■ Gespräch mit Robert Menasse über Jörg Haider und den Rechtsdrall europäischer Intellektueller
: „Wo bitte ist Europa?“

taz: Sie haben in einem vieldiskutierten Essay zum Sturz der Regierung aufgerufen. Warum?

Robert Menasse: In Österreich regiert die Sozialdemokratie seit einem Vierteljahrhundert. Das ist, selbst wenn dies durch regelmäßige freie Wahlen zustande kam, letztlich zutiefst undemokratisch. Es gab eine Reihe von historischen und auch Systemgründen, die dazu führten. Alle diese Gründe haben sich mittlerweile erledigt, in Österreich hat seit 1986 ein Transformationsprozeß begonnen, der unwiderruflich dieses Land „normalisiert“. Das heißt: Österreich wurde, was es zuvor immer nur behauptet hatte zu sein – ein westliches, demokratisches Land. Endlich gibt es Oppositionsparteien. Endlich gibt es einen offeneren gesellschaftlichen Diskurs, der sich nicht in der öden Konfrontation erschöpft, ob alle Österreicher Sängerknaben oder alle Österreicher Nazis sind. Was Österreich jetzt noch fehlt, ist ein Regierungswechsel.

Den gibt es doch nur mit dem Rechtspopulisten Jörg Haider. Meinen Sie konsequenterweise: Haider soll Kanzler oder Vizekanzler werden?

Nein. Aber Ihre Frage ist gut österreichisch, also falsch. In Wahrheit ist die Tatsache, daß Haider angeblich „droht“, ein Hauptgrund, die bestehende Regierung abzuwählen, und nicht, sie weiter zu bestätigen. Denn die regierende Sozialdemokratie hat zur Erhaltung ihrer Machtposition heute nur noch dieses einzige Argument: „Wenn wir nicht regieren, kommt der Haider!“ Nichts anderes versprechen zu können als die Verhinderung eines politischen Kontrahenten, ist ein äußerst dürftiges Programm. Die Regierung ist derart auf Haider fixiert, daß sie versucht, vorauseilend Haiders Politik zu kopieren. Wer genau schaut, sieht: Haider regiert längst. Eben weil ich keinen regierenden Haider will, sage ich: Wählt diese Regierung ab.

Noch einmal: Ein Kanzler Haider schreckt Sie nicht?

Ich glaube nicht, daß „Haider oder Nicht-Haider“ die Alternative ist, jene buchstäbliche Entscheidungsfrage, vor der wir stehen. Die nächsten Wahlen sind erst 1999. Es gibt fünf Parteien im Parlament. Also können andere Konstellationen sehr wohl möglich werden. Ich empfehle den österreichischen Intellektuellen, die die Haider-Hysterie zu ihrer Geschäftsgrundlage gemacht haben, einmal zu versuchen, die Grünen oder die Liberalen politisch zu stärken und sie ins Spiel zu bringen, statt immer nur Haider als Teufel an die Wand zu malen.

Wie erklären Sie sich das Phänomen, daß es in Österreich eine parlamentarische Rechte, aber keine rechten Intellektuellen gibt. In Deutschland gibt es keine radikale parlamentarische Rechte, aber rechte Intellektuelle. Ist das nicht paradox?

Nein. Die Tatsache, daß die Rechte in Österreich nicht einen Denker hervorgebracht hat, ist einfach ein Zeichen dafür, daß es in Österreich kein Bedürfnis nach rechten Positionen gibt – und die Menschen eben aus anderen Gründen Jörg Haider wählen. Denn selbst in einem so eigentümlichen Land wie Österreich wäre es doch so, daß sich gesellschaftlich relevante Bedürfnisse auch als Fraktion im Geistesleben organisieren.

Könnte es nicht so sein, daß die Stelle des Rechtsseins in Österreich von einer politischen Partei besetzt ist, während sie in Deutschland unbesetzt blieb, bis sich Intellektuelle ihrer bemächtigten?

Wenn es rechte Intellektuelle, aber keine rechte Partei gibt, dann würde ich mir die Frage stellen, ob nicht eine der existierenden Parteien doch rechts genug ist, um ein solches Milieu zu binden. Und mir scheint das in Deutschland doch der Fall zu sein. In der CSU und bei gewichtigen Flügeln der CDU ist das unschwer auszumachen – und dazu kommen natürlich noch die Reps in den Ländern.

Dennoch gibt es einen Unterschied zwischen den CDU-Rechten und dem Phänomen Haider: Erstere wären Teil des politischen Establishments, während Haider ein Wir-Gefühl der Unterklassen gegen die politischen Eliten herzustellen versucht.

Nach so etwas gibt es in der BRD keine Nachfrage, weil es da regelmäßige Regierungswechsel gegeben hat. Es gab in der BRD einen sozialdemokratischen Kanzler, dann gab es einen zweiten, aber die waren weit davon entfernt, ein Vierteljahrhundert zu regieren. Und Kohl nennt man Langzeitkanzler, obwohl er erst seit 14 Jahren diesen Job macht. In Österreich regiert die Sozialdemokratie seit 26 Jahren, sie hat gleichzeitig die bürgerliche Opposition durch ein mehrfaches intensives Verschmelzungssystem völlig in ihre Herrschaft verstrickt. Das Ressentiment, das dann entstand, verlangt nach einem anderen Politikertyp, als man ihn etwa in der Bundesrepublik, wenn man ein konservativer bis reaktionärer Mensch ist, zu verlangen braucht. Und in Frankreich, wo es den Gaullismus gibt, gibt es wiederum andere Parameter. Wir glauben immer: „Westliches, demokratisches, kapitalistisches Land ist gleich westliches, demokratisches, kapitalistisches Land.“ Dabei gibt es im Rahmen der EU bloß ein paar Grundübereinkünfte über Prinzipien des Wirtschaftens. Die gesellschaftlichen Organisationsformen unterscheiden sich aber sehr stark. Eine europäische Einheit in diesem emphatischen Sinn gibt es ja nicht.

Die Unterschiede zwischen Deutschland, Frankreich und Österreich sind so groß wie die zwischen Tschad und Kuba. In Frankreich gab es eine konservative Regierung und einen sozialistischen Präsidenten, der war, verglichen mit den Präsidenten in Deutschland und Österreich, sehr mächtig. In der Bundesrepublik wiederum gibt es einen viel stärker ausgeprägten Föderalismus, eine Konkurrenz von Ländern verschiedener Couleur und der Bundesregierung. In beiden Fällen ergibt das eine Weise des Wechselspiels, die es zum Beispiel ermöglicht, konservativ zu denken, ohne als Idiot zu gelten. Das spiegelt sich dann auch im Geistesleben. Man kann in England, in Frankreich oder der BRD unterschiedliche Positionen beziehen.

Warum?

Weil es immer ein starkes Gegenüber gibt. In Österreich gab es bis vor kurzem kein Gegenüber. Daher kam auch die Wollust der österreichischen Intellektuellen, mit ihren Köpfen durch die Wände zu rennen. Weil das das einzige Gegenüber war – die Wände aus Gummi. Die Gummizelle Österreich. Die hat sich jetzt geöffnet, wir stehen da und reiben uns die Augen. Und die einen fragen: „Wo bitte ist Europa?“, und die anderen wollen zurück in die Zelle. Das ist, kurz gesagt, die aktuelle Situation.

Interview: Robert Misik