■ In Bulgarien ist die Situation anders als in Serbien
: Wahlen allein sind keine Lösung

Bulgariens regierende Sozialisten treten die Flucht nach vorn an: Nach tagelangen Massenprotesten wollen sich die Ex-Kommunisten nun doch auf Neuwahlen einlassen, allerdings um den Preis, vorerst die Regierung für ein Jahr weiterzuführen. Ob sich das aufgebrachte Volk mit diesem Zugeständnis zufriedengeben wird, ist mehr als fraglich. Zwar hatte die Opposition die Zusage von Neuwahlen zur Voraussetzung für ein Einlenken erklärt und dabei stets auf Serbien als Vorbild für die Proteste hingewiesen. Doch diese Parallelen verdecken entscheidende Unterschiede: In Serbien haben massive Wahlfälschungen und damit eine Verletzung elementarer demokratischer Spielregeln die nunmehr seit Wochen andauernde Protestwelle ausgelöst. In Bulgarien hingegen treiben vor allem Hunger, bittere Armut und unbeheizte Wohnungen die Menschen zu Zehntausenden auf die Straße.

Es ist zwar moralisch verwerflich, wenn eine Regierung tatenlos zusieht, wie ein Großteil vor allem älterer Bürger tagtäglich Abfalltonnen durchwühlen und die letzten Habseligkeiten verhökern muß, um irgendwie über die Runden zu kommen. Justitiabel ist das hingegen nicht. Will heißen: Anders als in Serbien haben die Sozialisten das Gesetz auf ihrer Seite. Bei den Wahlen im Dezember 1994 von den Wählern mit einer komfortablen Mehrheit ausgestattet, läuft ihr Mandat bis 1998.

Doch so sehr sich die Opposition auch bemüht, die offensichtliche Unfähigkeit der Regierung anzuprangern, so wenig kann sie ihre eigene Zerrissenheit und Konzeptlosigkeit übertünchen. Denn schließlich sind Wirtschaftsreformen unter ihrer Ägide 1991/1992 über ein paar halbherzige Anfänge ebenfalls nicht hinausgekommen. Und auch die von ihr seinerzeit gestützte Expertenregierung – ein Begriff, der jetzt erneut als Allheilmittel durch Ankündigungen und Reden aller Lager geistert – erwies sich mehr als Verwalterin des Chaos denn als Ideengeberin für eine wirkliche Überwindung der Krise.

Neuwahlen können, wenn überhaupt, nur der erste Schritt auf dem Weg zur Lösung der derzeitigen Probleme sein. Im Augenblick hat die Opposition alle Chancen, diese Wahlen für sich zu entscheiden. Doch die Rechnung, sich lediglich auf ein Mandat der Wähler zu berufen, geht, wie die letzten Ereignisse gezeigt haben, in Bulgarien nicht auf. Barbara Oertel