Die Solidarität ist dahin

Heute vor einem Jahr demonstrierten Hamburgs Schlepper auf der Elbe gegen die neue Konkurrenz aus Holland. Inzwischen herrscht im Hafen weitgehend Resignation  ■ Von Heike Haarhoff

„Das letzte Jahr?“ Die Finger des Schlepper-Kapitäns lassen das Steuer für einen Moment los. Aus der Jackentasche kommt ein Handy zum Vorschein. „Das hier hat uns 1996 beschert.“ Die ständige telefonische Verfügbarkeit knallt auf das Armaturenbrett. Die „Herrschaften da oben“ – die Chefs der fünf Hamburger Schlepp-Reedereien Bugsier, Petersen und Albers, Lütgens und Reimers, Fairplay und Louis Meyer – hätten „die Dinger“ im vergangenen Jahr eingeführt. „Aus Konkurrenz zum Holländer. Damit wir schneller reagieren können, wenn sich Containerschiffe ankündigen, die wir durch den Hafen zu den Kaimauern ziehen sollen.“

„Der Holländer“, der im Januar 1996 in den Hamburger Hafen kam, ist die Kotug, eine Tochterfirma der niederländischen Kooren-Reederei aus Rotterdam. Die Anschaffung moderner Kommunikationsmittel blieb nicht die einzige Neuerung, mit der sich die alteingesessenen Hamburger Schlepp-dienste seither plagen: Billiglöhne, Dumping-Preise und ein florierendes Geschäft auf der einen Seite; Verschlechterungen der bis dahin paradiesisch-konkurrenzlosen Arbeits-, Tarif- und Sicherheitsbedingungen und ein Stellenabbau von bis zu 50 Prozent auf der anderen. „Wir haben unser Monopol verloren“, bilanziert Jan-Wilhelm Schuchmann, Geschäftsführer der Schlepp-Reederei Bugsier, die wirtschaftliche Entwicklung seiner Zunft, die heute vor einem Jahr mit dem sogenannten „Schlepperkrieg“ im Hamburger Hafen begann.

Laut hupend und mit rasanter Geschwindigkeit veranstalteten die wendigen Hanse-Schlepper damals eine waghalsige Verfolgungsjagd der Kotug-Schiffe quer durch die Hafenbecken. Daß bei der spektakulären Demonstration zu Wasser niemand zu Schaden kam, wunderte selbst die Wasserschutzpolizei. „Wir wollten die Kotug-Beschäftigten zur Rede stellen und sie auffordern, in die Gewerkschaft einzutreten, damit wir zu gleichen Preisen arbeiten“, erinnert sich der Schlepper-Kapitän und packt sein Handy wieder ein. Zu einem Gespräch kam es bis heute nicht.

„Man kann das ja auch verstehen“, findet Wilfried Hennings, ÖTV-Mitglied und Betriebsrat der Schlepp-Reederei Fairplay, „der Kotug hat Langzeitarbeitslose aus Rostock und Umgebung eingestellt. Die mucken nicht auf.“ Viele andere Hafenbeschäftigte übrigens auch nicht mehr. „Mit der Solidarität ist es dahin“, sagt auch der Kapitän mit dem Handy. Natürlich, spontane Sympathie-Aktionen mit den Schlepp-Bediensteten im Hafen habe es zunächst schon gegeben.

Aber „nach ein paar Tagen“ stellten die Hafenarbeiter, Kranführer und Lotsen ihren „Dienst nach Vorschrift“, mit dem sie gegen das drohende Tarif-Abschleppsystem protestierten, schnell wieder ein. Ihre Bummelei gefährde den Standort Hamburg – das war alles, was Wirtschaftssenator Erhard Rittershaus (parteilos) damals zur Lösung des Konflikts einfiel.

Die wilde Entschlossenheit ist in Resignation umgeschlagen. „Wir“, sagt Gert Hüfner von der ÖTV-Abteilung Seehäfen, „waren doch alle fest überzeugt: Entweder gehen die Kotug-Schlepper nach unserer Demonstration freiwillig aus dem Hafen oder sie passen sich unseren Tarifen an.“ Statt dessen vergrößerte Kotug seine Flotte im Herbst um einen weiteren auf fünf Schlepper. „Jeder macht eben sein Geschäft“, zuckt Kotug-Geschäftsführer Peter Steinert die Schultern. Und sonst? „Funkstille. Für uns hat sich das normalisiert.“

Etabliert hat sich auch die untertarifliche Bezahlung der 29 Kotug-Beschäftigten. „5800 Mark kriegen die im Monat“, rechnet Betriebsrat Hennings vor, „wir 7000.“ Noch jedenfalls. Ein Jahr lang haben sich Hamburgs Arbeitgeber das Spielchen angesehen, haben erschreckt zur Kenntnis nehmen müssen, wie es der niederländischen Konkurrenz binnen kürzester Zeit gelang, Großkunden unter ihre Fittiche zu kriegen. Jetzt wollen sie nachziehen. Bei den Tarifverhandlungen mit der ÖTV in der kommenden Woche werden sie fordern, künftig die gleiche Arbeit mit weniger Leuten zu erledigen.

Derzeit arbeiten pro Schiff drei Besatzungen – insgesamt neun Leute –, die sich schichtweise ablösen. Das holländische Unternehmen dagegen kommt mit zwei Schichten pro Schlepper aus. Wie, das erzählen die Kotug-Bediensteten nur ungern. „Nicht immer einfach“ sei es. Aber: „Unsere Schuld ist das doch nicht.“ Die alteingesessenen Hafenarbeiter wissen: „14 Tage sind die ununterbrochen an Bord, wir höchstens drei.“ Niemand halte das auf Dauer aus, den Hafenlärm, die Schlafstörungen.

„Auch wir müssen wettbewerbsfähig bleiben und Personal reduzieren“, ist Bugsier-Geschäftsführer Schuchmann sicher. Um zwanzig Prozent seien die Aufträge zurückgegangen. Mehr als die Hälfte der ehemals 220 Stellen wurde bereits abgebaut; von einst 18 Hamburger Schleppern sind höchstens noch elf stets „im Pool“.

„Eine Situation wie in Hamburg finden sie in keinem anderen Hafen.“ Kotug-Chef Peter Steinert hält die gewerkschaftlichen Forderungen für überzogen. Dabei hatten die Hamburger Beschäftigten schon freiwillig, wie sie sagen, Zugeständnisse gemacht: Im Frühjahr 1996 setzten sie ihre monatliche Arbeitszeit von 210 auf 240 Stunden hoch, um mithalten zu können. Diese Regelung war bis zum 31. Dezember befristet. „Wir haben erwartet“, ist ÖTVler Gert Hüfner enttäuscht, „daß es dann neue Tarifverträge gibt. Nix ist passiert. Jetzt wird nur noch auf die Gewerkschaft geschimpft.“

Haben Wirtschaft, Hafenpolitik und Gewerkschaften versagt? Hätte man die Entwicklung aufhalten oder anders steuern können? Und wenn ja, wie? Die allseitige Ratlosigkeit lähmt. Hamburgs Schlepper seien bloß ein Beispiel für den europaweiten Sozialabbau, sagen manche. Andere finden „die Zeiten eben schlimm“. Und daß man da irgendwie durch muß.