Kurt Scheels Lichtspiele
: Zeigt seine Nase

■ Ein Prosit auf W.C. Fields

Vor 117 Jahren wurde William Claude Dukinfield geboren – ein passender Anlaß, seiner zu gedenken. Das berühmte Foto, das noch heute manchen Spind ziert, zeigt ihn in leichter Untersicht auf einem Golfplatz stehend, in der rechten Hand hält er ein Baby am ausgereckten Arm, wie eine Sache, die er gleich fortschleudern will, in der linken einen Golfschläger, und das mürrische Gesicht läßt keinen Zweifel daran, daß er Babys (und Golf?) nicht mag. Aber W.C. Fields, so sein Künstlername, ist nicht nur kinderfeindlich – er ist mehr, viel mehr! Nämlich hunde- und, fast noch schlimmer, frauenfeindlich: „Frauen sind wie Elefanten. Ich sehe sie mir gerne an, möchte sie aber nicht besitzen.“

Bevor jetzt der nur allzu berechtigte Protest losbricht, will ich den Satz zitieren, der von seinen Gegnern immer unterschlagen wird, da er Fields' Misogynie relativiert, in ein anderes, milderes Licht taucht: „Ich habe keine Vorurteile – ich hasse alle gleichermaßen.“

Fields war also eindeutig kein Menschenfreund im Sinne und nach dem Vorbild Friedrich Schorlemmers, das Humanum war ihm wurscht, bedauerlicherweise. Und die angeblich karitative F.E.B.F.-Stiftung, für die er um Spenden bat, entpuppte sich als Tarnunternehmen in eigener Sache, standen die Initialen doch für „Fuck Everyone But Fields“.

Im Leben wie auf der Leinwand ein unangenehmer Patron, der sich seine Säufernase redlich ertrunken hatte, und doch – richtet nicht, auf daß Ihr nicht gerichtet werdet – war er ein Mit- Mensch, ein Bruder, dessen Jugend sehr schwer gewesen war: armes englisches Einwandererkind, Hunger, Maloche, Prügel. Mit elf läuft der kleine Bill von zu Hause fort, schlägt sich als Tramp mit Gelegenheitsarbeiten durch, versucht sich als Jongleur: erst mit zwei Welpen, dann mit drei (später geht er zu Babys über...) – eine harte Zeit, oft weiß er nicht, woher er das (keineswegs üppige) Trinkgeld nehmen soll. Dann, plötzlich, die Wende. Fields ist kaum 22 Jahre alt, da darf er (zusammen mit Sarah Bernhardt) im Buckingham Palace vor Edward VII. eine Galavorstellung geben. Es ist wie ein Wunder! Das bißchen Jonglieren, Fields' komisch näselnde vornehme Sprechweise, der Witz seiner Monologe – und schon ist er ein gemachter Mann, verdient ein Schweinegeld, tritt auf dem Broadway auf, bei Ziegfeld, dreht ab 1915 Filme, und das Publikum liebt ihn, diesen saufenden Fiesling, Feigling, Schwierigkeitenmacher und Versager – er ist, mit anderen Worten, ein ganz normaler Mensch, nur ein bißchen mehr.

Aber im Unterschied zu uns verbirgt er seine kleinen Schwächen nicht, im Gegenteil, er stellt sie aus, fast im Joseph Beuysschen Sinne („Zeige deine Wunde“) und konfrontiert uns solcherart mit uns selbst – W.C. Fields ist gewissermaßen der dunkle Spiegel, in dem wir unser ach so strahlendes Selbstbild von der anderen, der Schattenseite betrachten können...

Eigentlich ein schmerzhafter kathartischer Prozeß, aber auch und gerade in Fields' Filmen erweist sich erneut unsere „Unfähigkeit zu trauern“, und deshalb lachen wir lieber über die vier wunderbaren Kurzfilme, die Fields Anfang der dreißiger Jahre für Mack Sennett gemacht hat. „The Dentist“ (die Arm- und Beinverschlingungen mit seiner Partnerin, der er die Zähne zieht, sind so eindeutig, daß nur eine entschärfte Version in die Kinos kam), „The Pharmacist“, „The Barber Shop“ und, der schönste und verrückteste, „The Fatal Glass of Beer“, die eindringliche Warnung vor Alkohol, in der Fields als Trapper im Kampf gegen Schnee, Indianer, seinen Sohn und eine Zither liegt.

Von den vielen Filmen, die zu erwähnen wären, nur noch zwei: „The Old-Fashioned Way“, wo Fields als „The Great McGonigle“ einer umherziehenden Theatertruppe vorsteht, für die sich mehr Sheriffs als Zuschauer interessieren. Meine liebste Szene ist die des Spiels im Spiel, wenn ein Schmierenstück aufgeführt wird, mit Witwe und Tochter, die ein herzloser und verbrecherischer Vermieter (Tautologie!) – natürlich Fields mit Pelerine und Bösewicht-Schnurrbart – aus dem Haus treiben will, denn der Mann der Tochter hat sich in einer Bar betrunken und ist deshalb („Shame! Shame!“) fortgelaufen ... Mit Couplets zwischen den Akten und einem versöhnlichen Schlußbild – ach, warum muß das heutige Theater so ganz anders sein?!

Fields' bedeutendster Film ist „Never Give a Sucker an Even Break“ (1941), zu verrückt und kompliziert zum Erzählen, zwischen einem Filmstudio, einem Flugzeug mit Aussichtsplattform, einem Venusberg und einem russischen Dorf umhertorkelnd, daß man am liebsten ein Glas hochprozentige Ziegenmilch trinken möchte. Neben „Hellzapoppin“ der genialste, komischste und hollywoodverarschendste Film- Film, der je gedreht wurde und dessen Radikalität die großsprecherischen, das Medium reflektierenden „auteurs“ der sechziger und siebziger Jahre sehr alt aussehen läßt.

Aber statt wieder Gräben zur Kunstfilmfraktion aufzureißen, schlage ich vor, daß wir jetzt alle, mit Fields zu sprechen, erst einmal einen Schluck Frühstück nehmen. Kurt Scheel