Die lange Nacht der Depri-Filme

Hoffnung ist uncool, auf Glück folgt Selbstmord: Beim 18. Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken dominierten Bestrafungs- phantasien. Allein in Thomas Arslans „Geschwister“ überzeugte das angeknackste Lebensgefühl  ■ Von Katja Nicodemus

Pre-Ma-Bü-Ba war das große Mysterium. Ein Rätsel, dessen Auflösung beim 18. Max-Ophüls- Filmfestival zum Nebensport avancierte. Obwohl die merkwürdige Abkürzung plus Datum auf einem riesigen Transparent über Saarbrückens Fußgängerzone prangt, scheint im Nebelloch an der Saar kein Mensch die Bedeutung zu kennen. Premabüba klingt ein bißchen wie Kleinkindgebrabbel, ziemlich albern jedenfalls, und wahrscheinlich nahm man das Wort genau deshalb so gern in den Mund: Premabüba! Im Kino war dann Schluß mit lustig.

Dort ist das Komödiengequassel abgelöst worden von einem dunklen Raunen. Über eine Welt, die schlecht, ungerecht, verfallen ist. Ihre Bewohner sind einsam, verkorkst, verloren. Außenseiter, Arbeitslose, verkrachte Gestalten. Die Verzweiflung ist total und hoffnungslos, auf Glücksmomente folgen Gehirnschlag, Totgeburt und Selbstmord.

Die Mechanik dieses Kinos erinnert in ihrer Unentrinnbarkeit an katholische Moraltheologie: Lust und Freude werden so zwangsläufig bestraft, als seien sie Ausdruck einer umfassenden, immer schon vorgängigen Schuld. In Helke Misselwitz' „Engelchen“ schwebt das Damoklesschwert schon in den ersten Filmminuten über dem blassen Gesicht der Heldin. Susanne Lothar spielt Ramona, eine introvertierte, etwas kindliche junge Frau, die in ihrer Wohnung am Berliner S-Bahnhof Ostkreuz eine einsame Existenz fristet. Durch die Bekanntschaft mit Andrzej, einem prinzenhaften Polen, beginnt das Engelchen zu fliegen. Um danach krachend abzustürzen. Mit seinem ausweglosen Elend wird „Engelchen“ zum Pamphlet einer schmerzverliebten Weltsicht, ausgetragen auf dem Rücken der Hauptfigur.

Erstaunlich aber, wie dieses Elend auch noch poetisiert wird! Da prangen purpurne Farben und ein dekorativer Edelschrank in der Wohnung der Randexistenz, die asozialen Nachbarn feiern Hochzeit mit einer stilvollen Tangoorgie, und bevor die Heldin ihr Kind verliert, fließt vielsagend weiße Milch über schwarzen Grund. Die Diskrepanz zwischen Form und Inhalt, zwischen schönen bis kunstgewerblichen Bildern und der tristen Welt, aus der sie extrahiert werden, war symptomatisch beim diesjährigen Max-Ophüls-Festival. Mit stilisiertem Schwarzweiß verleiht Jan Raske einem Dorf in der ostdeutschen Pampa die Aura einer verlassenen Wildweststadt. Hier wartet Bruno (Lars Rudolph) auf die Zukunft, während Luise (Anna Thalbach) langsam den Traum von der eigenen Gaststätte aufgibt. Hoffnung ist uncool, eine Angelegenheit für verwestlichte Deppen in abc-kapitalistischen Werbeseminaren. Melancholische Kamerafahrten über Kartoffeläcker, die Aufnahmen der leeren Gleise und eine diffuse Hommage an die Filmästhetik der 60er Jahre erzeugen ein verkapptes Jim-Jarmusch-Gefühl. Lustvoll suhlt sich Raskes Film „Not a Lovesong“ in ostalgischer Verzweiflung, vermengt Arbeitslosigkeit, Suff und kollektive Paralyse zur unbeteiligten Elendselegie. Ein Reißbrettfilm, in dessen synthetischer Depression die Figuren reine Behauptung bleiben.

Am sadistischsten aber plagt Ivan Fila seine Heldin. „Lea“, die Geschichte einer jungen Slowakin, die an einen Exfremdenlegionär verhökert wird, pflegt die Poesie der Traurigkeit. Eine Passionsgeschichte in wunderschönen Bildern, die dem kurzen Glück ihrer Hauptfigur gnadenlos die letale Gehirnblutung hinterherschickt.

Saarbrücken '97, Vorauswahl für eine lange Nacht der Depri-Filme. Da bedurfte es als Ausgleich durchaus der freundlichen Festivalatmosphäre mit allabendlichem Gemeinschaftstrinken in „Lolas Bistro“. Auch der wenig förmliche Empfang in der Staatskanzlei geriet noch unterhaltsam. Zwar war Oskar Lafontaine gerade nicht da, dafür aber ein älterer Herr, der die Journalisten aufforderte, sich vor dem Rednerpult „zu einem losen Halbkreis“ zu formieren, woraufhin sich eine große, blonde Regierungsdame sehr unglaubwürdig, aber sympathisch zu ihrer Leidenschaft für Filme bekannte.

Abgesehen von der neuen Tendenz zum Trauerspiel konnte man in Saarbrücken auch einige Kinokonstanten beobachten: Die Münchner Filmhochschule etwa beeindruckt nach wie vor mit ihrem Ausstoß an teuren, schlechten Kurzfilmen und belanglosen Beziehungsgeschichten.

Ansonsten hat die plötzliche Besinnung auf den Ernst des Lebens auch ein Gutes. Neben den erwähnten Elendsaposteln profilierte sich eine Handvoll junger Filmemacher, deren Bilder nichts am Hut haben mit poetisch-pittoresker Verklärung. Bernd Heiber zum Beispiel, dessen dreißig Minuten „Scheißleben“ genauso unmißverständlich daherkommen wie der Titel. In grobkörnigem Schwarzweiß entsteht eine schmuddelige Stilisierung, die geradewegs hinein in die seltsamen letzten Stunden eines langhaarigen Ostberliner Proleten führt, dem man von einem riesigen Krankenhauskasten in eine Absturzkneipe und wieder zurück ins Krankenhaus folgt. Oder Thomas Arslans „Geschwister – Kardesler“, formal wahrscheinlich das konsequenteste Projekt des Festivals. Nachdem es ihm in „Mach die Musik leiser“ gelang, das Herumhängen einer Schülerclique im Ruhrpott zum Zustand eines ganzen Films zu machen, widmet sich Arslan jetzt dem Lebensgefühl türkischer Jugendlicher in Kreuzberg. Wieder ist seine Herangehensweise mimetisch, sind die einzelnen Einstellungen Funktionen dieses Lebensgefühls, nicht Elemente einer Erzählung. Beharrlich folgt die Kamera den Brüdern Erol und Ahmed auf ihren Wegen durch Kreuzberg.

Nach und nach werden die ewigen Gänge zum Ausdruck einer Lebensform, gemeinsames Gehen als Freundschaftsversicherung, als Inbesitznahme der Topographie zwischen Kottbusser Tor und Oberbaumbrücke. Die Straße als Wohnzimmer, Cruising ohne Auto. Gerade die banalsten Dialoge sind die stärksten, etwa wenn über geeignete Pitbullnamen schwadroniert wird oder eine Kinoverabredung zum Kunststück dialogischer Retardierung gerät. Neben Ritualen wie der ständigen Rotzerei oder dem coolen Handschlag, liefert „Geschwister“ außerdem eine ausführliche Einführung in einen Slang, den man ansonsten höchstens fragmentarisch in der U-Bahn erlebt. „Wir sollten jetzt mal los“ zum Beispiel wird zu „Mann ey, wir müssen mal endlich aus dem Arsch kommen, Mann.“

Daß die Jury ihren Hauptpreis an „Müde Weggefährten“ vergab, Zoran Solomuns braven Episodenfilm über Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, paßte irgendwie zum neuen Schmerzgefühl im deutschen Film. Sicher ist es ehrenwert, in dokumentarischer Ästhetik zu zeigen, wie sich Bosnier, Kroaten und Serben in der Fremde durchschlagen. Deren Leid erreicht das Kino allerdings ein paar Jahre zu spät.