Theo Waigel macht die SPD steuerlos

■ Parteichef Lafontaine kritisiert Besteuerung von Nachtzuschlägen, sein Finanzexperte Joachim Poß befürwortet sie. Gerangel auch in der CDU: Heiner Geißler sagt in der taz, die Besteuerung der Renten sei nicht zu verantworten

Bonn/Berlin (taz) – Oppositionspolitiker von SPD und Bündnisgrünen haben die geplante Steuerreform gestern erwartungsgemäß abgelehnt. SPD-Chef Oskar Lafontaine schloß eine Erhöhung der Mehrwertsteuer wie auch eine Besteuerung der Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge „mit Sicherheit“ aus. Auch die Bestrafung von Leistungsträgern mit bis zu 90.000 Mark Jahreseinkommen sei Unsinn. „Sie glauben doch im Ernst nicht, daß so etwas Gesetz wird“, so Lafontaine. Der DGB lehnte die Besteuerung der Zuschläge gestern als unsozial ab.

Mit ihrer Mehrheit im Bundesrat könnten die Sozialdemokraten die Reform in der Tat blockieren. Gleichzeitig forderte Lafontaine aber gestern, daß eine große Steuerrefom mit deutlichen Entlastungen für Arbeitnehmer schon 1998 verwirklicht werden müsse. Wie das klappen soll, wenn die SPD den Vorschlägen der Koalition nicht zustimmt, ließ Lafontaine offen. Auch die Bündnisgrünen haben eine Mehrwertsteuererhöhung zur Gegenfinanzierung der Steuerreform abgelehnt. Ihre finanzpolitische Sprecherin Christiane Scheel forderte eine aufkommensneutrale Steuerreform. Das Loch im Haushalt sei mit 44 Milliarden Mark viel zu hoch. „Wenn nicht Manna vom Himmel regnet“ oder große Einschnitte im sozialen Netz vorgenommen werden sollten, müsse die Mehrwertsteuer um 4 auf 19 Prozent angehoben werden, um die Löcher zu stopfen. Scheel verlangte, daß vor allem die unteren und mittleren Einkommen entlastet werden sollen. Die bündnisgrüne Politikerin kündigte eine eigene Berechnungsgrundlage ihrer Partei für die Steuerreform bis zum April an. Bei der SPD gibt es bislang solche Pläne nicht.

In Bonn verfestigt sich der Eindruck, daß die matte Reaktion der SPD auf Waigels Pläne mit Differenzen innerhalb der Partei zu tun hat. In einem neuen Papier des finanzpolitischen Sprechers der Partei, Joachim Poß, wird die Besteuerung aller Einkunftsarten gefordert. Dazu gehören auch Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschlag. Parteichef Oskar Lafontaine und der Bonner Fraktionschef Rudolf Scharping blieben nach der Verkündigung der Waigel-Pläne am Donnerstag zunächst still. Gestern dann führte Lafontaine gerade den Nachtarbeitszuschlag als Argument für die soziale Ungerechtigkeit der Steuerreform an. Er zitierte den Betriebsrat des Springer-Konzerns, der von Nachteilen für Drucker in Höhe von mehreren hundert Mark gesprochen hatte.

Unterdessen geht der Streit über die Steuerreform auch innerhalb der CDU weiter. Bundeskanzler Helmut Kohl hat die Kontroverse mit seinem Machtwort nicht beenden können – im Gegenteil. Immer mehr führende Unionspolitiker äußern öffentlich Zweifel am Konzept.

Nach Arbeitsminister Norbert Blüm hat sich auch sein langjähriger sozialpolitischer Mitstreiter, der ehemalige Generalsekretär Heiner Geißler, als Kritiker des Entwurfs geoutet: „Die Belastung der Rentner können wir sozialpolitisch nicht verantworten.“ In den Ländern bekamen die CDU-Oppositionspolitiker jetzt Schützenhilfe von einem Ministerpräsidenten: Kurt Biedenkopf aus Sachsen. Die Parteispitze wolle immer, daß in der CDU diskutiert werde, sagte er: „Und wenn junge Leute aus der Partei dann mal diskutieren, bekommen sie gleich einen aufs Dach.“ Christian Wulff (41) aus Niedersachsen erneuerte seine Kritik an der möglichen Erhöhung der Mehrwertsteuer. Er wünsche sich statt dessen eine bessere Ausgabendisziplin des Staates. maf/ten

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