen wie ihrer Ausbildung entsprach.

Man darf den „Radikalenerlaß“ nicht in erster Linie als Konzession der sozialliberalen Regierung ans konservative Lager interpretieren. Er war Fleisch vom Fleisch der damaligen Sozialdemokratie. Der „Unvereinbarkeitsbeschluß“, den der DGB kurz nach dem Radikalenerlaß gegenüber den maoistischen Gruppierungen faßte und in dessen Folge die wenigen linksradikalen „Betriebskader“ aus den Fabriken gesäubert wurden, gehörte zu seinem Umfeld. Ebenso wie die zahlreichen Grundrechte einschränkenden Gesetze, mit deren Hilfe man des Terrorismus Herr werden wollte. Auf die Herausforderung RAF reagierte die Regierung und ein Teil der Medien mit hysterischen Kampagnen, mit Massendurchsuchungen und Kontrollen. Die dunkle Vision des totalen Überwachungsstaats entsprang sozialdemokratischem Etatismus.

Wer redet heute über die 70er Jahre außer bußfertigen Ex-Radikalen? Das Schweigen verhindert, daß Lehren gezogen werden. Beispielsweise, was die Streichung der besonderen Treuepflichten des Beamten aus dem Grundgesetz angeht. Christian Semler