■ Bulgarien: Sozialisten halten weiter an starrem Kurs fest
: Die Logik des Machterhalts

„Wir brauchen einen Konsens aller maßgeblichen politischen Kräfte“, beschwor Petar Stojanow die demonstrierenden Massen auf dem Platz vor der Alexander-Newski-Kathedrale. Dabei weiß der neue bulgarische Staatspräsident nur zu gut, daß sein Versuch, die innenpolitische Krise zu entschärfen, einer Quadratur des Kreises gleichkommt. Denn ein Konsens in Bulgarien ist dieser Tage nicht in Sicht. Die Sozialisten (BSP) bestehen weiter darauf, den Regierungschef zu stellen. Die Tatsache, daß sie dabei unverändert an dem Altapparatschik und Innenminister Nikolai Dobrew festhalten, unterstreicht nur zu deutlich, daß sie, um des Machterhalts willen, auch eine Zuspitzung der Krise in Kauf zu nehmen bereit sind. Die Opposition, mit Zehntausenden demonstrierenden Anhängern im Rücken, lehnt eine Regierung unter Führung der BSP kategorisch ab und will sich mit den Exkommunisten auf keine weiteren Kompromisse mehr einlassen.

Doch anders als sein Vorgänger Schelju Schelew, der auf eine Verzögerungstaktik setzte und sich bis jetzt, wegen seines auslaufenden Mandats, elegant um die Frage der Regierungsbildung herumdrückte, wird Stojanow wohl oder übel handeln müssen. Dabei ist sein Spielraum begrenzt. Die bulgarische Verfassung sieht vor, daß der Präsident der größten Fraktion im Parlament den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt. Und Stojanow hat in den letzten Tagen wiederholt erklärt, daß er der BSP das Mandat anbieten werde, sollte keine Verständigung zustande kommen.

Das aber, obwohl in Einklang mit den Gesetzen, könnte für das Land verheerende Folgen haben. Den Menschen in Bulgarien ist eine BSP-Führung, auch unter dem Deckmäntelchen einer Expertenregierung, nicht mehr schmackhaft zu machen. Schon jetzt haben die Massenproteste eine eigene Dynamik entwickelt, und es gibt keine Anzeichen dafür, daß der Druck der Straße in den nächsten Tagen nachlassen wird. Im Gegenteil: Für morgen haben die Gewerkschaften einen Generalstreik angekündigt, der das Land, das bereits wirtschaftlich am Boden liegt, weiter schwächen würde. Nicht zuletzt könnte sich der aufgestaute Volkszorn gegen Petar Stojanow, der zumindest im Moment noch für Millionen Bulgaren ein neues und besseres Bulgarien verkörpert, selbst richten. Und damit wären alle Hoffnungen auf einen schnellen Neuanfang zunächst einmal zunichte gemacht. Barbara Oertel