Weltkriegs-Deserteure im Stich gelassen

■ Bremen stimmte nicht für Rehabilitierung von Deserteuren und anderen Opfern der NS-Militärjustiz

„Das kann doch nicht wahr sein“, sagt Ludwig Baumann, 75jähriger Rentner aus Bremen. Gestern erfuhr der Vorsitzende der Bundesvereinigung „Opfer der Militärjustiz“, daß Bremen sich im Dezember im Bundesrat enthalten hat, als es um die Rehabilitierung der Opfer der NS-Militärjustiz ging. Baumann selbst ist einer von denen, die von der Nazi-Justiz zum Tode verurteilt worden waren, weil sie bei Hitlers Kriegen nicht mitmachen wollten. Seit Jahren arbeitet er für die Rehabilitierung dieser Gruppe der NS-Opfer.

Mit 20.000 Todesurteilen hat die deutsche Militärjustiz die „Moral“ der Wehrmacht zu stärken versucht, das sind mehr Todesurteile als der Volksgerichtshof aussprach. 15.000 Deutsche, die nicht für Hitler in die Niederlande einmarschieren oder Stalingrad erobern wollten, wurden hingerichtet. Nur wenige kamen mit geringeren Strafen davon. Rund 200 dieser Männer, allesamt über 70 Jahre alt, leben heute noch – und alle müssen sich als vorbestraft sehen. „Fahnenflucht“, „Feigheit“, „Erregung von Mißvergnügen“, „Untergrabung der Manneszucht“, „Selbstbeschädigung“ heißen die Straftatbestände, nach denen sie verurteilt worden waren. Baumann selbst war damals zum Tode verurteilt, wurde dann doch „begnadigt“ und zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt, die er nach dem Sieg der Nazitruppen hätte absitzen sollen. Den Krieg überlebte er im Konzentrationslager.

Im Oktober 1996 hat das Land Bremen im Bundesrat beantragt, diese Urteile „von Anfang an für nichtig“ zu erklären. Die Bundesregierung sollte einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorbereiten. Da die Bundesregierung nichts dergleichen tat, brachte das Land Sachsen-Anhalt im Dezember im Bundesrat einen Gesetzentwurf ein, um auf diesem Weg den Bundestag zu einer Entscheidung zu zwingen. Einstimmig hatte sich der Rechtsausschuß des Bundesrates hinter die Initiative gestellt. Als der Antrag am 19.12.1996 im Bundesrat aufgerufen wurde, gab es keine Debatte mehr – aber keinen einstimmigen Beschluß: In der Abstimmung enthielt sich Bremen, ohne Begründung.

Im Protokoll ist die Stimmabgabe nicht vermerkt. Der Senat vermied es auch, die Bremer Öffentlichkeit zu informieren. So erfuhr Ludwig Baumann, der die Rehabilitierung der Deserteure zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat und den Bremer Senat bis gestern hinter sich glaubte, bisher nichts davon.

Weil der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Hermann Kuhn offiziell nachfragte, mußte der Vorfall aber intern noch einmal aufgearbeitet werden. Wie kann es sein, daß Bremen im Oktober eine unverbindliche Bundesrats-Entschließung einbringt, im Dezember dann aber kneift? „Das ist in der Tat schwer erklärlich“, sagt der Sprecher des Arbeitssenators, der die Antwort des Senats auf die Kleine Anfrage des Angeordneten Kuhn vorbereitet hat.

Der Hintergrund: Die CDU hat bundesweit bisher die Rehabilitierung der Deserteure verhindert. Begründung: Es könne ja einer dabei sein, der auch nach heutigen Rechtsmaßstäben verurteilt würde. „Untergrabung der Manneszucht“ gibt es zwar nicht mehr im Strafgesetzbuch, aber „Fahnenflucht“. Jeder einzelne der vorbestraften Deserteure soll nach der Vorstellung der CDU zum Gericht gehen. „Kein Soldat muß sich vor einem Gericht verantworten und fragen lassen, warum er in Hitlers Kriegen mitgekämpft hat“, sagt der Deserteur Baumann dazu. K.W.