Wo die Chefin ein Theater macht

Sabine Lehmann, Theaterschauspielerin und -regisseurin aus Berlin, unterhält in Katmandu, Nepal, das Hotel Vajra, dessen Herzstück ein Theater mit internationalem Repertoire ist  ■ Von Iris Treiber

Die Gastgeberin. Mit wehendem schwarzem Schal eilt sie auf uns zu. Zwei Spangen halten die schulterlangen, rotbraunen Haare. Große, runde, silberne Ohrringe lugen dazwischen hervor. Sabine Lehmann ist eine große, kräftige Frau. Unkompliziert begrüßt sie die Reporterin, bietet selbstverständlich eine Mahlzeit und Getränke an. Schließlich kommt sie auf der Dachterrasse ihres Hotels Vajra in Swayambunath, einem friedlichen Stadtteil von Katmandu, zur Ruhe. Über die Dächer der niedrigeren Nachbarhäuser blicken die Gäste direkt auf den Stupa von Swayambunath, eines der bedeutendsten buddhistischen Bauwerke und Weltkulturerbe der Unesco. Als Sabine Lehmann 1978 mit dem Bau ihres Hotels begann, brauchte sie eigentlich nur dringend ein Theater.

Die Theaterfrau. Sabine Lehmann ist Schauspielerin und Regisseurin. Wenn sie erzählt, unterstreichen ihre Hände und Augen die Worte. Lebhaft und energisch wirkt sie, ihre dunkle Stimme erweckt Aufmerksamkeit.

In Berlin hatte sie am Grips- Theater und an der Volksbühne gespielt. Ende der sechziger Jahre schloß sie sich einer amerikanischen Theatergruppe an und zog durch die Welt. In den USA wurde sie in Santa Fe kurzzeitig seßhaft. An einem Platz, an dem früher Indianer lebten, errichtete sie ein Lehmhaus, holte Lehm aus den Bergen, lernte töpfern. Immer und immer wieder spielte sie Theater. Menschen aus San Francisco traten in ihr Leben: „Damals war die Hippiebewegung auf ihrem Höhepunkt. Zusammen sind wir mit einem Riesenbus durch Amerika gefahren und haben Theater gespielt.“ Sie strahlt bei der Erinnerung. Schließlich fand die Theatergruppe einen Geldgeber und konnte ein Schiff im Stil einer chinesischen Dschunke bauen, 25 Meter lang. Der handwerklich nicht sehr geübten Sabine fiel die Aufgabe zu, die Schiffspläne zu vergrößern. „Ich weiß heute noch nicht, wie ich das geschafft hab'“, sagt sie.

Das Schiff stach in See. Aber bereits nach 150 Kilometern endete die Reise in einem Schneesturm. Da wischt sich Sabine Lehmann noch jetzt die unsichtbaren Angstschweißperlen von der Stirn: „War ich froh, daß ich noch gelebt habe!“

Dennoch ließ das Meer sie nicht los. Zwei Jahre tourte sie über die Ozeane, arbeitete sich von der Küchenhilfe hoch zur Maatin und schließlich in den Status einer Kapitänin. Sie erreichte Indien und gebar dort ihren ältesten Sohn. In Bombay bekam sie die Möglichkeit, ein Hotel zu eröffnen. „Aber ich wollte immer weiter Theater machen – und das kostet Geld!“

Heute, sagt sie, könne sie sich ihr Theater im Vajra gerade so leisten. Regelmäßig treten dort indische und andere Theatergruppen auf. Sie inszeniert selbst Stücke und spielt mit. Das Repertoire umfaßt Werke aus der europäischen Theatertradition, religiöse asiatische Aufführungen und Tanztheater.

Die Künstlerin und Kulturbewahrerin. 1980 wurde Sabine Lehmann in Katmandu seßhaft. „Reich werde ich nicht“, sagt sie, „aber in Katmandu habe ich alles, was ich wollte.“ Dazu gehört seit 1983 auch ihr zweiter Sohn. Mit ihm und seinem Vater lebt sie zusammen. 1990 ließ sie einen neuen Hotelflügel errichten, ebenfalls im traditionellen Newari-Stil aus roten Ziegelsteinen mit Fensterrahmen aus dunklem, geschnitztem Holz gebaut. „Wir haben einfach riesiges Holz hier“ – Sabine Lehmann ist von der Ausführung begeistert. Bearbeitet haben die Türen und Fenster bekannte nepalesische Tempelschnitzer. Die Ornamente reichen von großen Darstellungen asiatischer Symbole und Blumen bis hin zu feinsten Filigranholzgittern, Fresken schmücken Decken und Wände. In massiven Holzschränken lagern in ihrer „Ost-West-Bibliothek“, wie sie sie nennt, grundlegende tibetanische und Sanskrit-Texte sowie Fachbücher in europäischen Sprachen.

Nicht nur Hotelgäste sind bei Swami, dem Bibliothekar, willkommen. In seinem weißen Tuch und mit dem wallenden Vollbart enttäuscht er die Erwartungen an einen alten asiatischen Gelehrten nicht. Zweimal im Jahr führt er im Bücherraum eine große Opferzeremonie, die sogenannte Pusha, durch.

In einer Ecke des Innenhofs des Hotels wird, wie es der hinduistischen Tradition entspricht, jeden Morgen geopfert. Unter einem großen Baum stehen kleine steinerne Götterbilder, darunter auch Ganesh, der Gott des Wohlstands. Täglich schmückt der Gärtner die Götter mit roter Opferfarbe, Blüten, Reiskörnern. Ansonsten pflegt er den Hotelgarten, ein kleines, grünes, blühendes Paradies. Die meisten Pflanzen hat Sabine Lehmann auf dem Dach ihres Hotels in einer kleinen Pflanzschule selbst gezogen. Topf um Topf steht dort vor großen Solaranlagen, mit denen sie einen Teil ihres Wassers erwärmt.

Die Hotel- und Restaurantfachfrau. In der Hauptreisezeit Oktober und November ist das Vajra voll, „übervoll“, sagt die Besitzerin. Auf 50 einfache bis luxuriöse Zimmer verteilen sich die Gäste. Insgesamt 110 Menschen arbeiten hier für das Wohl der Fremden. In der Küche werden hauptsächlich asiatische Speisen zubereitet. Eine Ausnahme bilden verschiedene Kuchen und Spinat mit Spiegelei und Schinken: „Das hat meine Mutter immer gekocht“, schwärmt Sabine Lehmann.

Zu ihrer Philosophie gehört es, möglichst viele Waren aus Nepal zu verwenden. „Ich hab' vielleicht die einzige Bar in Katmandu, in der es nur nepalesische Drinks gibt“, lacht sie. Mit Versorgungsschwierigkeiten allerdings muß sie leben. Voller Schaudern erinnert sie sich noch daran, wie es für zwei Monate auf dem nepalesischen Markt keine Kaffeebohnen gab. „Da mußte ich meinen Gästen doch tatsächlich Pulverkaffee servieren – eine fürchterliche Plörre!“ Sie schüttelt sich, genießt den offensichtlich wohlschmeckenden Cappuccino, bestellt Brot nach.

Ob sie zufrieden ist? „Es gibt immer viele Sachen, die dich stören könnten, aber im großen und ganzen bin ich sehr glücklich hier.“ Und schließlich: „Ich bin jetzt 50, da denkt man nicht mehr soviel ans Verändern!“

Hotel Vajra Guest House, Sabine Lehmann, P.O. Box 1084,

Swayambhu, Katmandu, Nepal